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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 895 liche Ausdrücke für einen allgemeinen kosmischen und metaphysischen Prozeß der Zurück führung der Welt auf ihren göttlichen Urgrund. Später ist Daub ganz auf den Standpunkt Hegel's übergetreten. Solche Wandlungen, wie sie anders geartet aber auch bei den Schulhäuptern Fichte und Schelling selbst vorkamen, find bei einem so kräftigen Geiste bezeichnend für den sprudelnden und schäumenden Charakter des deut schen Idealismus in dem damaligen Stadium seiner Entwickelung, nicht minder aber auch für den unselbständigen und haltlosen Geist der damaligen Theologie, welche bei jeglichem Mangel an historisch-kritischem Interesse, geschichtlichem Blick und tradi tionellem Sinn die Aufgabe einer religiösen Weltanschauung mit den Problemen der Metaphysik verwechselte und ihren ganzen realen Gehalt von den wechselnden Systemen der Philosophie bezog. Es ist die unvergängliche Bedeutung des, auch in die Entwickelung der Philoso- Fmdiich Da. Phie so bewußt und geschickt eingreifenden, protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher, dem Aufgehen der Theologie in idealistische Speculation Einhalt geboten und das religiöse Bewußsein wieder zu sich selbst gebracht, aus seine cigenthüm- liche Lebenssphäre zurückgeführt zu haben. Geboren am 21. November 1768 zu Breslau, wo sein Vater als reformirter Feldprediger seinen Aufenthalt hatte, wuchs er auf in der Erziehungsanstalt der Herrnhuter zu Niesky, seit seinem sechszchntcn Jahr in dein theologischen Seminar derselben religiösen Genossenschaft zu Barby. Die cng- begrcnzte Stille der schlesischen Brüdergemeinde bildete den Mutterschoß, darin sein religiöser GeniuS reifte, und niemals hat auch der fertige Mann diesen Ursprung seines frommen Gefühlslebens ganz verleugnet. Die Religion, sagt er später selbst, blieb ihm, „als selbst Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden. Sie leitete mich absichtslos in das thätige Leben, sie zeigte mir, wie ich mich selbst mit meinen Vorzügen und Mängeln in meinem ungctheilten Dasein heilig halten soll, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt". Jene erwähnten Zweifel traten ihm schon zu Barby nahe, als die Gnadcngesühle, wie sic vorgeschricben waren, sich nicht cinstcllen wollten. Seine gesunde, energische Natur besiegte die Gefahr, auf die Wege der Heuchelei oder des Selbstbetrugs abzubiegcn. Offen erklärte er seinem Vater gegenüber sich unfähig, „zu glauben, daß der ewig wahrer Gott war, der sich selbst Menschensohn nannte" und bezog, nach hartem Kamps von allen geistigen Fesseln be freit, die Universität Halle, wo damals Semlcr lehrte. „Die Auszehrung des Geistes, 1787. das ist Empfindclei und Schwärmerei, zu der ich in Herrnhut bei geringerer eigenthüm- licher Kraft würde gezogen worden sein, drohte mir nun nicht mehr". Nach bestan dener Prüfung trat er als Hauslehrer beim Grafen Dohna auf Schlobitten ein, wo „das zarte Gefühl für das Sanfte und Schöne, der feine Sinn für die lieblichen Klei nigkeiten des Lebens" sich ihm erschlaffen. Nachdem das Verhältniß sich gelöst hatte, wurde er Hülfsprediger zu Landsberg an der Warthe, um von da in die äußerlich be scheidene Stellung eines Geistlichen an der Charite zu Berlin aufzurücken. Die sechs 179s. Jahre, die er hier verbrachte, waren für seinen Bildungsgang entscheidend. Cr brachte vieles schon mit, vornehmlich Kenntniß der Classiker und Studium Plato's, Spinoza's und Kant's, auch Belesenheit in der Literatur der Aufklärung und den gegen die über kommene Weltanschauung gerichteten Werken der Skeptiker; er fand vor eine geistreiche Gesellschaft von Freunden und Freundinnen, welche das höhere geistige Leben in der damaligen Gesellschaft Berlins darstellten. Wie eine warme Lust flog es über sein sehnendes Herz, und ein reicher Blumenflor entstieg sofort dem Boden seines Gemüths- lebcns. Das der Verstandcscultur gewidmete Berlin Friedrich des Großen sah sich gerade damals von einer jüngeren Generation verdrängt, in welcher der Geist der Ro mantik aufkeimte. Mittelpunkte waren die geselligen Kreise, welche sich um die beiden