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)luer Tageblatt MM? /lnzeiger für üas Erzgebirge Petit,,», f»k ftn,e>,,n «u« ftu« u»t Um,«,»»» I» *»<t»f«nn>,e, «ui. «tktl,, N»i«>I«n U »-I-pf,«-!,,, »eklsme-pel»,«», « «»ltpfexiil,, -mtltch» -«»« « «»ltpfenni,». e«!,oromm,> f>u,«rzg«»!rg,. Enthalt«»- -le amtliche» Sekauatmachuugro -r» Rotes -re Gto-t aa- -es stmtsgerlchl» fla«. p»stft>«r emw Met Lttens n,.«« Nr. 273 Miltwoch» äen 25. November 1925 20. Hahr^emg ' Der Reichskanzler über den Loearnovertrag. Berlin, 23. Nov. Der Reichstag begann um 11'/» Uhr mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfes Wer die Verträge von Locarno und den Eintritt Deutsch lands in den Völkerbund. Tas Haus war gut besetzt, ebenso hie Tribünen und die Diplomatenlogen. Am Negierungstische saßen neben Reichskanzler Dr. Luther die Minister Dr. Stresemann, Geßler, Brauns, Graf Kanitz und Kröhne, sowie die Vertreter der Länder. Nach der Eröffnung der Sitzung durch Präsident Löbe erhielt der Reichskanzler das Wort. Reichskanzler Dr. Luther führte au»: Durch daS Abschiedsgesuch der deutschnationalen Mitglieder des Neichskabinctts sah ich mich am 25. Oktober vor die Frage gestellt, ob ich als Reichskanzler ebenfalls dem Herrn Reichspräsidenten mein NücktrittSgesuch ein reichen sollte. Eine Bejahung dieser Frage würde eine wesentliche Beeinträchtigung der wichtigen Verhandlun gen über die Räumung der Kölner Zone und über die alsbald zu erwartenden Rückwirkungen der Abmachun gen von Locarno bedeutet haben. Tie übrigen Mitglie der des ReichSkabinetts waren mit mir der Ueberzeu- gung, daß es um des deutschen Volkes willen notwen dig sei, diese Verhandlungen mit allem Nachdruck wei ter zu führen, und daß eS dazu bis zur Entscheidung über den Vertrag von Locarno durch die gesetzgebenden Körperschaften des Verbleiben- der Retchsregterung im Amte bedürfe. Ter Herr Reichspräsident hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Es ist al-bald vor der Öf fentlichkeit bekanntgegeben worden, daß das Kabinett seine Aufgabe dgrin sähe, den Gesamttatbestand über Locarno bis zur Entscheidung-reife innerhalb der in Locarno vereinbarten Frist zu entwickeln. Daraus er gibt sich die Folgerung, die ich in Ucbereinstimmuyg mit den übrigen Mitgliedern der Neichsrcgierung auS- spreche, daß nach Erledigung des Vertrage- von Locarno die Neichsregierung dem .Herrn Reich-Präsi denten ihr Rücktrittsgesuch zu überreichen hat, um eine Neubildung des Kabinetts zu ermöglichen. WaS den Zeitpunkt für die Ausführung dieses Entschlusses im Falle einer Annahme der Vorlage über den Vertrag von Locarno betrifft, so bin ich der Ueberzeugung, daß auch die Ausführung des Vertrages von Locarno durch ein Kabinett zu erfolgen hat, dessen Zusammensetzung die Positive Einstellung zum Vertragswert gewährleistet.! Andererseits.scheint mir die unmittelbare Aufgabe de- jetzigen Kabinetts durch die Unterzeichnung des Vertrags > abgeschlossen zu sein. Das Rcichskabinett wird also, falls die Voraussetzungen für die Unterzeichnung am 1. Dezember entstehen, nach der Rückkehr der Bevoll mächtigten aus London seine Aemter in die Hände de- Herrn Reichspräsidenten legen. i In der Darstellung will ich mit den .Fragen be ginnen, did dem deutschen Volke in seiner Gesamtheit am deutlichsten vor Augen stehen. Das sind die Rückwirkungen, zumal in ihrer Bedeutung für die rheinische Bevölke rung. Diese Rückwirkungen stellen im Verhältnis zum Vertragswert selbst in keiner Weise Gegenleistungen oder gar ein Handelsgeschäft dar. Die rheinische Be, völkerung hat es von sich auS in echt vaterländischem Geiste mit Nachdruck abgelehnt, daß irgendwelche Vor-' teile, die sie gewinnen könnte, mit politischen Gesamt nachteilen Deutschlands erkauft werden sollten. Viel mehr kann die Entscheidung über das Vertrag-Werk von Locarno nur aus ihm selbst, nur aus per Bewertung seiner allgemeinen politischen Bedeutung erfolgen. Der Sinn dieses Vertragswertes kann kein anderer sein als der, neue und bessere Grundlagen für die friedliche Weiterentwicklung aller Länder Europas zu schaffen.