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Idealen strebten, Wahrheit, Weisheit und Stärke galten als die drei Hüttenpfeiler. Ihre Werkzeuge wurden ihnen zu Symbolen, der rechte Winkel als Zeichen der Gesetzlichkeit und des rechten Lebenswandels, der Maßstab als die weise Einteilung, der Zirkel als Zeichen der geschlossenen Bruder schaft (RLiha S.45). Die häufige Verwendung der Deichsel V wird verständlicher, wenn man in ihr das mittelalterliche, kirchliche Symbol der Dreieinigkeit erkennt, das früher bei den Pythagoräern die Entscheidung am Lebenswege be deutete (R. S. 29). Wie beim Werkzeug, so liebte man bei allen Teilen der Kirchenbauten sinnbildliche Darstellungen. Sicher übertrug man sie auch auf die Steinmetzzeichen, deren Gestaltung und Verleihung zum Geheimnis der Bauhütte gehörte. Ein Zwang zur Zeichenführung ist in den alten Hütten ordnungen nicht nachweisbar, doch war es eine weit ver breitete Sitte, daß der Meister seinem Lehrling (damals Diener genannt) nach fünfjähriger Lehrzeit die Gesellenreife zugleich mit einem eigenen Zeichen verlieh. Es galt als Ehren zeichen, das man mit demselben Stolz führte, wie die Ritter ihr Wappen (Pfau S. 21). Die Meister bildeten es oft in den Kirchen mit Wappenumrahmung, an Größe, Stelle und Form hervorragend, wozu die Gesellen nicht berechtigt waren. Anfangs schmückte man das Wappen sogar mit der Helmzier. Bei den Meisterfamilien in Württem ¬ berg ist deutlich nachweisbar, daß der > , Sohn-Geselle desVatersZeichen weiter- 1" f! 7" führte, nur leicht verändert, zum Beispiel führen Großvater, Vater und Sohn Böblinger (vgl. Klemm). Diese Gewohnheit übernahmen viele Meister im 15. Jahr ¬ hundert und gaben ihren Gesellen ihr eigenes Zeichen ver ändert mit. Eine so eng zusammengehörige Gruppe nennt man eine Steinmetzsippe. Bewundern muß man jene Meister, wie sie mit wenigen Linien — meist sind es nur 4 bis 8 — eine so verwirrende Fülle von Zeichen bilden konnten. Unter den vielen Hunderten, die ich verglich, sind außer den ersten Grundformen selten völlig gleiche Wieder holungen, sodaß die Wiederkehr eines Zeichens an ver schiedenen Bauwerken in denselben Jahrzehnten für die Forschung nach dem Baumeister und nach dem Zusammen hang mit andern Hütten sehr beachtenswert ist. Die vorhandenen Bearbeitungen betonen hauptsächlich die ehrende Bedeutung der Zeichengebung. Schon Neuwirth S. 191 Konnte am Prager Dom ihre Wichtigkeit für Kon trolle und Rechnungsführung nachweisen, und wir können aus der Bauhütte der Görlitzer Peterskirche dafür einen so einzigartigen Beweis erbringen, wie ich ihn in der bear beiteten Literatur nirgends fand. Im August 1908 wurde im „Waidhause", dem alten Farbstoffstapelhause (auf Stadt plänen auch die alte Schule genannt) dicht neben der Gör litzer Peterskirche beim Herrichten eines Raumes eine Mauer bloßgelegt, die etwa 60 Steinmetzzeichen aufwies. Diese Nachricht verdanke ich einer gütigen Mitteilung des Herrn Prof. Dr. Zecht, der mich auch auf die damals ver fertigte Lichtbildaufnahme (Photogr. Rob. Scholz, Görlitz, Bismarckstr. 