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ELEKTROTECHNISCHE RUNDSCHAU. No. 1. 1903/1904. 7 XXI. Jahrgang industrie kann aus der Ausbeutung der Wasserkräfte durch die leichte Verteilung der elektrischen Kraft von einer Zentrale aus großen Nutzen ziehen. Die großen europäischen Kohlenlager werden immer mehr erschöpft, ihr Ersatz durch amerikanische Kohle stößt wegen der Transportkosten auf Schwierigkeiten. Die Ausnützung der Wasserkräfte ist daher für die industrielle Zukunft eines Landes von großer Wichtigkeit. Dies hat man in Italien seit einiger Zeit wohl erkannt. Schon in den Jahren 1896—1898 hat sich die Zahl der durch Wasser erzeugten Kraft von 50,000 auf 120,000 Pferde kräfte gehoben. Die durch Wasserkraft erzeugte Elektrizität über wog schon damals die durch Dampfkraft erzeugte und ist seitdem in schnellem Tempo gewachsen. In der Nähe von Mailand befinden sich zwei riesige Elektrizitätsanlagen. Die eine ist die der Edison- Gesellschaft gehörige bei Paderno. Die aus der Adda gewonnene Elektrizität bewegt die 400 Wagen des Mailänder Straßenbahnnetzes und speist 1500 Bogen- und über 100,000 Glühlampen. Die der Societä per la distribuzione di energia elettrica gehörige Anlage bei Vizzola zieht aus dem Ticino 24,000 Pferdekräfte. Es ist das groß artigste Werk dieser Art in Europa, und man berechnet, daß es allein dem Lande jährlich 2'la Millionen Lire für Kohlen spart. Kleinere, aber immerhin noch bedeutende Anlagen bestehen oder entstehen in Schio, Brescia, Bergamo, Busseieno, Sondrio, Vigevano, am oberen Anio, am Naviglio grande (Tessin), in Morbegno im Veltlin, an der Stura u. s. w. Die Mittelmeerbahn betreibt mit gutem Erfolg außer einigen kleineren Bahnen die 75 Kilometer lange Strecke Mailand-Porto Ceresio durch Elektrizität und hat dadurch die Mög lichkeit des Ersatzes der Dampfkraft für den Bahnfernverkehr als erste praktisch erprobt. Auch die Wissenschaft steht der Frage nicht teilnahmslos gegenüber. Professor Nitti von der Neapeler Universität hat sich mit ihr in Gemeinschaft mit hervorragenden Technikern eingehend beschäftigt. Er schätzt die Wasserkräfte Italiens auf 5 Millionen Pferdekräfte. Abgesehen davon, daß Italien an und für sich in dieser Beziehung das reichste Land Europas ist, zeichnet es sich auch durch eine sehr günstige gleichmäßige Verteilung aus. Während in Frankreich die Wasserfälle auf die Alpen- und Pyre näengegenden konzentriert sind, verteilen sie sich in Italien auf die ganze apenninische Halbinsel und sind infolge der langgestreckten Gestalt des Landes überall nur wenig vom Meere entfernt und auch nahe den großen Städten. Endlich befinden sich die meisten in den bevölkertsten Gegenden und lassen sich infolge ihrer starken Gefälle leicht ausnützen. Durch alle diese Umstände befindet sich Italien in sehr günstiger Lage sogar der Schweiz, Schweden und Ungarn gegenüber. Eine interessante Anlage kommt neuerdings in Mittel-Italien zur Ausführung. Es handelt sich um die elektrische Sekundärbahn von der Station Castelraimondo nach Camerino. Außerdem wird die Stadt Camerino von derselben Zentral station mit elektrischer Energie für Beleuchtungs- und Kraftzwecke versehen. Die erforderliche Betriebskraft liefert der Flui Potenza und zwar werden mittels eines Gefälles - von 17 m ca. 600 PS gewonnen. Es kommen vorläufig 3 Reaktionsturbinen mit horizontaler Achse für je 200 PS zur Aufstellung, an welche direkt drei Dreh strom-Generatoren von derselben Leistung bei 5000 Volt Spannung gekuppelt werden. Zwei getrennte Hochspannungslinien führen zur Bahnunterstation bezw. zu den drei Unterstationen für die Beleuchtung in Camerino. Die Bahnunterstation erhält zwei rotierende Drehstrom- Gleichstrom-Umformer für je 120 KW Leistung, welche den Dreh strom von 380 Volt auf 600 Volt Gleichstrom umformen. Zwei