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570 die Knechtung Polens und das absolutistische Regiment in Rußland so erfolgreich eintrat. Trotzdem der englische Premierminister Salisbury Mittwoch in einer im Londoner Man- sionshause gehaltenen Tafelrede die Lage als eine sehr friedliche geschildert, die Regelung der afgha nischen Grenzenfrage gepriesen und^das Scheitern der englisch-türkischen Convention über Egypten als gleichgiltig hingestellt hatte, beantragte La- bouchtzre am Tage darauf die Vertagung des Unterhauses behufs weiterer Erörterung der Be ziehungen Englands gegenüber der türkischen und egyptischen, sowie der russischen und französischen Regierung hinsichtlich der beabsichtigt gewesenen Convention. Der Unterstaatssecretär Fergusson vertheidigte das Vorgehen der Regierung und erklärte, ein Rückzug der englischen Truppen aus Egypten sei ebenso unmöglich, wie eine Herabsetzung der egyptischen Steuern. Die Pflicht Englands sei übrigens nicht nur, die in Egypten über nommene Aufgabe zu erfüllen, sondern auch darauf zu sehen, daß die Sicherheit des Suezcanals vollständig sichergestellt werde. Die russischen Blätter sprechen sich zwar sehr entrüstet über die Bulgarenfahrt des Co burgers aus, stellen aber die Absicht irgend einer Einmischung Rußlands in die bulgarischen Händel entschieden in Abrede. Im Süden Rußlands ist man über die große Verbreitung der sogen, sibirischen Pest im Gouvernement Taurien sehr besorgt. Besonders große Verheerungen richtet die Seuche unter den Schaken und Pferden an. In dem genannten Kreise wird die Sterblichkeit unter den auf etwa 1 Million sich belaufenden Schafen zu 10 Procent und der dadurch bewirkte Verlust auf mindestens 300,000 Rubel veranschlagt. Aehnliche Verluste werden aus dem Gouvernement Cherson gemeldet. Am Dienstag hat der von der bulgarischen Sobranje zum Fürsten erwählte Prinz Ferdinand von Coburg sich aus dem stillen Schlosse Eben thal von seiner Mutter, der Herzogin Clementine, tiefgerührt verabschiedet und ist dann am Abend von dort nach Marchegg abgereist, wo der Salon wagen des Prinzen dem nach Orsowa fahrenden Courierzuge der Staatsbahn angeschlossen wnrde. Von Orsowa aus setzte der Prinz Donnerstag früh 5 Uhr auf einem kleinen Schiffe seine Reise nach einem in der Nähe des rumänischen Gebiets vor Anker liegenden gemietheten Dampfer fort, welcher bei Turn-Severin mit der der bulgarischen Dacht, auf welcher sich die Regenten und Minister befanden zusammentraf. In Widdin betrat der Prinz bulgarischen Boden und empfing dort zahlreiche Huldigungen, die sich auf der Weiter reise steigerten. Die Stadtgemeinde Sofia traf umfassende Vorbereitungen für den festlichen Empfang des neuen Fürsten, der es nach Ansicht der „Nat.-Ztg." weit schwerer finden wird, aus Bulgarien wieder herauszukommcn. Den Rubikon hat er überschritten; hoffentlich schädigt sein Wagniß nicht die mühsam aufrcchterhaltenen friedlichen Beziehungen zwischen den Großmächten! Babelsberg, 12. August. Se. Majestät der Kaiser ist heute Vormittag kurz nach 10 Uhr hier eingetroffen. Zum Empfange hatten sich auf dem freien Platze vor dem Schlosse eingefundcn: Ihre K. Hoheit die Frau Prinzessin Friedrich Karl, Se. K. Hoheit Prinz Alexander, General v. Versen, Oberregierungspräsident v. Achenbach, Regierungspräsident v. Necfc, Oberbürgermeister