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bahnwescn unterstand, konnte sich diesen Wünschen der auf strebenden Stadt Görlitz nicht verschließen und stimmte der Linie zu. Der entsprechende Staatsvertrag wurde am 24. Juli 1843 zwischen Sachsen und Preußen abgeschlossen. Daraufhin fand am 1. und 2. November 1843 die Aktien zeichnung statt, um am 11. Dezember konstituierte sich die „sächsisch schlesische Eisenbahngesellschaft" mit dem Sitz in Dresden. Das Anlagekapital war auf 6 Millionen Taler festgesetzt worden. Hieran war der sächsische Staat, der für die ersten fünf Betriebsjahre 4 Prozent Zinsen garantierte, mit 2 Millionen Taler beteiligt. Der erste Spatenstich wurde am 10. Juni 1844 bei Dres den getan. Al» erste Strecke wurde die von Dresden nach Radeberg am 17. November 1845^ eröffnet. Am 22. Dezem ber 1845 folgte Radeberg—Bischofswerda, am 23. Juni 1846 Bischofswerda—Bautzen, am 23. Dezember 1846 Bautzen—Löbau, am 1. Juli 1847 Löbau—Reichenbach und endlich am 1. September 1847 Reichenbach-Görlitz. Der Gärtner von Weesenstein. Anekdote au» der Vergangenheit von Regina Berthold. . Im Schlosse zu Weesenstein, das nicht weit von Dres den, sich am rechten User der Wesenitz erhebt, war einst vor über hundert Jahren ein Gärtner angestellt, der gong un menschlich saufen konnte. Nicht» brachte ihn unter den Tisch, sei e» der beste Ungarwein, sei es ein Fäßchen starkgebrau te» Bier. Ost hatte sein Herr Spaß daran und hätte gar zu gern den trinkfesten Mann umkippen sehen. Aber es gelang ihm nicht. Der Herr de» Weesensteiner Schlosses hatte einen Freund, der nicht weit von ihm im Schlöße zu Dohna hauste. Die beiden waren dem Pokulieren auch nicht abhold und redeten einstmals, al» sie tapfer dem Wein zusprachen, von dem Gärtner, der olle anderen an Durst übertraf. „Nein, nein", sprach der von Dohna," was Dein Gärt ner kann, lieber Freund, das kann mein Pförtner noch alle mal. Der kann erst saufeni Hast Du 'ne Ahnung! Alle anderen säuft er unter den Tisch." „Nicht möglich! Mein Gärtner hat die weiteste Gur gel", ries der Weesensteiner und schlug mit der Faust aus ...» den Tisch. „Das käme auf die Wette an. Meinen besten Hund, ' meinen schönsten Hengst, setze ich an, daß mein Pförtner Deinen Gärtner unter den Tisch trinkt." „Topp Bruder, es soll gelten! Auch ich setze Hengst und Hund daran. Gleich morgen soll die Wette zum Aus trag kommen. Zwei große Kübel Bier stelle ich bereit, wol len sehen, wer gewinnt." Die Herren redeten nun, der mit dem Gärtner, jener mit dem Pförtner, oersprachen ihnen ein Goldstück und eine neue Jacke und schärften ihnen ein, ihre Sache gut zu macken, es ginge um Ehre und Trinkerruhm. Und schmun zelnd versprachen die Männer, den Kübel leer zu trinken. Der Dohnaer Pförtner kam also nach Weesenstein, um seinen Kameraden im Trinken auszustechen. Er hatte sich aber eine List erdacht. Als beide ins Gemach gerufen wirr- den, wu ihr« Herren am Tische saßen, um dem Austrag der Wette zuzuschauen, al» sie die großen Kübel Bier stehen sahen und der Wqesensteiner den Pförtner anwies, einen der Kübel zu wählen, warf der Schlaue ungesehen in das Vier des Gegners eine tote Maus, damit dieser sich ver- schluckte und nicht zu Ende trinken könne. Die Gegner Huben also aus ein Zeichen die schweren »Übel hoch und tranken und tranken, daß man es glucksen Krte in langsamen Zügen. Der Pförtner aber heftete feine Augen dabei gespannt auf den Gärtner, und endlich merkte «.'daß der sonst so Trinksichere schluckte und würgte. Das «ährte aber nur eine Sekunde, dann war das Hindernis hinunter und gluck, gluck, gluck gina das Bier in gleichmäßi- gem Rhythmus die weite Gurgel