Drehstrom-Transformatoren dienen zur Herabsetzung der Spannung von 5000 Volt auf 380 Volt. Das Anlassen der rotierenden Umformer erfolgt durch eigene Anlaßgruppen, bestehend aus einem asynchronen Drehstrommotor, gekuppelt mit einer Gleichstromdynamo. Die Bahnstrecke hat eine Länge von fast 12 km und weist durch weg starke Steigungen und scharfe Kurven auf. Die mittlere Steigung ist von 6—7°/o; die letzten 800 m der Linie haben jedoch eine Steigung von 9,6 °/o. Der Bahnkörper wird mit Vignolschienen von 1 m Spurweite ausgerüstet. Der Betrieb erfolgt sowohl mit Motorwagen für Passagiere als auch für Lastbeförderung und an dieselben werden die Anhängewagen angekuppelt. Die Motorwagen erhalten den Strom durch zwei Stromabnehmerbügel von der ober irdischen Kontaktleitung. Die Rückleitung des Stromes erfolgt durch die Schienen. Mit Rücksicht auf die starken Steigungen der Strecke sind die Wagen und Motoren von äußerst kräftiger Konstruktion und mit verschiedenen mechanischen und elektrischen Bremsen ver sehen. Für die Beleuchtung in Camerino wird die Hochspannung in den Transformatorenstationen von 5000 Volt auf 130 Volt Dreh strom reduziert. Das Leitungsnetz ist für eine Leistung von 2500 gleichzeitig brennenden Glühlampen vorgesehen. Die ganze hydraulische und elektrische Anlage wird für Rechnung der Societä Anonima per ferrovie elettriehe in Camerino von der Societä Italiana Lahmeyer in Mailand ausgeführt. (Schw. Bl. f. E.) Eine gross artige Elektrizitätsübertragung ist jüngst von St. Maurice nach Lausanne ausgeführt worden. Die Leitung ist eingerichtet für die Vermittlung von 5000 Pferdestärken auf eine Entfernung von etwa 56 Kilometer und bietet in einer Hinsicht für die Technik eine vollständige Neuheit. Sonst wird nämlich für die Uebertragung starker elektrischer Ströme auf großen Abstand immer Wechselstrom oder sogenannter Dreiphasenstrom benutzt, während in diesem Falle hochgespannte direkte Ströme zur Anwendung kommen. Die Wahl dieses Systems hat eine größere Einfachheit der Anlagen ermöglicht, ohne ihre Wirksamkeit abzuschwächen. Auf dem langen Wege gehen nur 6°/ 0 des in die Leitung geschickten Stromes ver loren. Die Spannung beträgt bis 22300 Volt, die Stromstärke 150 Amperes. Die Maschinen zur Elektrizitätserzeugung im Kraftwerk von St. Maurice — der Ort ist bekanntlich etwa 20 Kilometer ober halb der Rhonemündung in den Genfer See gelegen, sind zu 150 Amperes und 2000 Volt bemessen und werden in Reihen verbunden. Die hohe Spannung macht ganz besondere Vorsichtsmaßregeln bei der Isolierung nicht nur bei der Maschinenbewieklung sondern auch der Maschine selbst notwendig. Bei der ersteren geschieht die Iso lation auf gewöhnliche Weise, außerdem aber sind alle aktiven Teile der Maschinen von ihrer Umgebung durch den glimmerartigen Stoff Mikanit geschieden. Außerdem sind die Maschinen von der Erde durch schwere Isolatoren aus Porzellan getrennt, worin die unteren Enden der Grundplatten eingelassen sind. Die ganze Anlage bildet ein rühmliches Blatt in den Annalen des Fortschritts der in der Schweiz mächtig aufstrebenden Ausnützung natürlicher Kraft zur Be schaffung von Elektrizität. Das Jubiläum der Bogenlampe. Die Vossisehe Zeitung be richtet unterm 2. Sept. Das elektrische Bogenlieht erstrahlte heute vor fünfundzwanzig Jahren zum erstenmale neben dem trüben gelblichen Gas licht in den Straßen Berlins. Als am Abend des Sedantages die Menge froh bewegt, war doch damals die Kunde gekommen, daß der von mörderischer Hand schwer verwundete greise Kaiser in Teplitz und Gastein Heilung und Genesung gefunden habe, nach der Königstraße zog, da erstrahlte von der obersten Galerie des Rathausturmes das elektrische Bogen licht. Vier Fresnelsche elektrische Scheinwerfer warfen die bell leuchtenden weißen Strahlen über die ganze Stadt hinweg. Freilich