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798 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. Ausgang raubte. Zwei Linienregimenter, auf dem Vendomeplatz und in der Nähe ausgestellt, das dreiundfünfzigstc und das fünfte, ließen sich durch die feu rigen und verlockenden Ansprachen einiger patriotischen Männer bewegen, vom Kampfe gegen das Volk abzustehen und sich unter den Befehl des Generals Gerard zu stellen, mit der Bedingung, daß man sie nicht nöthige gegen ihre Kameraden zu fechten. Als ein Offizier der Nationalgarde, Bruder des Abge ordneten Laffitte, sich dafür verbürgte, zogen sie nach der Chaussee dÄntin ab, bis zur Erschöpfung ermattet durch Hitze und Anstrengung, durch Hunger und Durst. Dieser Abfall wurde noch dadurch verhängnißvoll, daß Marmont zwei Schweizer-Bataillone, welche das Louvre vcrtheidigten, zur Deckung der ent blößten Stellung heranzog. Ein drittes, unter Oberst Salis, sollte im Schlosse Zurückbleiben, aber war es Folge eines Mißverständnisses oder der Verwirrung und Mutlosigkeit. auch dieses Bataillon räumte das Schloß und begab sich nach dem Carousselplatz. Rasch drangen nun die Aufständischen in den leeren Palast, feuerten aus den Fenstern der Säle und Gänge auf die unten stehenden Truppen. Diese, schon durch den Anblick der fliehenden Schweizer erschüttert, stürzten sich in wilder Unordnung nach den Tuilcrien, in den anstoßenden Garten, in die Elyseischen Felder. Nur mit Mühe vermochte der Oberbefehls haber die wilde Flucht in einen geordneten Rückzug zu verwandeln. Aber die Schlösser waren nicht mehr zu halten. Um die Miltagstunde waren Louvre und Tuilcrien in der Gewalt der Insurgenten. Auf dem Dache wehte die Tricolore. In die verlassenen Räume zogen Volkshaufen ein. Daß es dabei nicht ohne Semen von Gewaltthat und Zerstörungswut abging, daß die Gemächer der unteren Stockwerke beider Gebäude und insbesondere der erzbischöfliche Palast, den man für den Hanptheerd der frciheitsfeindlichcn Umtriebe hielt, der Schau platz wilder Excesse und vandalischcr Auftritte waren, lag in der Natur eines solchen Volkskrieges, namentlich wenn man bedenkt, daß an den vorhergehenden Tagen die meisten Gefängnisse geöffnet oder erbrochen worden waren, daß Ver brecher und Sträflinge die Verwirrung und Gesetzlosigkeit zu Plünderungen und Frevclthatcn aller Art mißbrauchten. Dennoch muß man rühmend anerkennen, daß das Pariser Volk seinen Sieg nicht durch Gräuel und Untaten schändete, wie sic in der Schreckenszeit vorgckommen, daß neben den Ausbrüchen ungc- bändigter Triebe und Leidenschaften auch viele Züge von Großmut, von Un- eigcnnützigkeit, von Rechtsgefühl, von Schonung des Lebens und Eigentums berichtet werden. Die Zahl der Todten, die ans etwa tausend berechnet ward, und die der Verwundeten, die fünftausend überstieg, gab Zeugniß von der Er bitterung und Kampfeswuth der Volksstreiter wie von der Tapferkeit und mili tärischen Bravour der Soldaten ; aber von Kriegsgräuelu. von Grausamkeiten und Schlächtereien, von Mordgicr und Rachsucht gegen den überwundenen Feind werden nur vereinzelte Beispiele gemeldet. Die Stimme der Menschlichkeit fand häufiger Gehör als die der Leidenschaft. Verletzung des Eigentums wurde