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Und doch, trotz der kargen oder gerade wegen der einfachen Nahrung, kannte man die vielen so fremd klingenden Krank heitsnamen nicht. 2lm Feierabende, der oft genug spät war, erklang von der Hausbau? die Handharmonika. Kam der Sonntag heran, wurden für 20 Pfennige Semmeln gekauft. (Wurst und feine Leckerei kannte man in der (Weberstube das ganze Jahr nicht. 2ln Feiertagen wurde über den Wirkestuhl (manche sagten auch Gezeehe) ein weißes Tuch gelegt, und alt und jung ging jzur Kirche. Kam der heilige Abend heran, wurde der alte hölzerne Christleuchter mit Äpfeln, Nüssen und Zuckerketten behangen, mit Krippenfiguren geschmückt, und die runven Glaslämpchen mit Rüböl ersetzten die heutigen Wachslichter. Zur Christnacht holte man sich ein gelbes oder buntgeringeltes Wachsstöckchcn beim Krämer, und mit Leuchter oder Mes singbüchse ging es zur Kirche. Die vielen hundert brennenden (Wachslichter erzeugten eine eigenartige Feierstimmung. Nach der Christnacht hatte auch im ärmlichen (Weber- stübchen das Christkind und der Ruprecht seine zwar wenigen, aber doch auch mit viel Liebe gespendeten Gaben für uns zu recht gelegt. (Mochten nun (Wochen um (Wochen in eintöniger Arbeit dahingehen, so kamen doch hin und wieder frohe Stunden da zwischen. (Wenn am Abend die „Lichtcngänger" mit der Gi tarre kamen und ihre bekannten Volkslieder sangen, oder wenn zur Dämmerung der Nachbar kam, die Strohwische (statt Jalousien) am Fenster hochgczogen waren und eie Wirkelampe (ein einfaches Drahtgestell mit weißem Pon-l- lanschirm) ihren matten Schein verbreitete, lauschte man ge spannt den (Worten, die von vergangenen Zeiten und Dingen erzählten: vom großen (Wasser, von Karaseck und vom Pascher friedel oder von der Burgöberg- und Tollensteinsage und ande ren Erzählungen, dann war Glückseligkeit und Heimlichkeit auch im ärmlichen (Weoerstübchen. Ach wie liegt so weit unsre Kinderzcit, wo Treibradsum men und Kindergesang sich verband und der (Wirkstuhl mit seinem Schlicketeschlackete den Takt dazu gab! Diese Töne find heute verklungen und fast vergessen, neue Sitten und neues Leben steigt um uns herum empor. Die Fabriken haben alles aufgesogen, und die (Maschii.n verrichten die Arbeiten in viel kürzerer Zeit, als es (Menschen je fertig brachten. Allerdings ist damit ein schönes Stück ört liches und ländliches Heim- und Hanöleben verschwunden, was trotz aller Armut und Kärglichkeit doch schön war. Das heu tige Zeichen der Zeit ist Hasten, Jagen und Rennen gegen einstige Gemütlichkeit, Zufriedenheit und Genügsamkeit im traulichen (Weberstübchen. Hinter uns Vergangenheit mit ihrem Dämmerdunkel. Um uns her die Gegenwart mit ihrem Lichtgefunkel. Eine der ältesten und wohl auch der letzten solcher Weber stuben mag in dem alten einstöckigen Häuschen gewesen sein, das bis zum Jahre 4922 da stand, wo heute das Konsum- vcreinsgebäude steht. Am Hinteren Giebel des Hauses stand eine hohe, schöne Linde und dicht bei der Haustür ein Brun nen. Der im Hause lebende ..Müller-Ernst" war ein Weber und Landgänger vom alten Schrot und Korn. Im Vberdorfe