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Unter diesem Täfelchen lag ein von Holz gearbeitetes Kind, welches sich mit dem einen Arm, worauf sein Kopf ruhte, auf einen Totenkopf stützte. Die dabei befindlichen Buchstaben V.U.^.U.6.^. V. deuten auf den Wahlspruch des im Grabe Schlummernven an, nämlich „Unser Heil im Leben Jesus Christus inusw."In der Mitte des Kreuzes war eine größere Ooaltafel angebracht,aus welcher folgendes in goldenerSchrift zu lesen war: Aus Gott geboren, in Jesu verschieden, mit dem heiligen Geist versiegelt, ruhet allhier Jakob Böhme von Alt-Seidenberg. ^f- O 1624 den 17. November um 6 Uhr B. im 50. Lebensjahre, seeligltch verschieden. Am rechten Arm des Kreuzes war ein schwarzer Adler auf einer Felshöhe zu sehen, welcher in den Krallen des aufgehobenen rechten Fußes einen Palmenzweig hielt.mitdem anderen aber einer Schlange, die sich um seine Schenkel gewunden, aus den Kopf trat; mit dem Schnabel hatte er einen aus der Sonne ihm dar gereichten Ltlienstengel erfaßt, wobei das Wort Bede zu lesen war. Bon den zwei berühmten Schuhmachern deutscher Ge schichte, Hans Sachs und Jakob Böhme, ist jener ohne Zweifel der volkstümlichere. Seine treuherzigen Legenden werden noch heute von Schulkindern gelesen und seine dra matischen Spiele und Schwänke hier und da aufgesührt. Goethe und Wagner haben ihn besungen; aber der geistig Bedeutendere ist unstreitig der Görlitzer Meister. Wenn der Engländer Bulwer recht gesagt hat, daß wir „Das Volk der Dichter und Denker" sind, so ist Jakob Böhme dafür der beste Beweis. Es ist ein Wunder menschlichen Geisteslebens, daß ein Mann mit einfacher Schulbildung, der außer seiner Bibel nur einige mystische Bücher gelesen hatte, zehn Bände voll grüblerischer Gedanken hinterließ, welche die letzten schwierigen Probleme der Vernunft zu lösen sich bemüht; Gedanken, die Jahrhunderte später große Philosophen, wie Schelling und Hegel, als Grundlage ihrer Systeme über nahmen. Nicht ein Wegweiser meinte er zu sein, sondern ein Teosoph, ein unmittelbar von Gott gelehrter, dem es ver gönnt war, durch den Geist die Tiefen der Gottheit zu er forschen. Mancher der damaligen hochmütigen Patrizier und wohl gelahrten Herren dachte wohl nicht, daß des armen Schusters Name noch fortdauern und leben würde; während der eigene Leiv schon längst zu Staub und Asche geworden, das eigene stolze Ich dem großen Nichts zerfallen würde. Jakob Böhme ist sicher der bedeutendste Tote auf dem schönen Kirchhof in Görlitz, der gotterleuchtete Teosoph und größte Mystiker des 17. Jahrhunderts. Er war seltsam veranlagt. Bon Natur klein und unan sehnlich, aber mit dem Seherblick eines Somnambulen be haftet, verfiel er oft in ganz verrückte Zustände, weltentrückt, und hatte hierbei Erscheinungen, die er in zahlreichen Schrif ten niederschrieb. — Als er auch mit Kameraden in seiner Jugend auf der Landeskrone bet Görlitz war, sah er plötz lich entfernt von oen andern, wie sich im dichten Gestrüpp dcr Fels teilte und ein großer Schatz blinkenden Goldes sicht- bar wurde. Es befiel ihn aber ein derartiger Schreck, daß er wie gelähmt war und nachdem er sich von seinem Staunen erholt hatte, riefen ihn seine Kameraden, er eilte ihnen nach, ohne etwas von dem kostbaren Metall genommen zu haben. Seine Geburtsstätte war Alt-Seidenberg bei Seidenberg, nahe an der böhmischen Grenze, wo sein Vater ein kleines Bauerngut besaß, mit dem er eine zahlreiche Familie zu er nähren hatte; Böhme hat über die weiteren Jahre als Schuh machermeister in Görlitz gelebt. Böhme war verheiratet und soll vier Söhne