Volltext Seite (XML)
658 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. im Allgemeinen die Einführung landständischcr Verfassungen verheißen war, ohne Angabe der Prinzipien und der Art und Zeit der Ausführung. Während diese, von demokratischen Grundsätzen ausgehend, der neuen Ordnung gram waren, weil sie die Bethciligung des Volks am Staatslcben zu gering fanden, zürnten die ehemals unmittelbaren Reichsstände über den Verlust ihrer Unab hängigkeit und der Adel über den Grundsatz der Rechtsgleichheit sowie über das Streben, die Standesverschiedenheit zwischen Edelmann und Bürger zu mindern und auszugleichen. Trotz der allgemeinen Erschlaffung, in die Europa nach Na- poleon's Sturz verfiel, wurde es daher den deutschen Fürsten nicht leicht, die losgelasscnen Geister wieder in die Schranken des Gehorsams zu bannen, ^naa-naan Die sichtbare Abneigung Oesterreichs und Preußens gegen das neue Stände- -ul'Priuben" welches politische Kämpfe und ein aufgeregtes Staatslcben in seinem Ge folge hatte, erhöhte die Verstimmung, und die Verschiedenheit der nach mancherlei Zögerungen und Unterbrechungen in einigen Ländern zu Stande gekommenen ständischen Einrichtungen weckte Sehnsucht nach einer großen, die ganze Nation umfassenden Staatsform mit volksthünilichen Grundlagen. Was half es, daß in den meisten Staaten von Süd- und Mitteldeutschland landständische Verfas sungen mit mehr oder minder liberalen Grundsätzen ins Leben traten, wenn der mächtigste Staat, Preußen, dem politischen Leben keinen andern Schauplatz ge währte als die Provinzialstände mit blos bcrathender Stimme ohne Oeffcntlich- keit und gemeinsames Interesse? Jenes Preußen, das zur Zeit der Fremdherr schaft an freisinnigen und volksthünilichen Einrichtungen dem übrigen Deutschland vorangegangen war, das in dem Aufruf von Kalisch die Wiederherstellung eines einzigen freien Reichs „aus dem ureignen Geiste des deutschen Volkes" verheißen hatte, das nicht nur während des Kriegs, sondern auch noch auf dem Wiener Congreß auf der Bahn des politischen Fortschritts gewandelt — es gab sich all mählich gefangen unter den Einfluß der Metternich'schen Politik uud steuerte der Rcaction zu. Der ängstliche, unschlüssige, stets von fremden Rathgcbcrn ab hängige König ließ sich einnehme» gegen die patriotischen Männer, die Preußen mit Deutschland groß zu machen suchten, und verdammte das Streben, dem er die Wiederherstellung seines Reichs verdankte, eine verhängnißvolle Wendung, die auf Jahrzehnte hinaus der nördlichen Großmacht die Sympathien des deut schen Volks raubte. Die ehemaligen Mitglieder des Tugcndbundes und die für Deutschlands Freiheit und Größe begeisterten Männer der Befreiungskriege wurden zurückgcsetzt und mit Mißtrauen betrachtet, indeß ihr verleumderischer Gegner, der Geheime Rath und Staatsrcchtslehrer Schmalz in Berlin, der die Wirksamkeit jenes patriotischen Vereins und die Begeisterung der Nation wäh rend der Befreiungskriege als ganz unnütze und gefährliche Aufregung in einer Aergerniß erregenden Schrift zu schmähen gewagt, mit Orden und Ehren geziert ward. Das Verfassungswerk wurde verschoben, und wenn man auch nach einiger Zeit wieder darauf zurückkam, das Resultat der langjährigen Bcra-