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AGRICOLA IN ITALIEN UND SEINE PERSÖNLICHEN BEZIEHUNGEN ZUR ANGELSÄCHSISCHEN WELT Von HELMUT WILSDORF, Freiberg Wir müssen nicht erst fragen, warum der Leipziger Medizinstudent GEORGIUS AGRICOLA im Herbst 1523 nach Süden aufbrach, um dort seine Ausbildung abzu schließen. Das Studium in Italien war den deutschen Humanisten seit dem Beginn der „Renaissance" ein menschliches und wissenschaftliches Bedürfnis: Es resultierte aus der romantischen Sehnsucht nach dem Lande, das die Reste und Spuren von dem Leben jener Menschen bot, die nunmehr zum idealen Menschenbild erhoben waren. Es resultierte außerdem aus der nüchternen Tatsache, daß die Universitäten Italiens einen Vorsprung errungen hatten, der schon deshalb nicht aufholbar war, weil nach einem vorübergehenden Siege der Humanismus in Deutschland erneut bekämpft und angefeindet wurde. Als die dem Humanismus am längsten abholde Universität Leipzig, zwar höchst widerwillig, aber dem strengen Gebote des Landesfürsten Herzogs GEORG des Bärtigen sich fügend 1 , 1515 den englischen Humanisten RICHARD CROKE auf nahm und als bald darauf auch PETRUS MOSELLANUS zu lehren begann, schien der Sieg des Humanismus entschieden zu sein. Diese Zeit der kämpferischen geistigen Auseinandersetzung hat „Georgius Pawer de Glauchaw" miterlebt. Er begann sein Studium in Leipzig 1514 und erwarb schon im folgenden Jahre die unterste akade mische Würde. Als Baccalaureus artium hat er wohl seit 1516 oder 1517 Anfangs unterricht in der griechischen Sprache erteilt 2 und so zu seinem Teile dazu bei getragen, daß die Humanisten das Übergewicht über die Scholastiker bekamen. Er hatte nach Erfurt 3 geblickt, aus dem der vernichtende Angriff die „Dunkelmänner" in Köln zum Schweigen brachte; er hatte gesehen, wie an der erst 1502 gegründeten Universität in Wittenberg von vornherein die humanistische Studienrichtung sich durchsetzte. Und als er 1518 in Zwickau das Amt eines Konrektors übernahm, war er zu geradezu einzigartigen Erfolgen gekommen: Nach kaum einem Jahre wurde er Rector der schola Graeca, die erstmalig und einmalig den Unterricht im Griechischen an einer städtischen Schule in den Mittelpunkt stellte,- die mitreißende 1 Um die Literaturhinweise zu kürzen, sei grundsätzlich verwiesen auf die so gut wie nie ver sagende Bibliographie zur Geschichte des Reformationszeitalters von K. SCHOTTENLOHER. Herzog GEORG hatte bereits unmittelbar nach seinem Regierungsantritt den Humanismus be günstigt, doch scheiterten die von ihm geförderten Humanisten (JOHANNES HONORIUS CUBITENSIS 1502/3, HERMANN VON DEM BUSCHE 1503—1507, JOHANNES RHAGIUS AESTICAMPIANUS 1507—1511) und wurden vertrieben. * Bisher ist diese Unterrichtstätigkeit fälschlich immer in die Zeit des zweiten Aufenthaltes in Leipzig verlegt worden. Die Briefe des CASPAR CRUCIGER an STEPHAN ROTH (Ratsschul bibliothek Zwickau) erweisen aber einwandfrei, daß Agricola bereits vor 1518 in Leipzig Griechisch lehrte. ’ Über die Beziehungen Agricolas zu Erfurt vgl. Agricola-Gedenkausgabe Bd. I, Abschnitt .Erfurt'.