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Ich. glaube, die Zeitlosigkeit eitler Dichtung kann nicht gewünscht und auch nicht bewirkt werden. Dichtung steht immer in einem produktiven (oder auch unproduktiven) Verhältnis zur Zeit. Ein wirklicher Dichter ist immer leidenschaftlicher Sohn seiner Gesellschaft, und Welt ist für ihn immer gegenwärtige Welt, und der sozialisti sche Dichter weiß, wo die Ideen seiner Kunst entsprin gen« aus der Tiefe des werktätigen Volkes, und er spürt inner das Bedürfnis und die Verantwortung in sich, seine Kunst dorthin zurückzugeben. Er weiß, sein Wort kann nur treffend sein (und dann vielleicht auch zeitlos gültig), wenn er sich den Forderungen des Tages stellt. Die erste Quelle der Dichtung ist immer das Leben selbst, die Wirklichkeit, die den Dichter umgibt. Johannes R. Becher sagte in seiner "Verteidigung der Poesie"* "Mancher Dichter versucht aus der Tatsache, daß Dichtung eine Art erhöhtes Leben ist, in ihr einen erhöhten Standpunkt zu gewinnen, der über allen ge schichtlichen Ereignissen im Vakuum schwebt. Daß ein solch erhöhter Standpunkt in Wirklichkeit ein ganz nied riger ist, keinerlei Übersicht und Aussicht bietet, dar über haben wir schon einiges geschrieben, aber man muß immer wieder gegen das Erhöhte zu Felde ziehn, womit das Minderwertig© marktschreierisch prahlt." (1) Wo es aber eine große Dichtung gibt, und auch das lehrt uns Becher, da gibt es auch Überlieferung, da wird das schöne und das Vorgefundene ahre weitergetragen, ehr fürchtig, aber auch kritisch, von Geschlecht zu Ge schlecht wie beim Stafettenlauf. Jeder Nachgeborene fin det viel Vorgegebenes, was er sich erst durch eigene Kraft erringen muß und, davon ausgehend, weiterbildet.