^ Ist dem aber so, so muß sich diese neue Entwicklung»!-! richtung auch bet all den Deutschland auferlegten Be-, fchränkungen auSwtrken, die mit einem wahren Frte- ven-zustand unvereinbar sind, die den friedlichen Wie deraufbau hemmen, und die dadurch auch, wa» für di« anderen Staaten von besonderer Wichtigkeit ist, Deutsch lands Fähigkeiten zur Erfüllung der Reparationslei stungen beeinträchtigen. Gerade in dieser Stunde, wo die deutsch« Retchsregterung sich mit fester Entschlossen heit zu dem großen FrtedenSwerk von Locarno bekennt, mutz, ausgesprochen werden, daß auch vom Standpunkt unserer Vertragsgegner durch den Abschluß diese- Frie- denswerkc» di« Besetzung deutschen Lande- ihre innere Begründung verliert. I Unabhängig von der Frage der Rückwirkungen ist und bleibt für da» deutsch« Volk di» Räumung der Kölner Aon». Seit dem 10. Januar besteht nach der stet- fpstgehalte- nen deutschen Auffassung ein Rechtsanspruch auf Räu mung der LV1n»v Löns. Auch abgesehen van diesem Rechtsanspruch hat daS deutsche Volk nie begreifen kön nen, daß man wegen eines, an der Gesamtabrüstung ge messen, unerheblichen Restes der Abrüstung ein volle» Drittel der Besatzung ausrecht erhalten hat. Tie Räumung der Kölner Zone ist in bestimmter Weise nnd zu bestimmten Terminen nunmehr beschlossen. Diese Termine.sind unabhängig von der Erledigung.der Vnt- waffnungsforderungen festgesetzt. Gleichzeitig ist aber auch für die Entwaffnungsforderungen eine grundsätzliche Uebereinstimmung erzielt. Die Erörterungen über die Luftfahrtnote'sind in Gang gebracht. Alles Einzelne über die Entwaffnung im übrigen ist auS dem dem Hohen Hause vorliegenden Weißbuch zu entnehmen. Fra gen über diese Dinge werden bereits heute nachmittag im Auswärtigen Au-schuß beantwortet werden können. Wenn ich nunmehr zu der Schilderung des Ver tragswerkes von Locarno selbst übergehe, so stelle ich an die Spitze der Betrachtung die Frage des Eintritts in den Völkerbund von deren Bejahung nach der Locarnoer Abmachung die Inkraftsetzung des gesamten Vertrage» abhängt. Bei dem jetzigen Sachverhalt stehe ich nicht an zu erklären, daß nach der jetzt geklärten Auslegung de- Artikel- 1Ü sich aus ihm keine Gefahren für Deutschland ergeben. Wenn somit durch die Verhandlungen in Locarno für Deutschland hinsichtlich des Artikels 16 die Grundla gen geschaffen sind, um in den Völkerbund etntreten zu können, .so waren doch auch in Beziehung zum Völker bund selbst, und -war nach Auffassung der Reichsregie rung vor dem Eintritt, eine Reihe weiterer Fragen zu klären und Zweifel auszuräumen. ES unterliegt gar keinem Zweifel, daß Deutschland seine große innere Kraft Überhaupt nur aus den Bahnen des Frieden- zu entwickeln vermag. Deutschland wird also in dem Zu stande, in dem eS sich nach dem unglücklichen Äu-gang des Weltkriege- befindet, sein natürliches Gewicht im Völkerbund für alle Fragen, die den deutschen Staat und die daS deutsche Volk innerhalb und außerhalb der Staatsgrenzen bewegen, je mehr zur Geltung bringen können, je stärker die Kräfte des Frieden», in deren An wendung Deutschland ein Gleicher unter Gleichen ist, zur Auswirkung kommen. ES ist für mich ein unverständ licher Kleinmut, anzunehmen, daß