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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 857 gegen die Schäden und Verirrungen der Welt erblickte, daß einer der be gabtesten Jünger der Schule in ihren späteren Ausläufen, Eichendorff, die Romantik als „die Sehnsucht nach der verlornen Heiinath", d. h. der katholischen Kirche erklärte, da der deutsche Geist in der „rhetorischen Idealität" Schiller's und in der „symbolischen Naturpoesie" Goethe's keine Genüge und keine Ruhe mehr gefunden. Aus dem Dienste der Kunst und Poesie trat die Romantik in den Dienst der Kirche und ihrer hierarchischen Zwecke. Auch noch eine andere Seite ihres Wesens darf nicht ungerügt bleiben, nämlich daß die Romantiker durch ihre laxe Moral in Beziehung auf Sittlichkeit und ehrbare Lebensweise, auf Knüpfung und Lösung ehelicher Verbindungen, verderbliche Ansichten und Bei spiele aufstellten, der Sinnlichkeit nicht nur in der Poesie, sondern auch im Leben die Zügel schießen ließen, sich mit derselben Willkür, mit demselben genialen Uebermuth, über die Sittengebote wegsetzten, wie über die Kunstregeln und die Gesetze der Aesthetik. Ein ungebundenes und unstetes Wander- und Reiseleben, dem sich die Meisten zwanglos Hingaben, beförderte die sinnlichen Neigungen und die sündhafte Lüsternheit. In ihrem Streben, die Ehrensteifigkeit aus dem geselligen Leben zu verdrängen und dasselbe durch Einführung eines freier» Tons und feiner Manieren heiterer und anmuthiger zu gestalten, geriethen einige von ihnen ans Abwege und gaben durch ihren regellosen Lebenswandel, durch ihr willkürliches Hinwegsetzen über bürgerliches Herkommen und gesellschaftliche Ordnungen, die sie als Vorurthcile ansahen, durch ihre Hingebung an die Reize der Sinne mancherlei Anstoß. Die Vermischung von „himmelnder Sehnsucht und irdischer Genußsucht" ist ein charakteristisches Kennzeichen aller Romantiker. Ge niale Frauen, wie Dorothea Veit, Tochter des Philosophen Moses Mendels sohn, nach ihrer Scheidung von dem jüdischen Gemahl mit Fr. Schlegel verehe licht, und Karoline Böhmer, Tochter des Göttinger Orientalisten Michaelis, mit Aug. W. Schlegel, dann mit Schilling vermählt, spielten eine bedeutende Rolle auf der abschüssigen Bahn der Ungebundenheit und Willkür. Die in Fr. Schle gels „Lucinde" verkündigte Apotheose des Fleisches blieb für manche Romantiker ein Evangelium für ihr ganzes Dasein. Ein epicureisches Leben im ruhigen Genießen, frei von Berufspflichten, ohne Arbeit und Zweck, ohne Zwang und Absichten erschien den Romantikern als der Gipfelpunkt des Daseins. Der Fleiß und der Nutzen, wird in der Lucinde gelehrt, sind die Todesengel mit dem feuri gen Schwert, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren. Als Gegenmittel diente ihnen im Alter die Religion der Gnadenerlösung, der Glaube an den Schatz der guten Werke in der Kirche. Die romantische Schule ist nicht gerüstet und streitfertig, wie Pallas Athene aus D>-Haupt» Jupiter's Haupt plötzlich als die Schöpfung eines übermächtigen Genius in die Erschei- ^ ^ uung getreten; sie war vielmehr das Erzeugniß eines Bundes, zu dem allmählich mehrere verwandte Geister sich zusammcnsanden und der im Laufe der Jahre durch den Anschluß gleichgestimmter und gleichgesinnter Anhänger und Jünger sich erweiterte. Die Verbindung der beiden Schlegel und ihrer Freunde mit Tieck und dessen Schwager,