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Heimat eimat", das ist eines der Worte, die schon durch ihre Klangfarbe, ohne daß man im Augenblick de- reits feste Dorstellungen damit verbindet, einen eigenen Zauber ausüben auf unser Inneres. Eng und weit zugleich wird uns das Herz, wenn wir dies Wort vernehmen; eng, denn es ist wie ein schmales Fenster, durch das wir Aus schau halten nach etwas, was nicht mehr ist, nach dem „dort, wo Du nicht bist", und weit wird das Herz, weil das Wort „Heimat" abermals ist wie ein Fenster, durch das nun um gekehrt alle unsere Daseinsfreuden, alles, was in irgendeiner Weise, zu irgendeiner Zeit, von irgendeinem Ort uns einmal als unverlierbarer Wert bewußt geworden ist, zu uns herein- schauen. So ist das Wort „Heimat" ein schmales Fenster der Sehn sucht und zugleich ein weit ofsenstehendes Fenster einströmenden Daseinslichtes. Und das Ziel, die Tendenz der diesem Wort innewohnenden Zaubermacht ist es, den an dem schmalen Fenster der Sehnsucht Stehenden hinaus- oder besser gesagt, hinein zulocken in die Sonnenhelle der Daseinsfreude, dem nach „Heimat" sich Sehnenden in „Heimat" zu stellen, den im Schlaf der Heimatlosigkeit Versunkenen gleichsam in Heimat aufwachen zu lassen. — Wenn wir nun an dies schmale Fenster der Sehnsucht treten und versuchen, bestimmte, klare Vorstellungen mit dem Wort „Heimat" zu verbinden, so werden unsere Gedanken zunächst ganz verschiedene Richtungen einschlagen; denn den einen er innert die klappernde Mühle im Tal und den andern die kahlen Flügel der Windmühle auf dem Berg an die Heimat. Der eine denkt an die stille, langgezogene Dorfstratze mit ihren be- scheidenen Häuslein, der andere denkt an blinkende Spiegel- scheiben der Großstadt oder auch an die dunkle Gasse zwischen hohen Häusermauern. Dem einen ist weites Moorland, be wachsen mit Heidekraut und Birken, dem andern Felsengebirge in Himmelsnähe „Heimat". Jeder hat seine Heimat als sein persönliches, ureigenstes Besitztum, das ihm keiner streitig machen kann und will. Und doch haben alle beim Gedanken an die Heimat trotz der Unterschiedlichkeit des Lokalen ein Gemeinsames, nämlich das Temporäre, Wenn wir das Wort „Heimat" vernehmen, so ist das Erste, was wir erleben, das Hereinerwachen von Kindheitserinnerungen in unsere Seele. „Wo Dir Gottes Sonne zuerst schien " das Land der Kindheit ist unser aller Heimat. Und wir träumen als Einzelne in den Kind- heitserinnerungen von unserer Heimat, wie die Menschheit als Ganzes von ihrer Heimat träumt in ihren Kindheilserinnerungen, etwa der Paradiesgeschichte der Bibel. Es ist doch eigen, in diesen Erinnerungen da hat jeder Baum und Strauch, die sanft geschwungenen Linien des Haus giebels wie der Steinsitz vor dem Haus, die altehrwürdige Dorflinde mit ihren einzelnen Ast- und Wurzelbildungen wie der Brunnen im Hof seine ganz besondere, überaus sprachliche Bedeutung. Und es würde eine unausfüllbare Lücke für uns entstehen, wenn das Kleinste von den kleinen Dingen der Heimat geändert oder gar beseitigt würde. Man hat das Ge fühl, als sei das alles ein „Rühr mich nicht an", als habe das alles ein unkündbares Wohnrecht in unserm Innern zu beanspruchen, als sei unser Gemüt gleichsam der Erdboden, in dem es Wurzel geschlagen habe und ohne den es selbst nun nicht mehr sein könne. Ja, es ist, als seien die kleinsten Kleinigkeiten in der Heimat Lebewesen, denen eine gütige Vorsehung das ungetrübte Kindergemüt der Menschheit öffnet, darin Wohnung zu nehmen, und nicht nur das, sondern viel- mehr auch darin Kraftquelle, Lebensmacht zu werden für die Menschheit. Denn als solche empfinden wir alle die Heimat. Alles, was bei dem Klang „Heimat" in unserm Innern als Erinne rung mitschwingt, tragen wir als kostbares, verinnertes Kleinod in uns, hüten wir als von außen ins Innere gekommenen Wert. Der große Findling, um den das Kind spielt, weckt im Kindergemüt einen ersten Eindruck