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896 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. Jüdinnen Dorothea Veit, Mcndelssohn's Tochter, und Henriette Herz sammelten. Dahin gehörten Graf Alexander Dohna und Gustav von Brinkmann, Ludwig Deck und dessen Schwester Sophie, von 1797 bis 1799 auch Friedrich Schlegel, mit welchem Schleier macher danials in innigster Freundschaft verbunden lebte, bis die gemeinsam unter nommene , dann von Schlciermacher allein vollführte Übersetzung des Plato sie ent zweite. Was man in diesen Kreisen cultivirte war die Darstellung und Bildung der eigenen Individualität, die Pflege der ebenso empfänglichen wie mittheilungsbcdürstigcn inneren Welt dcS Gemüths, die Virtuosität im Ausdruck und Austausch der inneren Zustände und Bewegungen des Seelenlebens, vor Allem das Kunstideal. Indem Schleiermacher dieses wogende Leben mit Begierde in sich einschlürfte, gerieth sein ganzer Organismus in eine gewisse Exaltation, deren nur ein so klarer Geist, eine so durch und durch ethisch gestimmte Natur wieder vollständig Meister werden konnte. Die gereisten und geläuterten Früchte dieser Periode liegen vor in den am Schlüsse des alten Jahr hunderts erschienenen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Veräch tern" und in den, den Beginn des neuen begrüßenden, „Monologen" — zwei nach In halt und Form vollendeten Programmen einer ästhetischen Ausfassung des Lebens, dort insonderheit der Religion, hier der Sittlichkeit. Beide tragen nicht blos vollständig die Grundzüge seiner eigenen Individualität, sondern auch das Gepräge einer Zeit, für welche das in sich Gehen, sich selbst Beschauen und Bespiegeln, sich Vertiefen in dem eigenen Inneren, um sich ganz in sich selbst zu besitzen, aber auch gleichgestimmten Geistern ganz durchsichtig und anschaulich werden zu können, Lcbensbcdürsniß geworden war. Beide Schriften ergänzen sich in dieser Beziehung: feiern die „Reden" das Ewige, welches die ganze Welt der Geister durchströmt und im frommen Gefühl einen Wieder hol! findet, so die „Monologen" den Menschen, in welchem cs sich spiegelt, wie die Sonne im Thautropfcn. Die Voraussetzung sowohl der unbedingten Hingabe dort als des stolzen Selbstgefühls hier bildet die halb spinozistisch, halb romantisch gefaßte An nahme einer unmittelbaren Einheit des kräftig und gesund fühlenden Individuums mit dem allgemeinen Leben. Der Vollzug dieser Bereinigung findet im Gefühle statt. D>k R-d<n Seit langer Zeit zum erstenmal war in den „Reden", welche diesem Gesühlsthcma Religion gewidmet sind , wieder einmal ein großes Wort über eine Angelegenheit gesprochen worden, welche in den Kreisen der „Gebildeten", denen sie gewidmet find, einem stei genden Mißcredit begegnete und im wissenschaftlichen Bewußtsein der Zeit fast alle greifbare Bedeutung verloren hatte. Der Redner ist überzeugt, daß eine solch niedrige Schätzung sich meist auf ein Mißverständniß zurücksührcn lassen werde, indem man für Religion halte, waS zwar eine bestimmte Weise darstelle, über göttliche Dinge zu den ken oder zu handeln, nicht aber das wirkliche Wesen der Religion betreffe. Nachdem nun aber soeben Kant die Unfähigkeit der Vernunft, Uebersinnliches zu erkennen, darge- than und damit aller bisherigen Theologie, der sogenannten natürlichen, so gut wie der übernatürlichen, ein mit besonderem Schwung betriebenes Geschäft lahm gelegt hatte, mußte schlechterdings eine neue Straße beschritten werden, wenn die Religion über haupt noch Gegenstand vernünftiger Gedankengänge bleiben sollte. Schlciermacher be müht sich nicht einmal mehr, wie doch soeben selbst noch Kant gethan hatte, für ge wisse „Vernunftideen", in welchen dieser den unveräußerlichen und eigensten Besitz der Religion erblickte, wie Gott und Unsterblichkeit, eine offene Stelle jenseits alles Endli chen zu finden, daS nur Erscheinung sei, sondern er sucht das Unendliche und Ewige inmitten des Endlichen und Vergänglichen selbst. Betrachtung des Endlichen in seiner Einheit mit dem Ganzen ist religiöse „Anschauung", Religion das unmittelbare Be wußtsein des allgemeinen Seins alles Endlichen in dem Unendlichen und durch das Unendliche, also Anschauung des Universums und Berührtwerden durch dasselbe iw