Deutschland, wenn es jetzt Mitglied des Völkerbundes und Völkerbundrates ist, dadurch nicht die Möglichkeit gewinnt, deutsche In teressen kräftiger zu fördern. Tas Maß dieser Möglich keiten wird nicht zuletzt von Deutschlands entschlosse ner Weiterarbeit auf der in Locarno beschrittenen Bahn abhängen. Auch die Jnvestigationssrage, für deren Lö sung in dem von Deutschland allein annehmbaren Sinn in den Aussprachen in Locarno eine/weitgehende Klä rung erfolgt ist, wird in ihrer praktischen Handhabung und Weiterentwicklung sehr wesentlich davon abhängen, daß Deutschland den Sitz im Völkerbundsrat tnnehat. Zu den in Locarno mit allem Nachdruck gestellten Fragen gehört die allgemeine Abrüstung. Es ist ganz selbstverständlich, daß, Deutschlands Frie- dcnskraft erst dann voll zur Geltung kommen kann, wenn auch auf dem Abrüstungsgebiet die Ungleichheit beseitigt ist. Bevor ich nun den Hauptinhalt des Vertrages von Locarno selbst schildere, muß ich in einem kurzen Wort auf die bisher vielfach geübte Art der Kritik eingehen. Die Be mühungen der Reichsregierung, auch die breite Oeffent- lichkeit über Inhalt und Sinn der Vertragstexte aufzu klären, sind vielfach durchkreuzt worden durch Versuche, AuSlegung-zwetfcl in die Erörterung zu werfen, die die von RegicrungSsette gegebene Darstellung als Zweifel haft, als einseitige oder sogar gekünstelte Auslegung htst- stellten. 'Man hat Widersprüche zwischen dieser Aus legung und angeblichen autoritativen Auslassungen von anderer, insbesondere ausländischer Sette, feststellen zu können geglaubt. Verallgemeinernd« Bemerkun gen, die das Vertrag-Werk in eine ganz unrichtige Perspektive rückten, haben dabet manchmal eine erheblich« Rolle ge spielt. Ich mutz demgegenüber feststellen, daß mir, ob wohl ich die Aeutzerungen des Auslandes über die Lo- earnoverträge mit größter Sorgfalt verfolgt habe, dar unter bisher keine Aeußerung von irgendwie autorita tiver Bedeutung bekanntgeworden ist, die mit unserer eigenen Darstellung in wirklichem Widerspruch stände. Ich will auch an dieser Stell« den Inhalt des Ber« trag-werke- noch einmal in seinen wesentlichsten Teilen Wiedersehen, wobei ich mich nur auf den Wortlaut der Verträge selbst zu stützen brauch«. La» Kerststück de» Vertrag-Werke» bildet b»r westpakt zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, England und Italien, Gr ist bestimmt, unser» Grenzen im Westen zu befriedigen. Dies bedeutet auf deutscher Sette den Schutz des Rheinland«», und zwar nicht nur gegen eine Verletzung der Grenze als solche durch eine kiegerische Handlung, sondern auch gegen Gefahren, di« ohne un mittelbare Grenzverletzung im Wege des See- und Luft angriffs auf deutsches Gebiet sich ergeben könnten. Dip eigene Verpflichtung Deutschlands und Frankreich«! so wie Deutschlands und Belgien», nicht mit Angriffskrieg oder anderen aggressiven Gewalttaten gegeneinander Vvrzugehen, wird durch England und Italien, und Mar durch jeden dieser Staaten besonder» garantiert. Ent schließt sich Frankreich oder Belgien gegen Deutschland, oder entschließt sich umgekehrt Deutschland gegen Bel gien oder Frankreich zum Angriffskrieg oder zu einer Invasion, so müssen England und Italien dem ange griffenen Lande mit ihren Machtmitteln zu Hilfe kom men. In flagranten Fällen, wo sich die AngrtffSabstcht in der militärischen Ueberschreitung der Grenze oder in der Eröffnung von Feindseligkeiten auSwirtte, haben die Garanten dem angegriffenen Lande ihren Beistand so fort und ohne weiteres zu gewähren. In anderen Fäl len ist zunächst die Entscheidung des Völksrbund-rate- herbeizuführen. An die Stelle der somit im Westen« unterbundenen