von Krast, Erhabenheit, Unvergänglichkeit; das vor Sturm und Unwetter Schutz ge währende Haus einen allerersten Eindruck von dem Vorhanden sein Schutz gewährender Mächte, oder das täglich durchschrittene Tor ein allererstes Empfinden von dem Lebensgesetz des immer wieder vor Toren Stehens, die durchschritten werden müssen, Toren materieller und vor allem geistiger Art. Diese Tatsache allein, daß aus den konkreten Einzelheiten des Daseins lebendige Wirklichkeiten als starke, bindende Mächte auf das ungetrübte, unbefangene Kindergemüt wirken, erklärt wohl die seltsame Verbundenheit aller Menschen mit der Stätte der Kindheit. Da ist der Mensch seiner Umwelt dargeboten wie ein aufgeschlagenes Buch, und da trägt diese Welt ihre Schriftzüge ein, dem Menschen unbewußt und oft unverständlich bis ins hohe Alter hinein. Aber das Eine empfindet er doch: daß geschrieben wurde, und daß von einer durch und durch wahrhaftigen, gütigen Hand geschrieben wurde. Wie eng der Mensch auf diese Weise mit seiner Heimat verwachsen ist, das geht ihm im allgemeinen deutlich, dann aber zugleich auch schmerzlich auf, wenn die Welt von ihm fordert, ein Ich, eine selbstbewußte Persönlichkeit „mit ihrem Widerspruch" zu werden oder wenn er räumlich getrennt wird von seiner Heimat. Dann ist das Heimweh da, und man er kennt die Heimat just in dem Augenblick, wo man sie ver loren hat. Und dann steht man wie ausgestoßen an dem schmalen Fenster der Sehnsucht, so wie die gesamte Mensch heit, die auch ihre Heimat „erkannte" gerade im Augenblick ihres Verlustes. Das Heimweh der Menschheit, so könnte man sagen, nach ihrem verlorenen Paradies ist nur ein Abbild des ins Grandiose gesteigerten Heimwehs des Einzelnen nach seinem Kinderland, nach dem Band, wo nur eine Schrift geschrieben und nur eine Sprache geredet wurde: in allen Dingen die Schrift, die Sprache der Wahrhaftigkeit und der Güte. Wie ergreifend können Kindertränen sein ob der verlorenen Heimat, wie ergreifend erst der Sang aus rauhen Kehlen bär tiger Kriegsmänner, wenn sie singen: „Wie's daheim war, find'st du's nimmermehr." Wer das mit angehört hat, der weiß, das sind Sehnsuchtsscheine nach geistigen Wirklichkeiten^ die die Heimat ihnen offenbarte, als sie als oder wie Kinder ihr zugehörten. Ach, wie viele haben so an dem schmalen Fenster der Sehnsucht gestanden, haben Ausschau gehalten und sind stehen geblieben, sehnsüchtig, aber im tiessten Grunde heimatlos. Sie kehrten wohl aus Heimweh ins Kinderland zurück, aber nur verlassener, heimatloser wurden sie dort; denn die alten lieben Menschen von einst, sie waren nicht mehr; die^ blumige Wiese von einst —, sie war Feld geworden, und des- Brunnen im Hofe altes Lied war verrauscht. Nach solchen Erfahrungen ist es dann fo, daß wir im allgemeinen wie in einen Dämmerzustand geraten, in der Heimat und doch fern der Heimat; und das darum, weil wir, trotzdem wir heran- wuchsen, der Heimat gegenüber gleichsam im Stande der Kind heit als auf einer niederen Stufe stehen blieben. Zu ihrem selbst bewußten Persönlichkeiten aber will die Heimat reden unter der Kontrolle und Ausnahmewilligkeit eines wachen Be wußtseins. Im Bilde gesprochen: dieselbe Schrift, die in das Kindergemüt wie in ein aufgeschlagenes Buch unter völliger Passivität des Kindes eingetragen wurde, kann und soll der erwachsene Mensch entziffern, lesen. Die Gemütswerte, welche von den durch die Heimat hindurch wirkenden Lebens mächten im Menschen geschaffen werden, sollen ins Bewußtsein erhoben sein und in der Helle menschlicher Geistigkeit leuchten. Also, daß die Heimat selbst wie eine Bilderwand wird zwischen Menschengemüt und Daseinshintergrund. Also, daß alles wie Bild, wie Vordergrund, wie Vorhang, wie verhüllendes Feier kleid wird für die tatsächlich durch die Heimat hindurch wir kenden Realitäten. So wie ein Künstler ein Bild malt, gleich sam als verhüllendes Kleid für sein Inneres, das aber doch>