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S8 Londoner Nachricht ««kommt. Bliebe diese Be stätigung au«, daun würden wir in dem ganzen Vorgänge nur ein Manöver erblicken, den Reichstag für die Bewilligung de« neuen Militär-Etat« empfänglicher zu machen. Es wäre ja nicht das erste Mal, für solchen Zweck derartig kriegerisches Gewölk an den friedlichen politischen Horizont zu jaubern. Die Eröffnung des deutschen Reichstags. Die am 5. Februar erfolgte Eröffnung de« zweiten deutschen Reichstages im weißen Saale de« königl. Schlosses zu Berlin geschah unter ziemlich geringer Betheiligung der Reichstags-Abgeordneten, wie programmmäßig festgesetzt. Die Zahl der An wesenden betrug etwa 120. — Die socialistischen Abgeordneten waren gar nicht vertreten, von den Ultramontanen nur zwei bis drei erschienen und die elsässischen Abgeordneten scheinen ebenfalls noch nicht eingetroffen zu sein. Fürst Bismark, der an der Spitze des Bundes- ratheS um 2^ Uhr den Saal betreten hatte, verlas die Thronrede, die nur am Schlüsse ein „Bravo" erhielt. Nach ihrer Verlesung brachte der Minister Fäustle, Vertreter Baierns im Bundesrathe, das üb liche Hoch auf den Kaiser aus. Die Thronrede selbst lautet: Geehrte Herren! Seine Majestät der Kaiser haben mich zu er mächtigen geruht, in Seinem und der verbündeten Regierungen Namen, Sie bei dem Beginn der zweiten Legislatur-Periode des deutschen Reichstage« willkommen zu heißen. Ich habe zunächst einem ausdrücklichen Aller höchsten Befehle nachzukommen, indem ich das leb hafte Bedauern meines Allergnädigsten Herrn darüber ausspreche, daß c« Seiner Majestät heut noch nicht gestattet ist, den Reichstag in seiner neuen Zu sammensetzung persönlich z» begrüßen. Die Arbeiten der abgelaufenen Legislatur-Periode waren in vorwiegendem Maaße durch die Regelung der Verhältnisse in Anspruch genommen, welche aus der politischen Neugestaltung Deutschlands und aus den Folgen des letzten Krieges hervorgingen. Diese Regelung ist in der Hauptsache abgeschlossen. Die Gemeinsamkeit der Gesetzgebung zwischen dem Norden und dem Süden unsere« Vaterlandes ist in allen Gebieten, welche vor Gründung des Reiche« als ge meinschaftliche des Bundes behandelt wurden, fast ausnahmslos durchgesührt. Die gemeinschaftliche Finanzwirthschaft ist auf Grundlage der Verfassung geordnet und die voll ständig eingegangene Kriegskosten-Entschädigung wird nach Maaßgabe der über ihre Verwendung erlassenen Gesetze verausgabt. Die alten deutschen Lande, welche durch frühere Kriege dem deutschen Reiche entrissen und durch den Frankfurter Frieden wieder mit demselben vereinigt wurden, sind heute zum ersten Male in unserer Mitte verfassungsmäßig vertreten. Die erste Stelle unter den Vorlagen, über welche Sie, meine Herren, zu beschließen haben werden, nimmt der Entwurf eines allgemeinen Militärgesctzes rin, welcher in wenig abweichender Fassung bereit« dem letzten Reichstage Vorgelegen hat. E« ist nicht: bloS eine, in der Verfassung enthaltene Verheißung und ein durch die Erweiterung de« deutschen Heere« gegebenes Gebot, welchem durch diese Vorlage genügt werden soll; entschiedener noch, al« durch diese An forderungen, ist die feste Regelung der deutschen Wehrkraft und Wehrfähigkeit, geboten durch die erste Pflicht eine«-jeden staatlichen Gemeinwesen-: die Unabhängigkeit seine« Gebietes und die friedliche Entwickelung der ihm innewohnenden geistigen und wirthschaftlichen Kraft zu schützen. Die gesetzlichen Anordnungen, welche unmittelbar nach Beendigung de« Krieges zu Gunsten der Mi- litär-Jnvgliden getroffen worden sind, haben die Probe der seitdem gemachten Erfahrungen nicht irr allen Einzelnheiten bestanden. Zur Beseitigung der hervorgetretenen Mängel wird ihre Mitwirkung in Anspruch genommen werden. Nicht minder wollen Sie Ihre Aufmerksamkeit der Ausgleichung vow Härten zuwenden, welche die frühere norddeutsche Gesetzgebung über die Kriegsleistungen während de« letzten Krieges für zahlreiche Gemeinden zur Folge gehabt hat. Die verfassungsmäßige Rechnungslegung über die Einnahmen des Reiches entbehrt noch der endgiltigen Regelung in materieller wie in formeller Beziehung. Gesetz-Entwürfe über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Reiches und über die Einrichtung und die Befugnisse dcS Rechnungshofes sollen diese, von den verbündeten Regierungen, wie von dem Reichstage empfundene Lücke unserer Institutionen, ergänzen. Die Rechnungen über den Haushalt der Jahre 1867 bis 1870 werden Ihnen zur Entlastung vor gelegt werden. Die rechtliche Stellung der Presse ist bereits im verflossenen Jahre Gegenstand der Berathungen de« Bundcsrathes und des Reichstages gewesen. Da« Bedürfniß eines gemeinsamen Gesetzes über diest Materie ist außer Zweifel. Die verbündeten Regie rungen haben den von der kgt. preuß. Regierung, gestellten Antrag ihrer Berathung unterzogen, und sind bemüht, in dem Ihnen vorzulegenden Ergeb nisse ihrer Beschlüsse die berechtigten Ansprüche auf freie Meinungsäußerung durch die Presse mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, welche das öffentliche Interesse mit nicht minderem Rechte gegen den Mißbrauch dieser Freiheit erhebt. Eine Novelle zur Gewerbe-Ordnung, welche Ihnen vorgelegt werden wird, soll die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeit nehmern, durch Gerichte, deren Mitglieder aus beiden Lebenskreisen entnommen sind, in einem ein fachen, von jeder lästigen Form befreiten Verfahren sichern. Sie soll ferner Vorsorge gegen die Nach theile treffen, mit welchen die öffentliche Ordnung und die nationale Arbeit durch rechtswidrige Ein wirkungen auf den freien Willen der Arbeiter und durch den rechtswidrigen Bruch geschloffener Ver träge bedroht wird. Die große Verschiedenheit der zum Theil ver alteten, zum Theil ungenügenden Einrichtungen, welche an den deutschen Küsten zum Schutze der von Seeunfällen betroffenen Personen und Güter bestehen^