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schneiden immer nodi vor „Ungeduld“ alles Mögliche und Unmögliche „in alle Rinden ein und fragen alle die rauschenden Bäch lein: „Wohin?“ Müde Herzen suchen unter dem Lindenbaum Ruhe, die Forellen spielen nach wie vor noch in Schubertschen Sex- tolen, die Heideröslein duften in Schubert tönen und die „linden Lüfte“ erwachen in Schubertmusik. Heute — wie vor hundert Jahren. Schubert ist nicht der Begründer des deutschen Kunstliedes — schon Mozart sang es und Beethoven ließ es für „Adelaide * und im „Kreis der fernen Geliebten“ er tönen. Aber er ist sein Vollender. Er sang aus der Stimmung des Gedichtes heraus seine Melodien. Er sang sie wirklich — ^das ist das Wesentliche. Diese Melodien sind nicht irgendwelche Instrumentmelo dien, einem Text angepafit; sondern Schu bert hat sie angesichts der Dichtung und nur für diese gesungen. Und da zeigt sich nun das ideale Verhältnis zwischen Dich tung und Musik, in dem beide ein Ganzes bilden und keines überwiegt. Ebenso ist es mit dem Verhältnis von Singstimme und Begleitung. Wohl ist das Klavier ein selb ständiger Ausdrucksfaktor geworden, aber nie tritt es selbstherrlich aut. Es steht mit der Singstimme in Wechselwirkung. Schuberts neue Gedankenwelt in der Liedform knüpfte an das hergebrachte Strophenlied an, dessen variiert-strophische Form er unübertroffen meisterte. So sind noch die meisten der „Müllerlieder“ und der „Winterreise“ geformt. Gegen den frühen Schluß von Schuberts Schaffen ge sellte sich zu diesem Formtyp eine Kate gorie Lieder, in denen sich die melodische Linie, die sich früher freischwebend, fast instrumental ergoß, in äußerstem Maß auf den rein poetischen Ausdruck konzentriert und sich dem rezitierenden Stil, dem Sprechgesang, nähert, der auf die spätere Entwicklung des Liedes einen ungeheuer bedeutungsvollen Einfluß ausübte. Die sub jektive Wortlyrik Heines, für die er sich besonders begeisterte, stellte eben andere Anforderungen an den Tondichter, als sie ihm bisher — selbst bei Goethe — begegnet waren. Dadurch wurde er zugleich der Begründer des modernen deutschen Kunst liedes. ln der Folge von Liedern, die unser Schubertprogramm gibt, läßt sich auch dies erkennen. „Die Zeit, so zahllos und so Schönes sie gebiert — einen Schubert bringt sie nicht wieder,“ klagt Robert Schumann. Er hat recht behalten. Aber die Zeit hat von dem Werk des Genius gezehrt. Und Nietzsche betont mit Recht: „Franz Schubert hatte von all den großen Musikern den größten Erbreichtum an Musik. Er verschwendete ihn mit voller Hand und aus gütigem Herzen, so daß die Musiker noch ein paar Jahrhunderte an seinen Gedanken und Einfällen zu zehren haben werden. In seinen Werken haben wir einen Schatz von unverbrauchten Erfindungen. Andere wer den ihre Größe im Verbrauchen haben. Durfte man Beethoven den idealen Zuhörer eines Spielmannes nennen, so hätte Schubert darauf ein Anrecht, selber der ideale Spiel mann zu sein.“ Zur gefälligen Beachtung! Die ursprünglich als Solistin für den heutigen Abend vorgesehene Gattin des Herrn Generalmusikdirektors Mörike ist durch eine schwere Erkrankung ans Bett gefesselt. Die Nachricht traf telegraphisch unmittelbar vor Drucklegung des Pro gramms in Chemnitz ein. Die dadurch be dingte Aenderung der Liederauswahl konnte leider in der Besprechung des Herrn Krebs keine Berücksichtigung mehr finden. Die Geschäftsleitung der Volksbühne.