Boie, Bürgermeister Zehrmann und Polizeipräsi dent Wolffgramm. Se. Majestät unterhielt sich längere Zeit huldvollst mit den Anwesenden. Babelsberg, 15. August. Se. Majestät der Kaiser empfing heute Vormittag den Grafen Perponcher und den Geh. Oberregierungsrath Anders zum Vortrag. Zum Diner sind die in Berlin weilenden activen Generale, sowie die Commandeure der Potsdamer Regimenter geladen. Gestern machte Se. Majestät eine Spazierfahrt durch den Park, nahm später einen Vortrag des Grafen Berchem entgegen und erschien sodann beim Familiendiner. Berlin, 13. August. Der Kaiser hörte im Laufe des heutigen Tages den Vortrag des Grafen Perponcher und nahm dann die persön lichen Meldungen einiger höherer Offiziere ent gegen. Mittags arbeitete der Kaiser längere Zeit mit dem General v. Albedyll. Das Befinden des Kaisers ist trotz der Anstrengungen der letzten Reisetage ganz vorzüglich. — Wie der „Nat.-Z." mitgetheilt wird, dürfte der Kaiser voraussichtlich für die allernächste Zeit in Babelsberg verbleiben, sofern nicht eine kalte, ungünstige Witterung ein treten sollte. Kaiser Wilhelm hat bei Ankunft in Schloß Babelsberg geäußert, daß, so lange er nach Gastein reist, er keinen so günstigen Aufenthalt gehabt wie in diesem Jahre, auch keine so günstige und wirkungsvolle Cur wie die jetzige. Dem Kaiser direct erstattete Meldungen über den Gesundheitszustand des Kronprinzen bezeichnen die Heilung desMen als eine vollständige. Unter den von unserem Kaiser in Gastein eingekauften Gegenständen befindet sich auch ein mächtiger Arbeitskorb, der gänzlich ausEdel- weißsternen zusammengesetzt ist und den der Monarch für seine Gemahlin bestimmte. Der Korb ist aus Draht geflochten und innen mit herrlichem grünen Moos belegt. Teller und Schüsseln aus Edelweiß hat der Kaiser auch für die übrigen Damen seines Hauses bestimmt. Ein Köfferchen, hinter dessen Glaswänden gepreßte Alpenblumen sichtbar sind, gehört für die Groß herzogin von Baden, während eine Schmettcr- lingSsammlung für den ältesten Urenkel bestimmt ist. Berlin, 13. August. Der Reichsanzeiger veröffentlicht eine kaiserliche Ordre vom 9. d. an den Kriegsminister: „Ich habe beschlossen, den in diesem Frühjahr errichteten vier Infanterie regimentern, sowie den nenerrichteten vierten Jn- santeriebatailloncn und dem dritten und vierten Bataillon des Eisenbahnregiments, da dieselben sämmtlich aus älteren Truppentheilen hervor gegangen, welche sich längst im Besitz ihrer Fahnen befinden, schon jetzt und zwar am 18. August als unvergeßlichem Gedenktage der Schlacht von Gravelotte-St. Privat, die Fahnen zu verleihen. Ich hege dabei die zuversichtliche Erwartung, daß alle diese Truppentheile die von Mir ihnen an vertrauten Feldzeichen jederzeit in hohen Ehren halten und bis in die fernste Zukunft zum Heile Deutschlands und zum Ruhme des Heeres führen werden. Zur Entgegennahme der Fahnen, deren feierliche Nagelung und Weihung Meinen dafür gegebenen besonderen Bestimmungen entsprechend am 18. August stattfiuden soll, sind die betreffenden Regimentscoqnuandeure, begleitet von so vielen Lieutenants und Unteroffizieren, als der Truppen- theil Fahnen erhält, zum 18. August Morgens nach Potsdam zu beordern. Indem Ich bemerke, daß die Lieutenants zunächst aus schon in Berlin, Potsdam oder Spandau commandirten zu