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— 139 — an der Triebisch wird 2 Meilen, die Länge aller der in ihn mündende» Seitenstrecken und Nebenstollen aber volle 40 Meilen betragen. Am vorigen Freitag ist die Gesteinsschicht zwischen dem sechsten und siebenten Lichterloche bei Halsbrücke glücklich durchbrochen worden, und eS dürfte also dir Betriebs eröffnung dieses großartigen bergmännischen Werkes nicht mehr lange auf sich warten lassen, zumal die meisten Seitenstollen schon längst fertig gestellt sind. Berlin. Bekanntlich steht das Fürstenthum Wal deck unter preußischer Verwaltung, und hat letztere jetzt die Zuschüsse für Waldeck um 20,000 Thlr. erhöht, im Ganzen auf 80,000 Thlr. Die Commissionen des Abgeordnetenhauses finden es aber durchaus nicht gerechtfertigt, dem Königreich Preußen so beträchtliche Zuschüsse für ein fremdes Ländchen ohne jede Gegenleistung aufzubürden. Die Regierung hat auch schon den Beschluß gefaßt, den Vertrag mit Waldeck zu kündigen. Die Müller-Toni. Erzählung von S. von der Horst Sonntagsstille, Gottesstille; Ruhe, die der Herr gebot! — Das Mühlwerk ruht aus vom rastlosen Klappern der sechs Wochentage, und das große schwarze Rad liegt wie ein lotter Koloß in den murmelnden Fluchen des breiten Flusses. Auf dem Hausdache, im Hofe, ja sogar vorn an der Land straße, schwärmen zu Hunderten die bunten gurrenden Tauben, denen es wohl ist, wie Wenigen ihres Geschlechtes. Die Miillertauben sind die Aristokraten des Besitzers, die Millionäre der gefiederten Welt; sie schwelgen im unversieg- lichen Reichthume der Fulterkörner, sie sind so satt, daß sogar die armen grauen Sperlinge ungestraft nahen und die Brosamen von ihrem Tische sammeln dürfen. Auf dem Teiche an der andern Straßenseite putzten sich die weißen Enten; auf dem Hofe spreizt sich inmitten der ganzen Schaar von in- und ausländischen Hennen der kollernde Haushahn, dessen farben schillernder Schweif in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne wie ein Bouquet von Edelsteinen glänzt; um die ganze Mühle herum flattert und zwitschert und gackert eö in allen Tonarten. An seiner Kette liegt der große St. Bernhardshund und blinzelt schläfrig mit einem Äuge, während das andere un ablässig den Hahn bewacht, dessen erbitterter Feind der neue Wächter zu sein scheint. Wehe dir, gefiederter Zänker, wenn du auf zwei Schritte an die Behausung deines Gegners heranzukommen wagst! fünf Fuß mißt die Kette, und Pluto ist ein erbarmungsloser Widersacher — aber der Hahn weiß daS; er überschreitet die Grenzen des gesicherten Gebietes nicht um Zollbreite, sondern bleibt mit aufgehobenem Fuße und zurückgeworfenem Kopfe herausfordernd stehen, während sich seinem langgezogenen Krähen ein unverkennbar spöttischer Klang beimischt; ja Pluto hat schon erlebt, daß ihm der jäh zornige Vogel auf den Kopf flog, und an diese Stunde denkt er ungern zurück. Das hübsche Töchterlein des Müllers, die blauäugige Toni, hat ihm noch mehrere Tage danach das entzündete Auge sorglich mit frischem Wasser gekühlt, indeß der impertinente Henning auf der nächsten Pforte saß und ein ganzes Siegeslied krähte. Vor der großen Scheunenthür, da, wo aus dem Brette unten ein ziemliches Stück herausgesägt ist, dehnen sich im warmen Sande zwei junge, kaum faustgroße Kätzchen; nehmen Alles, was sie finden, zwischen die kleinen, zierlichen Pfötchen und heben es empor, um die ersten Studien in der Schule des Lebens zu machen, tappen ungeschickt nach einer vorüberfliegenden Biene, flüchten im Nu unter den Schutz des Schennendachs, sobald irgend ein Geräusch ertönt. Die alte Katzenmnlter, die Vielerfahrene, sitzt unbekümmert da neben und scheint zu schlummern; sie kennt alle Laute, sie weiß genau, was vorgeht, auch mit geschlossenen Augen. Schon mancher heiße