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wird nun ohne Inanspruchnahme der Willenskraft und selbst ohne Bewußtsein ausgeführt. Bekannt ist die Geschichte von dem alten Soldaten, den ein Spaßmacher sein Mittagbrot nach Hause tragen sah und plötzlich „Achtung!" rief, worauf der Mann sofort seine Hände nach unten streckte, so daß das Gefäß mit Fleisch und Kartoffeln zu Boden stürzte. Das Exerzitium war gründlich ge wesen, es erfolgte die That auf das Wort, ob der Soldat daran dachte oder nicht. Die Möglichkeit jeder Erziehung und besonders jeder technischen Ausbildung beruht in dem Vermögen unserer Nerven, bewußte Verrichtungen in mehr oder weniger unbewußte oder Reflex- thätigkeiten umzuwandeln. Man beachte nur, was z. B. beim lauten Lesen vorgeht. Da wird das Buch in der Hand gehalten, in die richtige Entfernung vom Auge gebracht; die Augen bewegen sich hin und her über die Zeilen und auf den Seiten auf und nieder. Zur Hervorbringung der Sprache aber sind wieder die auf das genaueste angepaßten und äußerst zusammengesetzten und raschen Bewegungen der Muskeln der Lippen, Zunge, Rachenenge und des Kehlkopfes so wie der Atmungsmuskeln nötig. Vielleicht steht dazu der Leser noch und begleitet das Lesen mit entsprechenden Gebärden. Das alles aber wird ausgeführt, ohne daß dem Leser das Geringste davon, außer dem Sinne der Worte im Buche, zum Bewußtsein kommt; alle diese Thätigkeiten sind also zu Reflexthätigkeiten geworden. Hierher gehört in gewisser Weise die Thatsache, daß der einen Empfindungsnerven in seinem Verlaufe treffende Reiz nicht an dieser Stelle, sondern an seinem Ende empfunden wird. So fühlt man, wie schon erwähnt, bei einem Stoße an dem hinter dem inneren Ellbogenknorren verlaufenden Nerven den Schmerz nicht dort, sondern als ein Kribbeln im vierten oder fünften Finger. Alle Operierten haben noch lange Zeit, ja zeitlebens, das Gefühl, als besäßen sie noch das abgelöste Glied, sie empfinden Schmerz, Frost rc. nicht an der Lösungsstelle, sondern am abgelösten Fuße rc. Die Empfindungsnerven bewirken nicht alle ein und dieselbe Gefühlswahrnehmung. Einige von ihnen, wie die Sinnesnerven, er zeugen besondere Sinneswahrnehmungen, andere, wie die Tastnerven, vermitteln allgemeine Gefühlswahrnehmungen, als Druck, Schmerz, Hitze, Kälte rc. Ein Sinnesnerv kann nie wie ein Tastnerv empfinden, und umgekehrt kann ein Tastnerv nie einen Sinnesnerven vertreten. Ein für eine solche besondere Empfindung bestimmter Nerv, er mag durch was immer für Reize erregt werden, kann nur solcheEmpfindungen Hervorrufen, als er überhaupt zu veranlassen vermag; so wird der Sehnerv, mag er nun durch Druck, Galvanismus oder Lichtstrahlen gereizt werden, immer nur Lichtempsindungen erzeugen (Gesetz der spezifischen Energie). 3. Die Übertragung eines Reizes von der einen Faser auf die andere findet nnr in den Mittelpunkten des Nervensystems statt. Wenn jedoch unser