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878 L. Vom Wiener Congreh bis zur Julirevolution. Richtung auf ein solches Ziel gehalten sind namentlich: das Grundbuch aller modernen iE. Theosophie, die „philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei heit und die damit zusammenhängenden Gegenstände" und die Streitschrift „Denkmal 1812. Schrift Zacobi's von den göttlichen Dingen". Letztere brachte zuerst den Gegensatz gegen die bisher üblichen Formen, Gott vorzustcllen, welcher sich aus dem Standpunkte SchkMng's der Jdentitätsphilosophie ergeben mußte, zum Bewußtsein. Gehören Geist und Natur zusammen, so hat auch Gott in der Natur sein Dasein, gewinnt auch in ihr eine ge wisse Wirklichkeit seines Lebens und seiner Selbstoffcnbarung. Dann kann man aber auch von einer Natur in Gott selbst reden. Dies ist cs nun, was gegen Jacob! und den gewöhnlichen Theismus geltend gemacht wird. Dieser sah in der Annahme, welche Gott aus einem dunkeln, weder intelligenten noch sittlichen Grunde sich erheben ließ, also in der Annahme eines werdenden Gottes an sich schon die Zerstörung des Gottes- begriffs. Umgekehrt findet Schclling den Abgrund der Unbegreiflichkeit darin, daß man sich für einen fertigen und damit todten, statt für einen sich selbst zur Vollkom menheit entfaltenden, also lebenden und wirklichen Gott intercssiren möge; nimmer mehr werde eine Lehre, welche in Gott keine „Natur", keinen „Grund", nichts Unbe wußtes und Elementares anerkenne, cs zu einem kräftigen und gehaltvollen Gottcs- bcgriffe bringen. Und so ist denn seither auch bei der ganzen Schule Schelling'scher Thcosophen und Theologen, namentlich bei Franz von Baader und seinem katholischen und evangelischen Anhang, die Rede von der „Natur in Gott" zu einem stehenden Ar tikel und damit ein Gottcsbegriff eingesühct worden, welcher wie eine Verbindung von Naturalismus und Theismus aussieht. Die andere Schrift unterscheidet in Gott erstens die reine Indifferenz, den „Urgrund" oder „Ungrund", d. h. den Anfangspunkt des göttlichen Wesens, die unbegreifliche Basis aller Realität, welche aber sofort sich ent zweit, auscinandergcyt, in Grund und Existenz, in Reales und Ideales, die zusammen das wirkliche Leben in Gott ausmachcn. Die Natur ist dunkler Trieb, blindwirkende Macht, die bloße Unterlage der sich entwickelnden freien Persönlichkeit. Schelling's Gott ist also nicht ein seiender, sondern ein werdender. Indem sich nämlich der Ur grund nach ungewissen und dunkeln Gesetzen, einem wogenden Meere gleich, sehnend bewegt, erzeugt er eine innere Vorstellung, vermöge welcher er sich selbst im Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist das „ewige Wort in Gott", der johanneische Logos, welcher „in der Finsterniß als Licht aufgeht und zu seinem dunkeln Sehnen den Ver stand hinzugibt". Vereint mit dem Grunde, wird solcher Verstand zum freischaffenden Willen. Sein Geschäft ist die Anordnung der Natur, des bisher regellosen Grundes; aus dieser Verklärung des Realen durch das Ideale entsteht die Schöpfung der Welt, so daß Gott ihr Grund und ihre Ursache zugleich ist. Daher auf der einen Seite die Ordnung und Schönheit der Welt, auf der andern der nie ganz überwundene Rest des Chaotischen. Die weitere Entwickelung der Welt weist in der Hauptsache zwei Stadien auf. Zunächst dasjenige der allmählichen aufsteigendcn Organisation bis zum Menschen, dann die Entwickelung des Menschengeschlechts in der Geschichte. Dort die Geburt deS Lichtes in der Natur, hier die Geburt des Geistes in der Geschichte. Wie aber allein das Wollen Ursein ist, so sind cs auch die Prinzipien des Universalwillens und des Par- tikularwillcus, welche die großen Scheidungen unter den lebendigen Geschöpfen bedingen. Sofern sie aus dem dunkeln Grunde Gottes stammen, in welchen die Anfänge alles Unvollkommenen und Bösen zurückreichen, haben alle Wesen ihren Eigenwillen; sofern aus der Intelligenz, haben sie den Universalwillen. Daher verhalten sich die Natur- wescn zu Gott, von dem sie durch jenes dunkle Prinzip geschieden sind, peripherisch, der Mensch aber ist ein Ccntralwesen und soll im Centrum bleiben. Bei den vernunft losen Naturwesen herrscht der Universalwille als äußere Naturmacht, als leitender