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mischen und mechanischen Zerstörungseinflüssen aus gesetzt sind. Ferner wird bei der Berechnung als selbstverständlich, soweit diese zulässig ist, ange nommen, dafs die Kesselbleche in den fertigen Kesseln, durch das Herstellungsverfahren, welches in Biegen, Anrichten, Nieten und Stemmen besteht, wenig oder gar nicht auf Zerreifsfestigkeit und Dehnung bean sprucht sind, weil dies von der mehr oder minder sorgsamen Behandlung der Kesselschmiede abhängt, die sich der Controle des Constructeurs entzieht. Auf Grundlage der Zerreifsfestigkeit, der Dicke der Bleche und der Beanspruchung der Kessel im Betriebe, durch den gestatteten Maximumdampfdruck, spricht man von der fünffachen, sechsfachen u. s. w. Sicher heit der Kesselconstruction. Diese Bezeichnung, obgleich für die Betriebsdauer der Kessel von grofser Wichtigkeit, wird nie, oder höchstens sehr selten praktisch erprobt. Bei Ver suchen habe ich gefunden, dafs statt der berechneten etwa achtfachen Sicherheit einzelne Theile nur eine 2,5 fache besafsen. Sie nimmt wesentlich durch eine rohe und unsachliche Behandlung der Bleche ab; auch fehlen noch für die Nietstärke, den Verlust beim Plantschen u. s. w., zutreffende Regeln. Das jetzt übliche Verfahren, die Kessel im Suhrn issionswege zu vergeben, trägt gewifs nicht zur Erhöhung der Sicherheit und Leistungs fähigkeit derselben bei. Die Folge von alle dem ist, dafs manchmal Kessel schon nach Verlauf weniger Betriebsjahre schadhaft werden. Abgesehen von den Beulen und Corrosionen, über deren Ursachen der Ingenieur sich fast stets Klarheit wird verschaffen können, treten häufig Risse auf, über deren Veranlassung bis jetzt eigentlich nur Muthmafsungen bestanden. Man nahm dafür zu grofse partielle Beanspruchung, fehlerhafte Herstellung oder schlechtes Material an; erweisen liefs sich in der Regel sehr wenig; welche Bedeutung aber überhaupt diesen Rissen, die bei Vernachlässigung bald eine Explosion herbeiführen, namentlich beizumessen war, wufste man nicht. Herrn Professor Tetmajer in Zürich gebührt nun das grofse Verdienst, durch die Erforschungen der Eigenschaften des Eisenmaterials, welche in dem Buch »Mittheilungen der Anstalt zur Prüfung von Bau material am eidg. Polytechnikum in Zürich, Heft 3, Commissionsverlag von Meyer und Zelles in Zürich, 1886« veröffentlicht sind, durch den Nachweis und die Begründung des Arbeits-Diagramms oder Arbeits vermögens, diese Frage aufgeklärt zu haben. Das Arbeitsvermögen des Eisenmaterials stellt sich danach als das Product aus Maximalzerreifsfähigkeit in Deh nung dar, woraus folgt, dafs, wenn die Dehnung Null, auch das Product Null ist; ein Arbeitsvermögen in diesem Falle nicht besteht. Bei fernerer Beanspruchung des Eisenmaterials treten dann Risse auf, die in der Regel sehr schnell zunehmen und den völligen Bruch veranlassen. Bei Zerreifsproben mit Stäben, unmittel bar bei Rissen entnommen, habe ich in der That ein nur geringes oder kein Dehnungsvermögen gefunden, während die Festigkeit noch intact war. Das Arbeitsdiagramm oder Arbeitsvermögen »des Herrn Professor Tetmajer hat nun speciell für die Kessel einen grofsen praktischen Werth, weil die Be triebsdauer der Kessel verhältnifsmäfsig nur kurz ist und die Kessel sehr stark auf Dehnung beansprucht werden. Nur durch Zuhülfenahme des Arbeitsver mögens läfst sich die Betriebsdauer sachlich begrenzen und bei dem Auftreten von Rissen nur durch das Arbeitsdiagramm feststellen, wovon sie herrühren, bezw. ob Erschöpfung des Materials, schlechtes Material überhaupt, fehlerhafte Herstellung, oder unsachgemäfse Benutzung, den Defecten zu Grunde liegt. Es läfst sich ferner durch das