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920 v. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. in einen Hang zur Einsamkeit, Schwermuth und Menschenscheu, in eine stumme Träumerei, in der er mit Phantomen eingebildeter Liebe verkehrte und kränkelnd über Selbstmord brütete". Die Revolutionsgräuel hatten sein weiches Herz em pört und ihn zur Flucht über den atlantischen Ocean und nach seiner Rückkehr in die Reihen der Emigranten in London getrieben. Von Sorgen und Zweifeln zerrissen, wurde er durch die letzten Ermahnungen seiner in Noth und Elend ge storbenen Mutter zur Religion und zum Glauben der Väter hingezogen. Schon in Amerika hatte er den Plan zu einem großen Heldengedicht entworfen, welches den Naturmenschen im Gegensatz zur Civilisation darstelle» sollte. Als Stoff diente ihm das tragische Schicksal der Natchcz in Louisiana, wo im Jahr 1727 der eingeborne Stamm und die dort angcsiedclte französische Kolonie den Untergang fanden (XIII, 208). Nach seiner Angabe waren Atala und Rene Bruchstücke oder Episoden dieses großen Heldengedichts über die Natchez. Unter den französischen Kolonisten in Amerika, wo noch die ursprünglichen Sitten, die alte» Volkslieder und Sprachformen, die religiöse Gesinnung des sechzehnten Jahrhunderts fortdauerten, und unter den Wilden in den Wäldern und Wüsten hatte Chateaubriand das conventionellc Wesen abgeworfen und sich die Idee von religiösem Naturleben gebildet, die seinen ersten Produkten ihren Reiz gab. Es war die Wahrheit, die Neuheit in den Gemälden und Empfindungen, welche die Romane Rene und Atala dem französischen Volke und allen nach religiöser Wärme und christlichem Gefühl verlangenden Gcmüthern ohne Unterschied der Confessio» werth und anziehend machten. „In der literarischen Wüste erschienen diese Werkchcn mit ihrer neuen Fremdartigkeit, ihrer Mischung von Christen- thui», Gemüth, Natur und Wildheit wie rettende Oasen". Der Roman „Atala", worin die Silten und die Lebensweise eines zwei Jahre lang von ihm beobachteten nordamerikanischen Volksstamines geschildert waren, erlangte so wie der verwandte Roman Rene schnell die weiteste Verbreitung, noch ehe beide dem großen Werke „Geist des Lhristenthums", das Chateaubriand zur Zeit der Concordatsverhand- lungcn in dem Landhause seiner Freundin und Verehrerin, der Frau von Beau mont verfaßte, als episodische Bruchtheile beigcfügt wurden. Dieses berühmte Werk, »dönie äu Olrristiairiome«, welches das Christenthnm ganz in das Gebiet der Schönheit hinüberspielt, die Religion zu einem Gegenstand des ästhetischen Genusses macht, enthält Chatcaubriand's poetische Religion und seine katholische Philosophie in Geschichten und Bildern und frommen Träumen. „Es mar die Bibel der Herren und Damen der Salons, denen das biblische Christcnthum zu nackt und zu trocken erschien". Cs ist eine poetische Rechtfertigung der christlichen Ucbcrlicferungc» und Mysterien, der heiligen Legende und Sage, an den Schön- , heitsfinn und die Einbildungskraft gerichtet. Der glänzende Stil, die landschaft lichen Schilderungen, die weichen Töne einer bilderreichen poetischen Prosa und die vollendete Darstellung erregten nicht minder Beifall und Bewunderung als der christliche Inhalt und Ton. Vor Allem aber kam dem Dichter die herrschende