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T otenfetische 55. Wir haben oben gehort, dafi nach dem Volksglauben allen Dingen, die mit der Leiche in Beriihrung gekommen sind, Totenstoff anhaftet, der im- stande ist, vegetatives und animalisches Leben zu gefahrden, ja zu toten. Diese magische Kraft sucht sich der Mensch anderseits zur Erreichung egoistischer Zwecke dienstbar zu machen. Wenn man jemandem unter der Schwelle des Stalles oder unter der Krippe Haare oder Fingernagel eines Toten, Sargnagel oder gar einen Totenkopf vergrabt, magert sein Vieh ab’. Sticht man eine Nadel, mit der der Tote eingenaht worden ist, unten in die Bank, auf der Spielleute sitzen, so horen sie auf zu spielen und schlafen ein, Kartenspieler, die darauf sitzen, entzweien sich 1 2 . Aus dem gleichen Grunde wird der kleine Finger eines Erhańgten oder eines ungeborenen Kindes als Diebskerze verwendet, denn er versetzt die zu Bestehlenden in tiefen Schlaf. Steckt man einen Sargnagel einige Male in die Fufistapfen eines barfuB Gehenden und zieht ihn wieder heraus, so siecht der Betreffende dahin und stirbt „iiber“ ein Jahr 3 . Zur Heilung von Krankheiten (eigentlich zur Totung von Krankheits- geistern) werden solche Totenfetische ebenfalls verwendet: Warzen und die oft wiederkehrende Rose verschwinden fiir immer, wenn man die laue Hand des Toten dreimal unter Anrufung des Namens Gottes iiber die zu heilenden Stellen streicht 4 . Rauchern mit Totenkranzen hilft gegen ReiBen, Toten- miinzen und Leichenwasser sind Mittel gegen Trunksucht, Sargnagel gegen Zahnschmerzen 5 * . Das Blut eines Enthaupteten, frisch getrunken, ist gut gegen eine schwere Krankheit 8 . Sperlinge wehrt man dadurch vom Hirse- feld ab, dafi man der Saat Sand von einem frischen Grab beimischt, den man um Mitternacht geholt hat 7 . In derselben Absicht sat man in der Provinz Brandenburg Hirse und Weizen aus der Miitze eines Toten 8 . Dafi Totenfetische dem Trager Gliick bringen, ist wohl daraus zu erklaren, dafi sie auch feindliche und hindernde Damonen vertreiben und fernhalten. Hierzu stimmt der sorbische Glaube, dafi ein unter dem Hause vergrabener Leichnam dem Hause Gliick bringt 9 . Gliick bringen auch dem jeweiligen Triiger: Das Mundtuch des Toten (besonders vor Gericht), ein Halstuch aus alten Grabern, ein Stiick vom Galgenstrick u. a. 10 . Bei letzterem wirkt wohl auch der Gedanke mit, dafi die Lebenskraft des Selbstmorders und des Hin- gerichteten nicht durch eine Krankheit dahingeschwunden ist, sondern noch in dem Leichnam steckt 11 . 1 Schulenburg. W. V. S. 235. — 2 ib. 235. — 3 ib. 235. — ‘ Miiller 156: GroB- Lieskow (Liškow) — 5 ib. 156. — • Schulenburg, W. V. S. 235. — 7 Schulenburg, W. V. S. 242. — 8 Landeskunde der Prov. Brandenburg III, 260. — ’ Veckenstedt 451. — 10 Miiller 155; Schulenburg, W. V. S. 236; Parallelen bei Sartori, SB. I, 159. — ** Fehrle, Deutsche Feste und Volksbrauche, 50: Verwendung von Haaren, Finger- nageln usw.