ziemlich umständlich war die durch die Firma Siemens & Halske bewirkte Einrichtung dieser Beleuchtungsanlage gewesen. Drei für Kriegszwecke gebaute, auf Lafettenunterbau montierte Lokomobilen, die auf dem großen Mittelhofe des Rathauses Aufstellung gefunden hatten, dienten zur Erzeugung des elektrischen Stromes, und jeder der damaligen Reflektoren hatte noch das ansehnliche Gewicht von sechs Zentnern. An demselben Abend sah man das neue Licht auch vom Gebäude der Firma Siemens aus erstrahlen. Jedenfalls hatten diese Versuche das Kuratorium für das städtische Beleuehtungs- wesen veranlaßt, sofort den damaligen Dirigenten der Gasanstalt am Stralauer Platz, Herrn Fischer näch Mühlhausen und Paris zu senden, um sich von den dortigen Einrichtungen und den gewonnenen Ergeb nissen zu unterrichten. Wurden doch damals in Paris zur Zeit der Weltausstellung die Versuche mit dem Bogenlichte Jablochkoffs im großen angestellt. Der russische Ingenieur, der dem russischen Kriegsministerium vergeblich seine Erfindung angeboten hatte, war mit ihr nach Paris gegangen, hatte dort eine Gesellschaft gegründet und beleuchtete nun für die Dauer der Ausstellung umsonst den Trocadero- Place und Avenue de l’Opera usw. Die großen Waren häuser, Restaurants, Theater usw. beeilten sich, das Bogenlicht einzu führen, der Erfolg Jablochkoffs war so durchschlagend, daß der Er finder nach drei Monaten, trotz der Riesenunkosten der Ausstellungs beleuchtung, 40000 Rbl. als Reingewinn vom Verkauf seiner Appa rate an Pariser Magazine heimschicken konnte, und daß man ihm für die Abtretung seiner Rechte vergeblich 2 1 / 2 Millionen Rubel bot. In Berlin hat es ja ziemlich lange gewährt, bis sich auf Grund der fortschreitenden technischen Vervollkommnung das elektrische Licht allgemein einführte. Wenn aber irgendwo, so trifft hier auf diesem Gebiete das Sprichwort zu: „Was lange währt, wird gut.“ Der Fremde, der heute nach Einbruch der Dunkelheit in Berlin auf dem Potsdamer Bahnhofe eintrifft und von dort hinabblickt auf die bunt belebte Leipziger Straße mit ihrer endlos sich hinziehenden riesigen Perlenkette von elektrischen Bogenlichtern, den ebenso glanzvoll be leuchteten Schaufenstern usw. wird rückhaltslos zugestehen, daß Berlin heute doch nicht nur eins Millionen- und Weltstadt, sondern auch eine Lichtstadt ist. — (In Frankfurt wurden die ersten Bogen lampen zur Beleuchtung von Läden, Restaurants, Geschäftshäusern usw. im Jahre 1884 eingeführt.) Neues von der drahtlosen Telegraphie. Englische Zeit schriften bringen die Nachricht, daß Marconi einige neue Erfindungen | gemacht habe, welche die Uebermittelung und den Empfang von mittels drahtloser Telegraphie gegebenen Depeschen auf weite Ent fernungen wesentlich erleichtern sollen. Diese Erfindungen sollen geradezu umwälzender Natur sein. Nach der Mitteilung eines Mit gliedes der American Marconi Company sollen Maste und Türme für die Uebermittelung von Depeschen über den Ozean nunmehr unnötig geworden sein und soll die Fortpflanzung der elektrischen Wellen längs der Meeresoberfläche erfolgen. Ferner sollen Apparate hergestellt worden sein, welche die durch die Atmosphäre hervor gerufenen Störungen vollständig beseitigen. Endlich soll die Ab stimmung (der Syntonismus) der Apparate bereits aus dem Versuchs felde herausgetreten und zur sicheren praktischen Verwirklichung gelangt sein. Die New York Cential Railway hat das System de Forest der drahtlosen Telegraphie für ihre Expreßzüge angenommen und es werden jetzt die Wagen mit den erforderlichen Einrichtungen versehen. Die in Amerika angestellten Versuche mit schnellfahrenden Zügen durch die drahtlose Telegraphie zu verkehren, haben befriedigende Ergebnisse gehabt, sodaß viele große Eisenbahngesellschaften dem Beispiel der genannten Gesellschaft folgen werden. Man hofft