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schweren Schritten die Straße hinab. „Dar kimmt wull goar ni ürieberweg! Na anner Neuen imsahn, öoaß a uff ander Gedanken kimmt! Sunst dv sah'ch mir Gefoahr! Dar kroabbelt senner Fron bahle anoch!" sagte er vor sich hin. Als Johann zu später Stunde heimkehrte, ging er nicht wie sonst sofort hinauf in die Kammer, sondern in die Stube, wo seine Mutter noch saß. Sie erschrak vor ihm,' denn seine Züge waren un heimlich verändert, und er schwankte. „Was ist Dir, Johann?" Er zog einen Stuhl herüber zum Kinderkorbe und winkte, indem er sich niederließ, die Mutter heran. Sie setzte sich neben ihn und faßte seine Hand. Da zog er den Vorhang zurück. Das Kind schlief. Frau Alwine beobachtete ihn genau und las nicht wie am Morgen, als sie ihm das Kind darreichte, Haß und Feindschaft, sondern Mitleidsqualen von seinem Gesicht. „Ni utter " Der Ton, in dem er dies eine Wort Hervorstieß, ver riet ihr, daß er neue schwere Kämpfe durchmachte. Seine Hand fester fassend, als konnte sie ihm von ihrer Kraft mitteilen, bat sie ihm, sich ihr ganz anzuvertrauen. „Mutter, wenn es auch nicht schuldig ist Es kann unschuldig sein, das kleine Kind, aber — seinetwegen mußte Elsa doch gehen!" „Johann, so furchtbar traurig es ist. Du mußt weni ger daran denken! Du gehörst dem Leben. Und denke, wie schlimm es wäre, wenn Elsa auch das Kind mitgenommen hätte! Du hättest garnichts mehr!" „Besser wäre es. Es stünde nichts zwischen uns, zwi schen mir und Elsa. Ich gehöre der, der ich immer gehörte. Aber immer, immer zwängt sich das Kind dazwischen. Elsa lebt, solange ich mit ihr allein bin, aber sie stirbt mir jedesmal, wenn ich das da sehe!" „Johann!" „Es klingt grausam, ich weiß. Aber es ist so. Kannst Du das verstehen, Mutter? Das Kind ist Elsas Tod. — Laßt mich mit Elsa allein!" Die Mutter sah ihn an, sie ahnte, zu welchem Schlüsse der unglückliche Mann gelangt war. Sie sah aber auch, unter welchen Qualen er dahin gekommen war. „Mutter, wenn Du mir helfen willst — nimm das Kind fort!" Das war keine Grausamkeit, keine Härte. Es war ein Flehen. Und zum ersten Male fühlte sich Frau Alwine nicht als die Stärkere. Das Mitleid mit diesem Vater wurde mächtig in ihr. Mußte sie diesem Unglücklichen, der ihr Sohn war, nicht helfen, wenn er um Hilfe flehte? Sie zog ihre Hand zurück, und sah ihn mit einem schmerzlichen Blicke än. „Wohin?" „Fort!" Sie schwiegen. „Hast Du an Elsas Eltern gedacht?" fragte die Mutter dann. „Ich kann's ihnen nicht ersparen. Ich werde mit ihnen — —" „Nein, laß es, Johann, ich rede mit ihnen." „Ich danke Dir, Mutter! Du nimmst mir was Schwe res ab!" * Es war allerdings etwas Schweres gewesen, den alten Leuten deutlich zu machen, daß in Johanns Brust die Gat tenliebe die Vaterltebe nicht aufketmen lassen wollte. So hatte das arme Kind keine Mutter, keinen Vater! Und sollte auch keine Heimat mehr haben? Auch die Großeltern sollten es nicht mehr führen können? Denn aus Liebschers Verwandtschaft kam niemand in Frage, das Kind aufzu nehmen. Aber es gab jemanden, dem sie alle drei das Kindchen anvertrauen wollten, das war Frau Alwines verwitwete Schwester. Die