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756 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. Dagegen kamen unter Nicolaus bald Symptome zum Vorschein, die schließen ließen, daß man in Petersburg nicht gesonnen sei, noch ferner mit dem Wiener Hof Hand in Hand zu gehen, daß man vielmehr mit England sich zu einer vermittelnden pacificatorischen Mission zu vereinigen gedenke. Und welcher Zeitpunkt hätte günstiger sein können, die Bande der Heiligen Allianz wo nicht zu sprengen, doch zu lockern und die Griechen gegen die mo hammedanische Barbarei zu schützen? In England war, wie uns bekannt, das Staatsruder den geschickten Händen Canning's anvertraut, der auf der Höhe des Lebens seine Jugendträume und die Begeisterung für die Befreiung der Hellenen nicht vergessen hatte. Cr hatte sich mehr und mehr aus der Torystischen Atmosphäre emporgeschwungen und sich den liberalen Zeitideen genähert. Mit welchem Entsetzen vernahmen die Anhänger der Legitimitäts- und Stabilitäts politik die Parole des englischen Premierministers auf dem Festmahle zu Har wick, : „Bürgerliche und religiöse Freiheit über die ganze Welt!" Bereits waren die Blicke aller Freisinnigen in Europa auf den britischen Staatsmann gerichtet, der für das Ringen der Völker nach Freiheit und Selbständigkeit Vcrständniß und Sympathie kundgab. In Griechenland wurde sein Name bald neben den von Lord Byron gesetzt. Der jüngere Miaulis, Sohn des Admirals, über brachte dem englischen Minister eine von vielen angesehenen Unterschriften be deckte Adresse, worin das griechische Volk seine Freiheit, Unabhängigkeit und politische Existenz unter den ausschließlichen Schutz Großbritanniens stellte, ein Aktenstück von großer Tragweite. Es zerriß die gleichzeitigen Jntriguen der französischen Partei, welche einein Orleans'schen Prinzen die griechische Königs krone zuwenden wollte. Da« P-tns. Durch direkte Verhandlungen zwischen Canning und dem russischen Bot- ,o,ol> jwischm schafter Lieven und seiner geistvollen klugen Gemahlin waren bereits die ersten England. Lchntte zu einer russisch-englischen Allianz, dem „»wnstruösen Produkt", wie Metternich sich ausdrückte, gethan worden, als der Herzog von Wellington zur Beglückwünschung des neuen Kaisers zu seiner Thronbesteigung in außcr- Mär, isr«. ordentlicher Mission nach St. Petersburg gesandt ward. Schon vor seiner An kunft hatte das russische Cabinet eine scharfe Note an den Divan gerichtet, worin es in drohender Sprache die Ausgleichung der seit dem Frieden van Bukarest im Jahr 1816 zwischen beiden Mächte» wegen Serbien und Rumänien noch schwe benden Differenzen forderte. Nun einigten sich die beiden stolzen selbstbewußten Persönlichkeiten, Nicolaus und Wellington, im tiefsten Gcheimniß zu einem Pro- "Äs^okoll, worin sich England und Rußland verpflichteten, die Aussöhnung zwischen der Pforte und Griechenland zu vermitteln. Die Grundlagen des Pacifications- merkes waren für die Aufständischen keineswegs ermunternd: Der Sultan sollte nach wie vor eine gewisse Oberhoheit behalten; Griechenland sollte als tribut pflichtiger Staat durch das Band der Personalunion mit der Türkei verknüpft