Sommertag sah sie hier vor dem aus geschnittenen Brette ihre Sprößlinge bewachen, die Zeit des Tändelns ist für sie vorüber; bejahrte Kater in den benach barten Bauerhöfen sind bereits ihre älteren Söhne, manch glänzend schwarzer Muff in der Stadt könnte erzählen von hingemordeten Katzenjungfrauen, die ihre ersten Athemzüge hier hinter dem allen wurmzerfressenen Brette thaten. Molly ist nicht viel jünger, als die hübsche Toni und ihr ganz besonderer Günstling; an Winterabenden hat sie den wärmsten Platz beim riesigen weißen Kachelofen, alle übriggebliebene Milch wandert in ihr Näpfchen, Dafür liebt Molly auch Niemand als Toni; kein Anderer darf ihre Kätzchen unge straft berühren, selbst der Hahn hat Respect vor diesen scharfen Fängen. Molly träumt mit offenen Augen, vermuthlich von ganzen Armeen grauer leishuschender Mäuschen in den Ecken und Winkeln der weiten Kornböden, hinter den Fässern und Körben von Toni's wohlversehener Speisekammer. Die kleinen Kätzchen spielen mit ihrem langen Schweife und machen die ergötzlichsten Männchen, wenn sie denselben plötzlich bewegt; niedliche harmlose Tiger sn winisturs, ganz so schlank, so übernatürlich geschwind, wie ihre braunstreifigen, funkeläugigen Verwandten in den zoologischen Gärten der Hauptstädte. Und aus dem wohlgcpflegten Garten herüber bringt der leise Windhauch die Düfte von tausend Blumen; Rosen und Purpuruelken, Reseda und blaue Männertreu erheben die bunten Köpfe zum lichtgrauen Abendhimmel, dessen Schatten sich zu senken beginnen; weißer Flieder schüttet seine Blüthen herab in das dichte Grün der Hecken. Die Bienen summen, emsig sammelnd, und von den nahen Weiden tönt das melo dische Klingen der Kuhglocken; überall liegt tiefer Gottes friede auf der in ihrer höchsten Schöne prangenden Natur. Vor der vorderen Fronte des stattlichen Besitzes erweitert sich der Fluß zum Teiche mit silberklarem Spiegel. Ein künstlich angelegter Arm desselben führt unter der Brücke hin, am Hause unmittelbar vorüber, und treibt das schwer fällige mit Moos und Schilf überzogene Mühlrad. Hinter dem weitläuftigen Gehöfte vereinigt er sich mit dem eigentlichen Laufe des ansehnlichen Flusses und schließt durch seine zickzackförmigen Windungen einen schmalen Streifen Landes derartig ein, daß derselbe zur Insel wird, die nur vermittelst einer einfachen Hclzbrücke vom Hofe des Müllers aus zugänglich ist. Was daS Mühlgewese im Großen und Wohlhabenden repräsentirt: Sauberkeit, Ordnung und Symekrie, das zeigt im Kleinen dieser einsame abgeschlossene Fleck Erde gleich seinen begüterten Nachbarn. Freundlich schimmert das rothe Ziegeldach eines niederen Häuschens durch das Blättergrün der Fruchtbäume, hell glänzen die blanken Fensterscheiben, frisch erhalten ist der braune Anstrich von Sims und Thüren. Auch hier gackert ein Völkchen Hühner, blühen purpurrolher Mohn und goldgelbe Aurikel; am äußersten Ende der Land zunge weidet im fetten Gras eine weiße Ziege und umge stürzt auf dem Pfahle baumelt ein sauberer Milcheimer mit Messingbeschlag. Hinter diesem zweiten traulichen, wohnlichen Heim steigt das Land allmählich bergan, während der breite plätschernde Fluß seine Wellen seitlänge hinunterrollt in'S tiefere Thal. Grüne Triften mit weidendem Vieh, Felder mit wogendem Korn und einsame Moore zeigen sich wechselnd dem Auge, bis das beginnende Unterholz der Waldungen den Blick begrenzt. „Ueber alle» Gipfeln ist Ruh'" — Tannenduft und leises Vlällergeflüster — durch schwankende Zweige dringt ein Strahl des goldenen TageSgestirneS und scheint nun zu tanzen auf dem üppigen MooS des Bodens. Der Specht hämmert gegen die Baumrinde; mit schwerem Flügelschlag verfolgt ein Raubvogel seine Jagd; kein Laut aus der Welt da unten, kein Schmerzensschrei des Menschenlebens dringt in diese hehre Einsamkeit.