Volltext Seite (XML)
800 U. Vom Wiener Congreß bis zur Julircvolution. Freiheitskämpfer wieder in dieselbe Stellung, die er vor vierzig Jahren inne gehabt. General Gerard, nach dem Wunsche der abgefallenen Regimenter zum Commandanten der Linientruppen ernannt, erklärte, daß er sich glücklich schätze „unter seinem ehrwürdigen Collegen zu dienen". Damit war Lafayette als das militärische Oberhaupt des Aufstandes anerkannt. Eben wollte man zur Ernen nung eines städtischen Ausschusses oder einer „Municipalcommission" schreiten, wie auf Guizot's Vorschlag die provisorische Regierung heißen sollte, als ein pani scher Schrecken die ganze Versammlung auseinander sprengte. Das fünfte Re giment, das eben vor dem Hause angekommen, feuerte die Gewehre in die Luft ab. In der Gemüthsaufregung glaubten die Anwesenden, es sei ein Ueberfall, und eilten mit dem Rufe „Vcrrath!" durch alle Zugänge nach dem Garten. Nur Laffitte, der sich bei dem Uebersteigen einer Barrikade den Fuß verrenkt hatte, blieb in seinem Lehnstuhle sitzen. Als sich der Jrrthum aufklärte, kehrten alle in den Saal zurück, und nun wurde das Wahlgeschäft zu Ende geführt. Laffitte, Pericr, Lobau, Schonen und Audry de Puyraveau sollten den städti schen Ausschuß bilden, der seinen Sitz im Stadthaus nehmen und als oberste Regierungsbehörde bis zur Herstellung der Ordnung fungiren sollte. Nachträg lich wurde noch Manguin hinzugefügt. Odillon Barrot und Baude erhielten das Aint von Secretäreu. Darauf begaben sich alle nach deni Stadthaus, wo bereits Lafayette aus den Händen Dubourg's und Baude's die öffentliche Ge walt übernommen hatte, und vertheilten die dringendsten Geschäfte unterein ander. Am Nachmittag sah man bereits auf allen Staatsgebäuden die Tricolore wehen. v. Die Krisis. m'S«°El"ud >lüt dem 29. Juli die Herrschaft der Bourbonen ihr Ende gefunden, "" >ich!nunterlag kaum mehr einer Frage. Nur am königlichen Hose von St. Cloud sch"N«nIhatte man am Morgen noch nicht den geringsten Zweifel, daß die Truppen den Aufstand bald bewältigen würden. Selbst die allarmirenden Nachrichten, welche zuerst Vitrolles, dann Semonville und Argout überbrachten, hielt Karl X. für Uebertreibungen, für Gebilde einer erhitzten Phantasie. Noch am Mittag, als er sich schon anschickte, das am gestrigen Tag angeordnete Minister-Conseil abzu halten, war er fest entschlossen nicht nachzugeben. „Meinen Bruder", sagte er, „hat seine Nachgiebigkeit auf das Schaffot gebracht, ich will ihm nicht dahin folgen". Und als ihm weiter gemeldet ward, daß das Louvre und die Tuilerien von den Aufständischen genommen seien und die Truppen den Rückzug angetreten hätten, gerieth er in solchen Unwillen, daß er dem Marschall sofort das Com- inando entzog und den Dauphin zum Oberbefehlshaber ernannte. Erst als Marmont, der an der Barriere de l'Etoile die Weisung empfing, die Truppen noch weiter in der Richtung von St. Cloud zurückzuziehen, als Bote seiner eige nen Niederlage in der Residenz erschien, umgeben von staubbedeckten, schweißtrie-