9) aufmerksam machte. Angesichts dieser Auf nahme kann man zweifellos behaupten, daß es sich um eine originale Steinmetzzeichenliste handelt, die der Meister an der Wand der Bauhütte während der Arbeit an der Peters kirche zur raschen Übersicht anlegte. Zum dauernden Ge dächtnis sollte die Liste nicht dienen, sonst wäre sie in Stein eingeschlagen: wegen vorübergehender Benützung ist sie nur eine Anspielung auf die Pflugschar sein, Nr. 56 , Nr. 46 . mit schwarzer Lotfarbe auf den Mauerputz gemalt. Offen bar haben sich die Hellen Stellen der Wand damals zur Be malung nicht recht geeignet, und so erscheint nur ein breiter dunkler Streifen von links nach der Mitte dicht mit Zeichen bedeckt, von denen wohl nur links oben und rechts über der Mitte einige verblaßt sind. Mit Lupe sind genau V 60 Stück erkennbar, von denen nur 4 durch etwa dreifache Größe herausragen: Links oben Nr. 2: rechts oben Nr. 32: , links unten Nr.59:sX und völlig gesondert rechts unten, gleichsam als Unterschrift Nr.60: höchst wahrscheinlich das Meisterzeichen, die andern I drei Polierer. , Die Anordnung ist völlig willkürlich, nur vom Gedächt nis diktiert, auch nicht nach dem Antritt der Steinmetzen bestimmt, nur zur Kontrolle und Abrechnung mit dem Meister. DiesbeweisteinezunächsträtselhaftePunktierungderZeichen, die mir bisher noch nirgends vorgekommen ist. Wie hebräi sche Vokale stehen diese Punkte bald unter dem Zeichen wie bei Nr. 2, Nr. 45 !^, Nr. 5 , Nr. 42 . Nr. 53 bald daneben wie bei Nr. 16 Nr. 19 , bald darüber wie Nr. 57 Nr. 18^, bald mitten darin wie Nr. 55 Nr. 27 I Nr. 281 Mehrfach wurde der Punkt zum flüchtigen l?- Pinselstrich wie unter Nr. 55 oder Nr 21 Nr. 20 -j- Diese Auswahl genügt, um zu beweisen, daß die Punkte nicht zum Wesen der Zeichen gehören (wie auch sonst nir gends), sondern Notizen des Meisters sind, vermutlich über die Dienstjahre der Steinmetzen. Es ergeben sich 1 mal 9 Jahre (der Meister), 1 mal 6, 2 mal 5, 5 mal 3 Jahre, 14 Gesellen auf 2 Jahre, 16 Gesellen auf 1 Jahr: die meisten Gesellen sind erst im letzten Jahre angeworben, sicher dem Wölbungsjahr 1497, und Haden keinen Punkt: 21! Da die Reihenfolge auch hinsichtlich der Dienstjahre völlig ungeordnet ist, dürfte die Liste erst kurz vor Auflösung der Bauhütte angelegt sein: Die Gesellen des letzten Jahres stehen bunt unter denen mit 2, 3 und mehr Jahren, und nur das vermutliche Meisterzeichen Nr. 60 weist die Jahres angabe nicht in Punkten auf, sondern in einer schräg und flüchtig hingehauenen römischen Neun. Läßt sich nun diese Bauhütte zeitlich bestimmen? Zu er wägen sind folgende Punkte: 1. Die große Zahl von 60 Steinmetzen deutet auf den Höhepunkt der Arbeit um 1490. 2. Die Liste ist eine Abrechnungsliste bei Auflösung der Hütte. Dafür ist die Beendigung der ungeheuren Wölbung der Peterskirche, 1497, wohl der richtige Zeitpunkt. 3. Die römische Neun unter dem vermutlichen Meister zeichen Nr. 60 widerspricht nicht der baumeisterlichen Tätig keit des urkundlich bezeugten Meisters Konrad Pflüger 1488-—1497. Sein Zeichen ist bisher unbekannt, doch kann Nr. 60: die an einem Laubaner Wehrturm auf ihn gedeutet wird.