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772 U. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. eine Generation machen, welche die Revolution und das Napoleonische Imperium durchlebt hatte, als sie die alte Hofetikette und das ganze Ceremonialwesen der „allerchristlichsten" Monarchie wieder aufblühen sah! als der fünfzigjährige Her zog von Angouleme wieder den Titel „Dauphin" annahm, die Herzogin von Berry und ihre Tochter sich wieder „Madame" und „Mademoiselle" nannten, die Kammerherren und Stallmeister wieder als „Edelknaben" auftauchten! Die Krönung selbst wurde mit der ganzen alten Prachtentfaltung bis auf die Heilung und Speisung der Kropfleidenden vollzogen und mit einem Ritterfest des Heiligen Gcistordens beschlossen. Selbst über den ärgerlichen Umstand, daß am 6. Oktober 1793 das Fläschchen mit dem heiligen Salböl zerschlagen worden, half sich der fromme Glauben hinweg. Treue Hände sollten das Ocl aus den Scherben der Phiole gerettet haben, ein Wunder das eine göttliche Fügung voraussetzte. Auch der alte Krönungseid wurde beibehalten, nur daß der König statt der Ausrottung der Ketzerei gelobte „die heilige Religion aufrecht zu halten und zu ehren wie es dem allerchristlichsten König und ältesten Sohn der Kirche zukomme", und daß dem Schwur beigefügt war. er wolle den Gesetzen und der constitutioncllen Charte gemäß regieren. Neben der Fluth von Gedichten zur Verherrlichung des Festes, zu der auch Lamartine seinen Tribut gab, bildete Berangcr's Lied „die Krönung Karls des Einfältigen" einen grellen Contrast und zog dem Verfasser eine Geld- und Gefängnißstrafe zu. Einen weitern Contrast zu der „Einweihung 2»- N°°br. der Capuzinerregierung" bildete einige Monate später das Lcichcnbcgängniß des Generals Foy, des „Mirabeau ohne Laster", das sich zu einer .wahren Natio nalfeier gestaltete. z-A"mu" Die Congregation und der französische Clerus unterließen nicht, die Macht stellung, welche die Krönung so deutlich an den Tag gelegt, durch weitere Kund gebungen darzuthun, dem Königreich ein geistliches Gepräge zu geben. Im SE-br nächsten Jahr feierte Frankreich das allgemeine Jubiläum. Da erlebte das leichtfertige Paris, daß binnen sechs Wochen vier große Prozessionen durch die Stadt zogen, woran der Hof, die Behörden und zweitausend Geistliche Theil nahmen, der König selbst im violetten Prälatengcwand, ein reicher Stoff für Caricaturen und politische Satiren. Und damit diese kirchliche Färbung auch in Zukunft dem Hofe erhalten bleibe, wurde nach dem Tode Montmorency's (11. Januar 1826) die Erziehung des jungen Herzogs von Bordeaux zwei ultramontanen Eiferern anvertraut, dem Herzog von Riviere, der einst in Piche- gru's Verschwörung verflochten und im Gefängniß fromm geworden war (S. 160f.), und dem Abbe Tharin, Bischof von Straßburg. Die ultramon- tanen Zeloten jesuitischer Färbung suchten mit der dem Romanismus cigen- thümlichen Hast und Ungeduld die günstigen Konstellationen auszunutzen, um gegen den ganzen Zeitgeist in die Schranken zu treten und sich über die Kirchen- gcsctze des Staats wegzuheben. Schon im März hatte der Großalmosenier des Fgrst Cror einen Hirtenbrief von so anmaßender Ucberhcbung erlassen,