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auch unser jugendfrischer, reichbegabter, thaten- lustiger kaiserlicher Herr hören. Ich halte es ganz besonders für eine sittliche und patriotische Pflicht des akademischen Lehrers der Geschichte, dies dem deutschen Kaiser zu sagen und immer wieder zu sagen: „Was Du bist, bist Du durch das Werk Bismarcks; das Deutsche Reich, das deutsche Kaiserthum ist ein Geschöpf, ein Product der Bismarckschen Staats kunst.“ Nun ist Bismarck seit Jahresfrist von der Leitung des Deutschen Reichs geschieden. Niemand wird dem Greise, der eben 76 Jahre vollendet, an und für sich die Ruhe und die Mufse seines Lebensabends mifsgönnen und neiden. Und doch ist es schmerzlich für einen Freund unseres Volkes zu sehen, in welcher Art und Weise Bismarck von seinem Lebenswerke zurück zutreten veranlafst worden ist. Schmerzlich ist es für einen Freund des Volkes zu sehen, wie im letzten Jahre der Undank dem Fürsten Bismarck nahegetreten ist. Dafs diejenigen Parteien, die schon immer dem Lebenswerke Bismarcks ent gegengearbeitet haben, diese ihre Gegnerschaft auch auf den zurückgetretenen Bismarck über tragen haben, wundert mich nicht, das ist die Consequenz ihres Treibens, das war gar nicht anders zu erwarten. Es haben sich aber leider auch von seinen Bewunderern und Anhängern manche von Bismarck zurückgezogen; nicht Alle offen, manche unter irgend welchen Vorwänden. Viele haben darüber sich entsetzt, dafs Bismarck seit seinem Rücktritt vom Amte nicht stumm geworden ist, dafs er es sogar gewagt hat, manches sehr gerechtfertigte Wort des Unmuthes auszusprechen. Seit 1847 hat Bismarck keinen Augenblick gezaudert, seinen Ansichten nach oben und unten Ausdruck zu geben, und ihm hat die Geschichte meistens wegen seiner Aeufserungen nachher recht gegeben. Die Sorge, ob Bismarck heute reden oder schweigen will, können wir getrost dem alten Herrn selbst überlassen; er weifs am besten, was an der Zeit ist. Besonders kläglich ist das Verhalten gewisser Kreise am Grabe jenes Parlamentariers gewesen, der seine ganze Kraft der Bekämpfung und Zerstörung des Bismarckschen Werkes gewidmet hatte; Bewun derung und Verehrung und Dank gebührt nicht diesem Todfeinde des Deutschen Reichs; sie ge bühren vielmehr dem Schöpfer und Begründer des Deutschen Reichs. Unser Blick richtet sich heute nach Friedrichsruh hin; Jeder von uns sollte sich tief ins Herz das Gelübde einprägen, welchem der Dichter Novalis einst so herrlichen Ausdruck geliehen : „Wenn Alle untreu werden, Ich bleibe Dir doch treu, Dafs Dankbarkeit auf Erden Nicht ausgestorben sei.“ Und unser Dank verdichtet sich sofort zu einem Heil- und Segenswunsch: Möge dem Eisernen Kanzler, der das Deutsche Reich geschaffen und in den Sattel gehoben hat, ein friedensreicher Lebensabend beschieden sein; möge ihn die weitere Entwicklung des Reichs mit Genugthuung erfüllen, möge er unserm Vaterlande in rüstiger Frische des Körpers und des Geistes erhalten bleiben noch manches Jahr hindurch. Uns bietet das blofse Vorhandensein dieses Staatsmannes, auch des inactiven Staatsmannes, immerhin eine gewisse Gewähr, eine gewisse Zuversicht für unsere Existenz. Wie heute die Dinge in unserm Vaterlande und in der übrigen Welt liegen, so lebt heute in vieler Deutschen Bewufstsein das Gefühl: „Gott sei Dank, noch ist der alte Bismarck vorhanden, noch ist er da, dem Deutschen Reiche zu helfen, wenn ein solcher Helfer nöthig werden sollte!“ Eine gewisse Besorgnifs über den Gang der deutschen Reichspolitik seit dem Ausscheiden Bismarcks ist in weiten Kreisen verbreitet; sie ist nach meiner Ansicht nicht unbegründet. Nach der Ueberschau über diese Verhältnisse, welche ich aus dem Studium der letzten Jahrzehnte gewonnen habe, halte ich in erster Linie die Besorgnifs für eine sehr begründete, dafs jene Hinneigung zu England, der wir uns seit einem Jahre hingegeben haben, die allergröfsten Ge fahren für uns heraufbeschwören kann. England liegt Alles daran, uns in einen Krieg mit Rufsland hineinzutreiben; wir sollen für die Herren Engländer die Kastanien aus dem Feuer holen. Ein Krieg mit Rufsland ist für Deutschland ein Todes verbrechen, ein ganz zweckloses und gegenstands loses Unternehmen. Ich halte an der Hoffnung- fest, dafs der alte Bismarck es als seine Pflicht betrachten wird, dafs er von den letzten Schritten, welche diesen unheilvollen Krieg heraufbeschwören könnten, Kaiser und Volk zurückhalten und be wahren wird. Ich vertraue auf Bismarcks Pflicht gefühl, dafs er im rechten Augenblick seine Stimme erheben wird, zu warnen und zu mahnen. Und ich hoffe zu Gott, dafs das deutsche Volk auf die Stimme seines treuesten und wahrsten Freundes hören wird. In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, mit mir einzustimmen in den Ruf: Gott erhalte unserm Deutschen Reiche und Volke noch lange Zeit seinen alten Bismarck 1 Der alte Bismarck lebe noch lange! Hoch!“