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NIEMA_/NDS ZEITGENOSSE ¥ Eine Zeit zieht sich die Leute heran, die sie braucht, die Macher, die Redner, die Gegner. Die Chronisten, um die Zieit zu beschreiben. Und gar - die Anachronisten. Gerade die unbarmherzigste Zeit schafft sich, aauf das Unerbittlichste, die, die sie nicht zu brauchen scheint, die sich im Nachhinein als Knoten in ihrem Netz erweisen. Diejenigen, die man nach dieser Zeit fragen wird, wenn sie vergan gen ist und sie vergangen sind, deren Worte man später gerade so sorgsam rekonstruieren wird, wie ihre Zeit seinerzeit sie gründlich und gleichgültig x zerpulvert. Wer ist ein Anachronist? "Meine Zeit, mein Raubtier, deinem Aug - hält ihm ein Auge stand?"(1922) "War niemands Zeitgenosse, wars in keiner Weise./Solch eine Ehre ist zu hoch für mich./Ein Greuel, wer da heißt, wie sie mich heißen./ Das war ein andrer, war nicht ich." 9(1924) "Mein Wolfshund-Jahrhundert, mich pakckts, mich befällts -/Doch bin ich nicht wölfischen Bluts." (1931) Die Zeit meu^cht sich Zeugen, nimmt einen der üblichen unüblichen Menschen her. Wenn die Revolution ausbricht, hat sie die, die sie braucht, schon zugerichtet,und das geht so weiter (werden sie hin- und hergerichtet ...). Der Zeuge ist nicht derjpntacigg, der sieht, sondern derjensige, der bezeugt, mit der ganzen Person. Je fremder er der Zeit erscheint, desto mehr bedeutet sein Zeugnis für sie, seiner Augen, seiner Lippen, und daß ers "unterschreibt mit beiden Händen". Soll daß etwa die Revolution sein, daß sie sich jemanden, jemand Anachronistischen, zurechtlegt, den sie nachher dann doch nicht ge brauchen kann, befremdet in Händen wendet und wgwirft? (Ja, so war sie, hätte sich selbst fast völlig aufgebraucht Wozu sonst Revolution, wenn nicht, um die Men sc i^e^zn'^nnnern. Und sie, selbstverständlich, die Menschen sind a± es, die die Zeit ändern, revolutionieren. Auch dieser, von dem hier die Rede geht: Ossip Mandelstam. Schon als sie noch niedergeschlagen und Epochen entfernt schien, gehörte er konstitutionell ihr, noch, als er grübelte, ob er sie verlassen oder sie ihn ausgespien habe, weil sie bzw. er es nicht wert seien, hatte er die Stimme, zu ihrer Rettung zu sprechen. "Ich fühle mich als Schuldner der Revolution, bringe ihr jedoch Gaben dar, die sie vorläufig noch nicht benötigt." (1928) Nein, fürchten Sie nichts, Anachxronist. Ihnen stehn immer noch Zukünfte offen. Diese hier, Jede. G a nz ähnlich so wie Ihnen die Vergangenheiten eigen sind. Jeder Moment gegenwärtig. Dieser hier. "Zeit wird, ihr wißt, auch ich bin Zeitgenosse -/Ich bin ein Mensch der Konsum-Konfektion,/Seht, wie der Sakko sich an mir verbeult,/ Wie ich zu schreiten weiß, und wie zu reden!/Versucht nur, reißt mich los von dieser Zeit,/Ich garantier, ihr brecht euch nur den Hals." (1931)