gehabt haben, von denen keiner die herrlichen Gaben des Vaters geerbt hat. Er erwarb ein Häuschen im heutigen alten Stadtteil, das im 30jährigen Krieg zerstört wurde. Im Hause Prager Straße 12, in dem er mit seiner Familie wohnte, ist an seinem 300jährigen Todestage eine Gedenktafel angebracht worden. Seine biedere Gefährtin überlebte ihn noch mehrere Jahre, sie widmete sich der Krankenpflege, während die Pest in G. herrschte, bekam schließlich selbst diese furchtbare Krankheit und starb daran. Von seinen 4 Söhnen berichtet die Chronik nichts. Damals sind durch diesen entsetzlichsten aller Kriege so unendlich viel Werke verloren gegangen, von denen manche nie ersetzt wurden. Biele Schriften von Jakob Böhme kamen nach England, Holland und Amerika, wo er berühmt wurde, wo sich die Gelehrten viel mit seiner seltenen Per sönlichkeit beschäftigten, während Deutschland, das durch politische Wirren und durch den Niedergang der Kultur aus Jahrhunderte zurückgegangen war, wenig Interesse für den seltsamen Schwärmer und seine tiefsinnigen Schriften zeigte und seine Teosophle fast in Vergessenheit geriet. Die Stadt Görlitz hat dieses Unrecht wieder gut gemacht, indem sie unserem berühmten Görlitzer Bürger ein Denkmal gesetzt hat. Es verdankt seine Entstehung einer Anregung, die gelegent lich der Hans-Sachs-Feier im Jahre 1894 siel. Die hiesige Schuhmacher-Innung leitete eine Geldsammlung ein, zu der auch Innungen aus der Schweiz, England, Holland und Amerika Beiträge lieferten. Der Bildhauer Professor Pfuhl aus Charlottenburg Haies hergestellt. Am 31. Oktober 1898 wurde dasselbe mit großen Feierlichkeiten enthüllt. Jeder Besucher ist überrascht von der starken Ausdruckskraft der schlichten, leicht idealistischen Denkergestalt, die mit den Attri buten des Schuhmacherhandwerks ausgestattet, im Schurz fell auf dem Schemel sitzt. Das Kostüm ist getreu das des angehenden l7. Jahrhunderts. Schwungvoll das Haupt er hebend, als stehe er unter einer plötzlichen Eingebung, blickt die noch jugendliche Gestalt des Denkers, wie in einer Art Verzückung, in die Ferne. Die Züge geben die ähnlichsten Bildnisse des seltsamen Mannes wieder. Rückwärts lehnt das Schusterbrett mit der Böhmeschen Inschrift: „Liebe und Demut unser Schwert." Die rechte Hand, die den Griffel hält, ist an die Brust gepreßt, die linke hält die auf den Schemel gestützte Bibel, den Quell seines Glaubens. Die Statue ist in Bronze gegossen, das Postament aus Granit aufgebaut. Der Granitbau des Sockels trägt auf jeder der vier Seiten eine silberne Lilie, von der vergoldete Strahlen ausgehen, Wasserstrahlen fließen in eine achteckige Granit schale. Das ganze beherrscht ein edler Rhythmus Von allen Seiten bietet es einen gleich harmonischen Eindruck. Die Schuhmacher-Innung darf mit vollem Recht den edlen Stolz empfinden, daß ein Mann aus ihrer Mitte durch hohe Geistes kraft und Tat hervorragend, sich solche Ehren erworben hat. Man wird Jakob Böhme in keiner Weise gerecht, wenn man ihn schlechthin als Mystiker bezeichnet. Er ist das Kind einer neuen Zeit mit neuen Problemen. In dem Denken be rühmter Männer, wie Giordano Bruno, Cardamus und andere und unser Meister Ekkehardt findet sich allerdings ein Teil mystischer Anschauung, aber Jakob Böhme blieb es vorbehalten, die tiefen religiösen und metaphysischen Er kenntnisse der mittelalterlichen Mystiker zu vereinen mit dem neuen Weltbild der Renaissance. Ist Böhme Pantheist? Es mag sein, daß sich in seinen Erstlingswerken der Aurora (1612) Stellen mit solcher Fär bung finden. In den Jahren der Sammlung rang sich unser