kriegerischen Maßnahmen tritt ein Schied- gerichtsverfahren für Recht-streitigkeiten und ein 'Schlich tungsverfahren für Jnteressenkonflikte. La» Schieds gerichtsverfahren ist so ausgebaut, daß die streitenden Parteien sich dem Richterspruch endgültig unterwerfen. Bei der Würdigung dieser Bestimmungen erhebt sich so fort die Frage, in welchem Verhältnis der Westpakt zum Versailler Vertrag steht. Es' war, wie sich, schon au» der deutschen Note vom 20. Juli ergibt, nicht da deutsche VerhandlungSziel, durch den Sicherheit-Pakt den Versailler Vertrag al» solchen zu ändern. Dementspre chend heißt e- im Artikel 6 de» Westpakt«», daß dieser die Siechte und Pflichten unberührt läßt, die sich für di« am Westpakt beteiligten Staaten auS dem Vertrag von Versailles ergeben. Der Sinn dieser Bestimmung ist klar? sie findet sich in der gleichen Fassung in einer ganzen Reihe anderer Verträge, die wir In den letzten Jahren, ja noch im Laufe des setzten Gommer- abge schlossen haben. Die Rechte und Pflichten au» dem Versailler Vertrag bleiben unberührt — da» bedeutet nicht, daß Deutschland erneut ein förmliche» und feier liches Bekenntnis zum Versailler Vertrag ablegte, und bedeutet ebensowenig, daß ein neuer RechtSgrund für die Geltung und Tauer diese» Vertrage» geschaffen wur de. ES bedeutet vielmehr lediglich, daß e» mit der Geltung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrage so bleibt, wie es damit vor dem Abschluß, de» Westpakte- stand, und daß infolgedessen auch an der deutschen^ Stel lungnahme zu den einzelnen Bestimmungen de» Ver trages weder moralisch noch politisch, noch rechtlich etwas geändert wird, WaS aber durch den Westpakt ge ändert wird, das ist die Handhabung der gn sich unbe rührt bleibenden Vertragsrechte,, die durch die Unter werfung dieser Rechte unter das obligatorische Schieds verfahren auf eine neue Grundlage gestellt, wird. Da mit wird der Politik der Diktatur und Ultimaten, die sich auf einseitige, von Deutschland praktisch nicht zu verhindernde Vertragsauslegung! stützte, der Boden ent zogen. Ich gehe über zu den Verträgen mit Polen und der Tschechoslowakei. Wir haben stets offen ausgesprochen, daß unsere Stel lung zu den Ostfragen nicht die gleiche ist wie zu den Westsragen, daß deshalb auch im Rahmen der Sicher- heitsverhandlungen ein« dem Westpakt gleichende in irgend einer Weise auf die Grenzen abgestellte Rege lung für den Osten nicht in Betracht kommen konnte. Die Schiedsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei gleichen inhaltlich genau den SchiedSvertritgen mit Bel gien und Frankreich, nur mit dem grundsätzlichen Unter schied, daß sie sich nicht wie dies« letzteren an einen be sonderen Sicherheit-Pakt anlehnen. Ihre Tragweite er schöpft sich in den in ihnen selbst enthaltenen Beskin», mungen und wird dadurch genau und unzweideutig um- grenzt. Recht-streitigletten «wischen Deutschland und Polen sowie zwischen Deutschland und der Lschechofltz, waket sollen durch bindende» SchiedVgertchtSurteU er ledigt, politische Jvteressenkonfltkte dagegen in einem Ausgleich-verfahren ohne endgültige Bindung behandelt werden. Das Deutsche Reich wird, wenn die Zustimmung de» Hohen Hauses erfolgt^ den Vertrag von Locarno in der festen Absicht abschlietzen, auf den dadurch eröffneten Frteden-wegen mit aller Kraft voranzuschreiten. Un beachtet der großen grundsätzlichen Bedeutung, die ich dem Vertrag-Werk von Locarno beileg«, erwart» ich nicht, datz nun di« Din« der wett, di» Deutschland angehen, mit einem Mal« ihr» Gestatt Völlig ändern. Uebertriebene Hossnungen nach dieser Richtung könnten uns nur von d«m festen Entschluß attttrGsn» in ununtar-