Arbeitsdiagramm bestimmen, ob eine Reparatur des Kessels noch loh- IV.s nend ist, welchen Umfang sie haben mufs, um völlig gesichert zu sein und wie lange voraussichtlich der Kessel noch im Betriebe gelassen werden darf. Durch dasselbe erhalten wir überhaupt einen sach lichen Aufschlufs über die Sicherheit und Oekonomie der Kesselwartung, während wir uns sonst auf die eigene oder fremde Erfahrung stützen müssen, die vielfach unzuverlässig ist. Auf die Zerreifsversuche gestützt, konnte ich mir mit Hülfe des Arbeitsvermögens des Eisenmaterials ein begründetes Urtheil über die Explosionsursache in Friedenshütte bilden, während die Vertreter des oberschlesischen Kesselvereins trotz der Localunter suchung und ihrer langjährigen Erfahrung im Kessel wesen, die Ursache nicht fanden und endlich zu einer gewagten Hypothese ihre Zuflucht nehmen mufsten. Ein treffenderer Nachweis für den Werth des Arbeitsdiagramms kann kaum erbracht werden, und ich hoffe, dafs er zur Berücksichtigung desselben dienen wird. Dann kann manchem Unfall rechtzeitig vorgebeugt werden und der Unfall in Frie denshütte hätte der Technik einen Vortheil gebracht. Meiner Ansicht nach sollten sich die Techniker bemühen, aus jedem Unfälle Vortheile zu ziehen. Die Unfälle sind gewissermafsen Marksteine, an denen jeder Techniker Halt machen und nachforschen sollte, ob sein bisheriger Weg der richtige war, oder wie der richtige zu finden ist; wer sie unbeachtet läfst, setzt sich der Gefahr aus, vom rechten Wege abzukommen oder ihn ganz zu verlieren. Dem Oberschlesischen Kesselverein* ist es so er gangen, weil er sich seines Weges zu sicher fühlte. Aus den Zerreifsproben zog er nur den Schlufs, dafs das Kesselmaterial jetzt schlecht ist; hätte er die selben aber ein wenig genauer geprüft, so wäre er auch auf die richtige Fährte gekommen. Ein Blechstück, welches nur 19,2 bis 17,9 kg Zer reifsfestigkeit pro qmm, bei Null Dehnung besitzt, ist, wie jeder Ingenieur zugestehen wird, für Kessel un brauchbar. Ein Kessel, der solches Blech enthält, kann folgerichtig nicht halten, wenn er wie ein guter Kessel beansprucht wird; ob das Kesselblech schon ursprünglich schlecht war, oder durch den Betrieb erst schlecht wurde, ist gleichgültig. Im Betriebe belassen, mufste ein solcher Kessel Risse bekommen, welche schliefslich seine Explosion herbeiführten. Wenn ich nicht irre, hatte der angeblich zuerst explodirte Kessel eine Leckage in Folge eines Risses. Die vorstehende Schlufsfolgerung lag gewifs sehr nahe, aber für den Kesselverein war die Thatsache des als schlecht befundenen Materials genügend, um weiter darüber nachdenken zu dürfen. Sie bestätigte ja die Erfahrung, dafs in den siebziger Jahren zu den Kesseln schlechte Bleche verwendet worden waren. Ob Kesselbleche von so geringer Güte überhaupt her- gestellt worden sind, scheint mir fraglich. Das Blech wird früher besser gewesen sein, sonst hätte es nicht 15 Jahre halten können. In welcher Weise sich das Eisenmaterial durch die Benutzung verändert, ist unbekannt. Man darf annehmen, und die Zerreifsversuche bei diesen Kesseln bestätigen es auch, dafs die Dehnung verbraucht wird; ob dann auch die Festigkeit abnimmt, ist ungewifs; immerhin ist die geringe Zerreifsfestigkeit von 19,2 bis 17,9, gegen 36 bis 30, auffallend. Bei Versuchen, die ich vor mehreren Jahren mit alten Kesselblechen in Low-Moor-Qualität unternahm, die ursprünglich gewifs über 20 % Dehnung gehabt haben, war bei Zerreifsstücken, die unmittelbar den Rifsstellen entnommen waren, die Festigkeit intact, die Dehnung dagegen gering und theilweise Null. An anderen Stellen war die Dehnung gröfser. * Es ist der Schlesische Kessel-Ueberwachungs- verein gemeint. 5