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I. Von Campo Formio bis zum 18. Brumaire. 75 Napoleon nie verziehen. Augereau und Jourdan waren gar nicht aufgefordert worden; erst später erhielten sie die Weisung, sich neutral zu verhalten. Mitt lerweile war der Rath der Alten zu einer außerordentlichen Sitzung zusainmcn- getrcten. Sicyes hatte es so einzurichten gewußt, daß die Einladungsschreiben nur an die zuverlässigen Mitglieder gerichtet wurden. Das während der Nacht ent worfene Dekret, das die Sitzungen der beiden Räthe nach St. Cloud verlegte und Bonaparte zum Befehlshaber aller militärischen Streitkräfte ernannte, fand daher keinen Widerspruch. Ein Mitglied überbrachte den Beschluß nach der Wohnung Bonaparte's. als die Generale noch zugegen waren, und forderte Na poleon ans. im Schooße der Versammlung den Eid zu leisten. Er stieg sogleich zu Pferde und ritt an der Spitze seines Gefolges nach den Tuilerien, freudig begrüßt von Soldaten und Volk. Er schwur, daß er das Dekret zur Ausfüh rung bringen, eine auf wahre bürgerliche Freiheit und Volksvertretung ge gründete Republik ins Dasein rufen werde, und traf dann die militärischen An ordnungen zur Sicherung der Tuilerien, des Luxembourg, des Schlosses von St. Cloud und anderer wichtiger Orte. Zunächst suchte man sich nun der drei Directoren zu versichern, die nicht in das Geheimniß eingeweiht waren. Barras, der sich gerade im Bade befand, wurde von Tallcyrand bewogen, eine von Rü derer verfaßte Rücktrittscrklärung zu unterzeichnen; seine beiden College» Gohier » und Moulins, die sich weigerten ihre Entlassung zu nehmen, wurden von Mo reau im Luxembourg bewacht. Dadurch wurde der schwache charakterlose General der Rheinarmee fast wider seinen Willen in die Mitschuld gezogen. Aber das Schwierigste stand noch bevor. Bonapartc war seiner Sache so^EsE^, gewiß, daß er den Vorschlag Sieyes', die unabhängigen Mitglieder der beiden m Räthe während der Nacht verhaften zu lassen, mit Verachtung zurückwics. Er war gewöhnt, daß man seinen Befehlen unbedingt gehorchte, und erwartete dies auch von der Versammlung in St. Cloud. Aber die Deputirten waren keine Soldaten. Der Rath der Alten, der seine Sitzung in das Schloß verlegt hatte, verhielt sich ziemlich ruhig; um so stürmischer ging cs bei den Fünfhun dert her, die unter Lucian Bonaparte's Vorsitz in der Orangerie tagten. Die Opposition hatte sich zahlreich eingefunden. Man hörte den Ruf: „Nieder mit der Diktatur, es lebe die Verfassung". Man protestirtc gegen die Verlegung auf Grund eines angeblichen jacobinischen Complots, das völlig aus der Luft ge griffen sei. Bonaparte befand sich mit seinem Gencralstab in einem Saale des ^ Schlosses. Als Lavalette in kurzen Zwischenräumen von den Verhandlungen in der Orangerie Bericht abstattcte, verzogen sich die Gesichter der Generale immer mehr und eine verlegene, unruhige Stimmung bemächtigte sich Aller. „Du bist ja in einer schönen Lage", sagte Augereau schadenfroh. Da rief Bonaparte aus: „Wir müssen ein Ende machen!" Es war vier Uhr, als er von seinen Adju tanten begleitet in die Versammlung eintrat. Mit stockender unsicherer Stimme begann er eine Rede, die ohne innere Logik, angefüllt mit Borwürfen und