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rigirt von Tschirch, hielt der Vertreter deS deutschen Sängerbundes, v. Elben, die Weihercde. Dem allmächtigen Drange zur Einheit, -em Leben und Thun in dieser Festzeit gelte, stellte er gegenüber die klaffende Wunde der Spaltung, die nach Befreiung des Bruderstammes im Norden von äußerer Fremdherrschaft im Innern ausgebrochen sei. So sei es aber uns Deutschen beschieden: 50 Jahre, nachdem .der Erbfeind in der letzten blutigen Völkerschlacht geschlagen, throne noch der schlimmre Feind der Zwietracht im eigenen Innern. Eine Reihe von Generationen muffe vorüber, eine Läu terung Lurch schwere Kämpfe vorausgehcn. Die deutsche Geschichte rücke langsam ihre Zeiger, aber sie schreite sicher vorwärts. „Vor 20 Zähren zu Würzburg auf dem er sten allgemeinen deutschen Sängerfeste zogen beinahe als unbekannte Gäste ein paar Schleswig-Holsteiner ein — eine kleine Anzahl ohne Fahne; sie war ihnen von ihren dänischen Zwingherren weggenom men worden. Aber die Männer vom Norden san gen ihr Nationallied; sie eroberten alle Herzen und die deutschen Sänger trugen die Begeisterung für alle deutschen Herzen hinaus in alle deutschen Gaue. Heute beim ersten Sängerbundesfeste in Dresden haben wir Alle mit jubelnder Freude begrüßt, auch die Schleswig-Holsteiner, die nun frei vom fremden Joch und Genossen sind des über das ganze Va terland ausgebreiteten Sängerbundes. Von der schönen Blü'he deutschen Geistes, dem deutschen Männergesang, ist eine herrliche Frucht gereift." „Wohl vermögen wir nicht mit unfern Liedern Deutschland frei und einig zu singen, aber wir pflanzen in alle Herzen den unzertrennbaren, na tionalen Glaubenssatz der Zusammengehörigkeit und Einheit, den Glaubenssatz, welcher gewaltiger in jedem nachwachsendcn, in diesem Glauben empfan genen Geschlecht, wenn die Zeit gekommen sein wird, die nationale That erzeugen muß. „Ein nationales Fest von Bedeutung ist es, an welchem Deutsche aus allen Marken des Vater landes zum ersten Male die Fahne dieses Brüder bundes begrüßen. Der Klang der Glocken hat die reinste, feierliche Stimmung eingeleitet und andachts voll verkünden wir den Wclhespruch: „Der Segen des Gottes unserer Väter soll überall mit diesem Banner der Einigung und mit dem deutschen Sängerbünde sein, ihn stärken und bewahren, daß er einig sei und bleibe und wirke zum Wohle deS Vaterlandes. Wir Sänger, wir versprechen, fortan zu diesem Banner zu stehen. Wir weihen unsre Herzen dem Bunde und der Ein tracht, und wir geloben in diesem feierlichen Augen blicke den, großen gemeinsamen Vaterlande ewige und unverbrüchliche Treue mit allen unscrn Kräf ten für unser ganzes Leben. So falle denn die Hülle und sei die Fahne deS deutschen Sänger bundes begrüßt zur Freude der deutschen Sänger mit begeistertem dreimaligen Hoch!" Während der letzten Worte erfolgte dir Ent hüllung. (Das prachtvoll ausgeführte Banner zeigt auf der einen Seite die Gestalt des Bardenthums, auf der andern Seite den deutschen Reichsadler.) Hierauf wurde das Fahnenlied des allgemeinen deutschen Sängerbundes, Gedicht von Müller v. d. Werra und eomponirt von V. E. Becker, anzestimmt. Sodann folgte die feierliche Fahnenübergabe durch Herrn Wiedemann und eine Rede vom Veitrcter des Festausschusses Herrn Advokat Aretschmar. Der Gesang des Arndt'schen Liedes: „Was ist des Deut schen Vaterland" bildete den Schluß der Feier. Bei den letzten Worten deS Liedes fiel LaS Geläute der auf dem Festplatz ausgestellten Glocken ein und don nerten die Kanonen. Gegen 5 Uhr trafen Ihr« Majestäten der König und die Königin, Ihre königl. Hoheiten Prinz und Frau Prinzessin Georg und Piinzeistn Amalie, so wie in Stellvertretung Ihrer königl. Hoheiten des Kronprinzen und der Frau Kronprinzessin Herr Hof- majschall von Zezschwitz, begleitet von Ihren 8x- ccllenzen den Herren Staatsminister Frhrn. v. Beust, Kriegsminister v. Rabenhorst und Obeistallmeister Generalleutnant v. Engel, auf dem Festplatz ein. Die allerhöchsten und höchsten Herrschaften wurden von dem Oberbürgermstr. Pfotcnhauer und dem Festcomitv am Fuße der Freitreppe ehrfurchtsvoll empfangen. Die Abendsonne vergoldete voll und herrlich das pittoreske reich geschmückte Portal und von erhabenster Wirkung war das Bild, welches sich darbot, als die hohen Herrschaften die breite Frei treppe hinaufstiegen, umwogt von der ungeheuer» Menschenmenge, die in endlosem Jubel ihre begei sterte Verehrung bekundete. Ebenso bot der Eintritt der hohen Herrschaften in den gewaltigen Raum der Festhalle einen er greifenden Moment. Lautlose ehrfurchtsvolle Stille hielt die vielen Tausende, die sich hier versammelt hatten, einen Augenblick zurück, bis die Begeisterung in einens harmonischen Hoch von der überwältigend sten Wirkung durch die Halle brauste. Nachdem die hohen Herrschaften Platz genommen und daS Hoch verklungen, begann die erste Hauptaufsührung mit dem Choral: „Allein Gott in der Höh' sei Ehr'." Wahrlich, wer an der Macht de» deutschen