wählen sind, beauftrage Ich Sie, diese Meine Ordre der Armee bekannt zu machen und das Erforderliche darnach zu veranlassen. Bei der Kaiserparade, welche der Kaiser am 6. September bei Königsberg i. Pr. über das ganze 1. Armeecorps abnehmen will, wird ein Heer von 21,000 Mann mit 5000 Pferden und 70 Geschützen vor dem Kaiser versammelt sein. Etwa 1000 Mann stark ist das active Offizier corps. Berlin, 13. August. Den Abendblättern zufolge wird die Bildung einer Actiengesellfchaft mit circa 30 Millionen Mk. Capital beabsichtigt, welche mit sämmtlichen contigentirten Brannt weinbrennereien Contracte abschlösse, wonach sie denselben Rohfpiritus unter bestimmten Beding ungen abkauft, auch würde dieselbe zu exportiren- den Spiritus von den Brennern in Commission übernehmen. Wie verlautet, solle der Regierung maßgebender Einfluß auf die Verwaltung ein geräumt werden. In der Gemehrfabrik in Spandau ist gegen 500 Arbeitern gekündigt worden. Hiermit soll die Verringerung des Arbeitspersonals aber noch nicht abgeschlossen sein. Die Nachtarbeit soll entweder mit dem 5. oder 20. September aufhören. Weißenburg, i. E., 13. August. Heute trafen 800 Mitglieder der Kriegervereine des Königreichs Sachsen hier ein, besuchten den Geis berg und die übrigen Punkte, wo am 4. August 1870 um den Besitz von Weißenburg gekämpft wurde, und legten auf den dort befindlichen Massengrabstätten ber Gefallenen Kränze nieder. Bei einer Nachmittags stattgehabten geselligen Zusammenkunft brachte der Commandenr des hier garnisonirenden 60. Infanterieregiments, Oberst von Hake, ein Hoch aus den Kaiser, sowie auf den König von Sachsen aus, in welches alle Versammelten Hegeistert einstimmten. Wien, 13. August. Dem „Fremdenblatt" zufolge sei eine Begegnung des Fürsten Bismarck mit dem Grafen Kalnoky bestimmt zu erwarten! doch seien Zeit und Ort noch nicht bestimmt. Paris, 13. August. Bei den diesjährigen Manövern ist es den fremden Offizieren unter sagt, sich zu trennen, um den Uebungen der ver schiedenen Corps beizuwohnen; sie dürfen nur auf einem Punkt versammelt an den Operationen theilnehmen. (Gegenüber einer derartig beleidi genden Verfügung werden die fremden Offiziere es hoffentlich mit ihrer Ehre für unvereinbar halten, überhaupt an den Manövern theilzunehmen.) Paris, 13. August. Dem „Journal des Debats" zufolge würde der MobilmachungSversuch wahrscheinlich am 6. September seinen Anfang', nehmen. Int Ministerium des Auswärtigen in Paris wurden in der Nacht zum Freitag große Summen wichtige Papiere gestohlen. Da scheint der Dieb die Gelegenheit doch sehr genau gekannt zu haben. Warschau. Den ausländischen jüdischen Geschäftsleuten in Russisch-Polen ist der bisher bewilligte Credit in der hiesigen Reichsbank ge kündigt. Selbst die Discontirung solcher Wechsel wurde verweigert, die nur auf einige Wochen lauten. Die Petersburger Presse bespricht in ironischem Tone das Manifest des Coburgers und verlangt eine energische Protestnote gegen den neuen Fürsten von Bulgarien. Rustschuk, 13. August. Prinz Ferdinand von Coburg, welcher gestern hier eintras und von der Bevölkerung mit großer Begeisterung em pfangen wurde, ist heute früh über Sistowa nach Tirnowa abgereist, wo morgen die Eidesleistung stattfinden soll. Wie cs heißt, werden die Re genten und Minister ihre Entlassung geben und werde