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nungen formen eine Art Fächer, dessen Flügel in der Zeit ent faltet werden können, der sich jedoch zugleich der Zusammen faltung fügt, die dem Geiste anheiagestellt ist." Die Eigendynamik der Gegenstände, die eigentlich zur Beschreibung hätten innehalten müssen,und gar jener "Erscheinung unter Erschei nungen", die der Dichter ist, erzwingt dann jene konzentrierte Fä higkeit, die Mandelstam beschreibt, um "die Ausführenden unter Kon trolle zu halten". Die "Ausführenden" sind die Objekte der Dich tung, (Je größer die Inspiration, je mehr Disziplin ist nötig.) So wird das Wort zum harnen, "Dreimal selig, wer einen Kamen ein führt ins Liec[T Tr heißt es in Mandelstams Gedicht "Der Hufeisen- Finder". Das geschieht dem Akaeisten unweigerlich, wenn er ehrlich bei der Arbeit ist. Es aber durchzuhalten,, gelingt nur,solange er auf der Höhe der Kraft ist. Sonst muß er Abstand nehmen - eine Di stanz unter der Maske der Gleichgültigkeit. In einem Gedicht Man delstama von 1931 heißt es: "Ich werde sanft Geschwindigkeit ent- wickeln/Und kühlen Schrittes gehn wir auf die Bahn;/Meine Distanz, ich halte sie." Er nimmt als Vergleich hier einen Jockei, bei dem ebenfalls Berechnung und Beteiligtsein in höchstem Maße miteinan der verbunden ist. Die große, unablässige Eaivität, die Mandelstam in seinem Manifest anstrebt ("Die Fähigkeit des Staunens ist die Haupttugend des Dichters.") und in seiner Dichtung erreicht, ist keine naturwüchsige, sondern erarbeitet aus einem Berg von Vorbe dingungen heraus, so gründlich, daß die Spuren dieser Arbeit kaum noch zu sehen sind, bzw. ganz selbstverständlich in den Zeilen und zwischen ihnen liegen. Nicht, weil sie einmal da ist, wird sämt liche verfügbare klassische, historische, literarische, philoso phische Bildung eingesetzt, werden die unscheinbarsten Anzeichen der Moderne (in Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft) aufgenomnen und eilnbezogenj sondern weil es unabdingbar ist, wird alles Wissen, das erreichbar ist, fcfe angeeignet. Das alles gehört zum Handwerks zeug, mit dem der Dichter umzugehen hat wie mit Metrum und Reim. Und das ist selbstverständlich nur eine Voraussetzung, die nicht hinreicht. Tynjanow, Literaturwissenschaftler der Formalen Schule, analysierte in "Zwischenzeit" (1923) u. a. Mandelstams Technik: "...die 'gestohlene Verbindung' ... entsteht von Vera zu Vers, die Färbung des Wortes geht in keinem Vers verloren, sie wird in nachfolgenden verdichtet." "Seine Arbeit ist fast die Arbeit eines Ausländers an der Lite ratursprache. Und deshalb ist Mandelstam reiner Lyriker, ein Dichter der kleinen Form. Seine chemischen Experimente sind nur auf kleinstem Raum möglich ... Bei Mandelstam gibt es das“ Wort nicht als klingende Münze. Bei ihm gibt es Nuancen, Wechsel- Briefe, die von Zeile zu Zeile weitergegeben v/drden." ► X ‘ Do geht dex Akmeist, oas vielfach übermalte, riesige und schwere ; Zifferblatt der Geschichte elegant zum Fächer gefaltet unterm Arm, • durch seine Zeit, seine Revolutionen. Br ist Zeitgenosse in seiner Zeit - nicht mehr als in jeder anderen allerdings, mit der heim lichen würde des Steins. ,111 die Zeiten, die ihm gehören, ihnen ge hört auch er. Das neunzehnte Jahrhundert hatte die (klas ische) Physik für abge schlossen erklärt, die Elemente waren periodisiert, die bürgerli che Gesellschaft in V/esteuropa etabliert. Alles schien in einem anschaulichen Gleichgewicht zu ruhen, zumindest der Weg war richtig, Beunruhigungen, gar Katastrophen schienen ausgeschlossen. Kriege waren weit weg. Die Menschen konnten versuchen, sich ihr geruhsames Weltbild von störenden Einbildungen freizuhalten. Der Materialis mus von Vernunft, Bürgertugend, technisch verwertbarer Naturwis senschaft war so mechenaisch geworden, daß er einen zunehmenden Beigeschmack von objektivem Idealismus bekam, sein innerer Zusammen hang zur Zwinge wurde*die Ordnung, die Sphärenharmonie geriet zur treu i