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DIE KUNSTGESCHICHTLICHE STELLUNG UND DIE ILLUSTRATIONSTECHNISCHE BEDEUTUNG DER HOLZSCHNITTE IN AGRICOLAS „DE RE METALLICA" Von WILHELM PIEPER, Magdeburg Um das Jahr 1500 erscheint als erste deutschsprachige Druckschrift über Dinge des Bergbaues das „nutjlid) bergbudilepn" des Freiberger Stadtarztes Doctor artium ac medicinae ULRICH RULEIN VON CALW, meist genannt Kalbe. Das Büchlein ist eine volkstümliche Kunde von den Erzlagerstätten mit Regeln zum Aufsuchen und Ausrichten von Erzvorkommen. Es ist in deutscher Sprache geschrieben, eine große Ausnahme in der damaligen wissenschaftlichen Welt, in der nur die lateinische Sprache galt. RULEINs Bergbüchlein ist daher für uns die älteste gedruckte Quelle unserer deutschen Bergmannssprache 1 . Es ist bereits planmäßig bebildert, mit „Figuren”, die im Text erwähnt und erläutert sind und diesen ihrerseits ergänzen. Eine solche innige Beziehung zwischen Text und Bildern ist damals noch eine sehr große Seltenheit; man findet in den Büchern meist eine Zufallsbebilderung, die in nur losem oder gar keinem Zusammenhang mit dem Text steht. Das Titelbild des Bergbüchleins — Bild 1 — zeigt Bergleute bei ihrer Arbeit: zwei ziehen mit dem Haspel den Erzkübel hoch; sie stehen auf dem durch ein parallel-gestricheltes Band angedeuteten Ausgehenden des Ganges. Unter dem Rundbaum sieht man aus dem Dunkel des tonnlägigen Schachtes die Fahrt hervor ragen. Im unteren Teil des Bildes sieht man in einem Ausschnitt im Berge einen Häuer vor Ort bei der Schlägel-und-Eisen-Arbeit. Auf den rückwärtigen Höhen gehen ebenfalls Gänge aus; hinter dem einen steht eine Kaue. Es ist ein äußerst lebendiges Bild. Zwei weitere Zeichnungen sind geometrische Risse. Die erste stellt die Himmelsrichtungen und ihre Zwischengliederungen, die zweite den Ausbau der Taschensonnenuhr zum Bergkompaß dar. Die zehn übrigen Figuren sind geognostischeBilder zur Erläuterung des Verhaltens der Erzgänge. Es sind perspektivische Ansichten nach der in der Spätgotik und Renaissance üblichen Landschaftsdarstellung. An den vier Kanten sind die Namen der Himmelsrichtungen angeschrieben, obwohl es keine Lagepläne sind. Man muß sie also als Luftbilder, als Bilder aus der Vogelschau und nicht als Frontalansichten betrachten. Bemerkens wert ist bei einigen die Darstellung der Sonne und des Mondes — Bilder 2 und 3 —. Als Zeichner der Bilder dürfen wir wohl ULRICH RULEIN selbst annehmen. Die Bilder erfüllten bereits hier die Aufgabe, den belehrenden Text zu ergänzen; ihre weitere Bedeutung bestand seinerzeit darin, dem Buch auch Zugang zu jenen Interessierten zu verschaffen, die nicht lesen konnten. An Hand der Bilder konnte sich der Analphabet von dem Lesekundigen die Ausführungen des Verfassers schil- 1 WILH. PIEPER: Ulrich Rülein von Calw und sein Bergbüchlein. Freiberger Forschungshefte D 7. Berlin 1955.