ein neues Ministerium mit Stambulow als Präsidenten gebildet werden. Sofia, 15. August. Soeben sind hier Militär- und Beamte beeidet, das Manifest des Prinzen hat hier einen günstigen Eindruck gemach^; auch in militärischen Kreisen wird der Fürst sympathisch begrüßt. Constantinopel, 14. August. Dem Ver nehmen nach machte der russische Geschäftsträger der Pforte gestern die mündliche Mittheilung von einer Depesche des Ministers des Aus wärtigen von Giers, welche gegen die Wahl und das Auftreten des Prinzen von Coburg protestirt. Der Minister von Giers hofft, die Pforte werde sich dem Proteste anschließen. Eine gleiche Mittheilung soll auch den anderen Mächten gemacht worden sein. Sachsen. Se. Kgl. Hoheit Prinz Georg nebst hoher Familie, dessen Rückkehr von seiner Reise bereits gemeldet, wurde in Röderau von Sr. Kgl. Hoheit dem Prinzen Friedrich August begrüßt. Der Prinz hatte sich von Großenhain aus zu Pferde nach Röderau begeben und schloß sich von dort bis Dresden der weiteren Eisenbahnfahrt an. Se. Kgl. Hoheit Prinz Friedrich August wird demnächst die Garnison Großenhain für immer verlassen. Derselbe wird nach den Herbst-Manövern aus dem Verbände des Großenhainer Husaren- Regiments ansscheidcn, um die Führung einer Compagnie beim Lcibgrenadier-Regimente Nr. 100 zu übernehmen. Während seines dadurch bedingten Aufenthaltes in Dresden wird Se. Kgl. Hoheit bekanntlich Aufenthalt im Palais am Taschenbcrge nehmen, das zu diesem Zwecke vollständig neu eingerichtet wurde. Der Hofhaltung Sr. Kgl. Hoheit wird nach wie vor dessen Adjutant, Herr Hauptmann Freiherr v. Wagner vorstehen. Bischofswerda, 16. Juli. Das große Jubiläumsfest der hiesigen Schützengesellschaft verlies am Sonntag, sowie am gestrigen ersten Hauptfesttag bei herrlichstem Wetter in wahrhaft glänzender Weise und ganz dem Programm ge mäß. Die Stadt prangt im schönsten Blumen-, Guirlanden- und Fahnenschmücke, gegen 1000 Schützen durch 22 Corporationen und Deputa tionen vertreten, sowie viele hiesige Gesellschaften und Vereine bildeten den fast endlosen Festzug. Die auswärtigen Schützenbrüder wurden von den Einwohnern auf das Freundlichste ausgenommen. Die herrlichen Festtage führten am Sonntag und Montag viele Tausend Menschen in unsere Stadt. Das Fest ist bis heute als ein vollständig ge- lnngenes zu bezeichnen und wird die Erinnerung an dasselbe eine stets angenehme und dauernde sein. Auf das große Fest kommen wir noch speciell zurück. — Heute Dienstag, als am dritten Festtage, findet das große Festbankett statt. Seit undenklichen Zeiten wurden an diesem Tage die fünfzigjährigen Jubilare festlich eingeholt, man hoffte diesmal deren drei zu diesem Jubelfeste beglückwünschen zu können. Der Schuhmacher meister Johann Gottlob Patzsch, in einein Alter von 81 Jahren noch immerhin rüstig, welcher heute als Jubilar eingeholt werden sollte, ver starb am Sonnabend ganz plötzlich und wurde so sein Jubelfesttag zu seinem Begräbnißtage. Heute morgen 8 Uhr wurde der Jubilar zur letzten Ruhe bestattet, feiten der Schützenaesell- schaft hat man demselben alle möglichen Ehren erwiesen. Bischofswerda. AuS Anlaß der nächstens beginnenden Herbstübungen der Truppen machen wir unsere Leser von Neuem darauf aufmerksam, daß in den Aufschriften der Postsendungen an die bei den auSgerückten Truppentheilen befind-