hinab. Der Gärtner setzte den Kübel ab, er war leer, während sein Gegner noch lange nicht am Ende war. Der Weesen- neiner Gärtner hatte also die Wette gewonnen. Er bekam das Goldstück und die Jacke. Al» er aber dann mit dem Pförtnc- ok'kin war, frug er ihn: „Kamerad warum lachtest Du so seltsam und schautest mich unter dem Trinken immer en?" „Das will ich dir sagen," meinte jener ärgerlich. „Eine tote Maus war in deinem Viere. Die hast du verschluckt, wie mich däucht." Hm, eine Maus? Ja, ja, mir kam etwas in die Quere, aber ich meinte» es sei ein Hopfenkernlein gewe sen und habe es täpfer mit verschlungen. Muß ich doch mei nem Herrn erzählen, der wird sich baß über den Scherz freuen." Nun kam der Irinkerruf des Gärtners von Weesen stein erst recht in aller Munde; denn es hieß: „Ja der hat 'ne Gurgel! Nicht mal eine Maus kann ihn am Schlucken stören." Die beiden Herren aber lachten noch oft über die selt same Wette und im Schlöffe von Weesenstein hängt noch heute ein Bild, das den durstigen Gärtner, der den großen Bottich voll Bier an den Mund führt, darstellt. „Die gute alte. . Die Lobredner der Vergangenheit belieben es, die idyllischen Lerbältniffe von einst gegen die heutige Unrast von Nervenansp nnung auszuspielen. Aber wie war es einst? Wersen wir einen Blick in die Zeit vor hundert Jah ren, so sehen wir, daß sie namentlich auf dem Gebiet des häuslichen Leben» alles eher als idyllisch war. Es gab keine Streichhölzer, denn sie wurden erst im Jahre 1834 erfund . Allein das Feuerwachen war da- Ker eine ewige Qual und Last. Es gab kein Gas und keine Elektrizität, alles mußte umständlich aus dem Küchenherd gekocht und gewärmt werden. Beleuchtungs zwecken dienten in den vornehmeren Häusern Wachskerzen, sonst war man auf übelriechende Oelflammen angewiesen. Die Kerzen mußten vielfach im Hause angefertigt werden, da es noch keine Kerzenfabriken gab und die wenigen Hand- Werksbetriebe, die sich mit dem „Kerzenziehen" beschäftigten, der Erzeugung im großen nicht gewachsen waren. Ebenso mußte im Hause Seife gemacht und Brot gebacken werden. Arbeitsparende Putzm'ttel gab »s überhaupt keine. Geschirr und Silber wurden mit Asche und Sand geputzt. Jeder Waschtag war ein Kampf und Krampf, denn es gab weder Soda noch Waschpulver. Ge näht wurde alles mit der Hand, denn die Nähmaschine kam erst nach 1840 auf. Fertig zu kaufende Kleider und Anzüge gab es ebenso wen'g, wie ja selbst jeder Herrenkragcn mußte im Hause Stich für Stich verfer- tigt werden. Die Hausfrau von einst verbrauchte aus allen diesen Gründen, die sich noch sehr stattlich vermehren ließen, ih s ganze Arbeits- und Nervenkraft in ihren oier Wänden, und auch die Männer wurden davon, obzwar meist nur indirekt, jedoch dafür desto empfindlicher, in Mitleidenschaft gezogen. Demgegenüber stellen unsere modernen Haushaltungen mit ihrer Fülle von arbeitssparenden Vorrichtungen und Ge- räten ein keineswegs bloß vermeintliches, sondern wirkli ches Idyll dar. Außerhalb des Hauses werden allerdings heute größere Anforderungen an unsere Nerven gestellt als je. Doch auch das gilt nicht allgemein. Man denke etwa daran, was cs früher geheißen hat, selbst die kleinste Reise zu unternehmen, und wie leicht und bequem wir heute selbst die größten Ent fernungen überwinden können. Zn der nächsten Nummer beginnen wir mit der Veröffentlichung eines soeben fertig gestellten neuen Romans unseres bekannten Heimatschriststellers Oskar Schwär, den wir zum (Erstdruck erworben haben. Wir machen unsere Leser heute schon darauf aufmerksam. Druck und Verlag von Friedrich M a u. G m. b H., verantwortlich für die Schriftleitung Max Niederer, sämtlich in Bischofswerda