war kinderlos geblieben und hatte oft ge klagt: wenn mir nur ein einziges Kind geschenkt worden wäre! Als sie Johann zu seinem Töchterchen beglück wünscht hatte, hatte sie deutlich zu verstehen gegeben, daß sie wünschte, diesem Kinde Patin werden zu dürfen. „Wie schön muß das sein, wie glücklich muß das machen, für ein Kind zu sorgen, zu arbeiten, zu leben! Wie einsam bin ich!" So hatte sie geschrieben. Diesen Brief hatte Frau Alwine mitgenommen zu Liebschers, sie las ihu vor. „Gewiß, do wär's a guten Händen! Die meent's gutt!" sagte Vater Liebscher. Seine Frau jammerte: „Su weit! Su weit!" Aber schließlich stimmte sie zu. „'s is doch kee Frem des. Sie wird doch a Harze hoan fir doas oarme Wirmel. Und su alt wie mir oalle is se o ni. Wenn's senn muß, Alwine, do schreib ihr ok!" Auf Frau Alwines Brief traf kein schriftlicher Be scheid, sondern nach drei Tagen die Schwester selber ein. Und dann brachten die beiden Frauen das kleine Kind nach seiner neuen Heimat Der Vater war in der Kammer geblieben, bis sie zur Reise fertig gewesen waren. Dann war er gekommen, um Abschied zu nehmen. Er hatte auch stumm feines Kindes zartes Händchen gestreichelt, hatte sich schnell umgewandi und war wieder hinaufgegangen. 6. Die Dorfgenossen, die am Geschick des Heiöornschen Hauses warmen Anteil genommen hatten, fühlten Mit leid mit dem elternlos gewordenen Kinde. Mit dieser edlen Empfindung mischte sich aber eine andere. Was da im Bäckerhause vorging, war den einfachen Menschen un verständlich, rätselhaft. Rätsel aber quälen einen, sie wol len gelöst sein. Und so hatte sich denn jeder auf seine Art das Verhalten des Bäckers ausgedeutet. „Ar is imartng gewurn!" sagten die einen. „A richtger Roabenvoater!" die andern. Die letztere Meinung gewann an Boden, als man be obachtete, daß Heidorn, nachdem das Kind fortgebracht war, wirklich etwas auflebte. „Nu ja, do yoat irsch: ar hoat's ok wulln lus senn, doas oarme Wirmel! Doas «rechte nu schuld senn. Wenn schunn die Mutter weg is, drno! Su a Moannsen hoat kee Harze! Kee Vieh is su unnatierlichl" zankte die Heb amme in Bungerts Hofe, wo ein halbes Dutzend müßi ger Frauen beieinanderstanö. Die Bungerten spuckte aus. „Pfui!" Dann wendete sie sich zu ihrer zweiten Tochter: „Wie gutt woar's, Selma, doaß Du dann Karin ni wuchst!" Man stimmte ihr Lei. „Ja, 's muß wirklich a goar Feiner senn!" entgegnete die Selma mit vielsagender Gebärde. „Die ahle Heidnrn soll's fir die Hichste Zeit ghaln hoan, doas Kindl aus 'n Hause zu brengen, sonst wär amende noa woas andersch poussiert! Ar hoat's doch ni kinn drsahn!" „Su ein Roabenvoater!" riefen die Frauen voller Entrüstung. Und wie die Sperlinge vom Hühnerfutterplatz auf und davonstoben, wenn die Bungert-Bäuerin wütend ihren Holzpantoffel nach ihnen warf, so flatterten von da aus boshafte Gerüchte durchs Dorf. Zur selben Stunde saß Johann Heidorn in seiner stillen Kammer und hielt Zwiespruch mit seinem Weibe. Auf ihrem Bettrand saß er, ihr Bild in der zittern den Hand. Halblaut redete er es an,' denn es war kein Bild nur, sein Weib lebte, und er vernahm ihre Stimme und sah sie freundlich nicken und fühlte den Hauch ihres Atems.