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I. Rcactionäre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 579 Freigeist, ließ aus Politik und Phlegma die klcrikal-royalistische Propaganda gewähren. Man ging gegen die Voltairianer und Freidenker mit kirchlichen Strafen vor, versagte ihnen die Gnadcnmittel und den geistlichen Beistand, eiferte in Kanzelreden und Hirtenbriefen gegen Jndifferentismus; man suchte die con- stitutionellcn Geistlichen zu verdränge», den Aberglauben und den Heiligen- und Reliquiendicnst zu beleben, Wcltlust und gesellige Freuden durch eine finstere Ascetik zu bekämpfen. Zelotische Bußprediger, meistens ans dem Jesuitenorden hervorgegangen, durchzogen als Apostel der „inneren Mission" die Provinzen, um die Wunden, welche die Aufklärung geschlagen, die Revolution offen gelegt hatte, durch die Erweckung äußerlicher sinnlicher Wundergläubigkeit und Marien verehrung durch pomphafte phantastische Prozessionen zu heilen. Gegen Ver spottung und tumultnarische Störungen von Seiten der Weltkinder und der studirenden Jugend mußten die Bußpredigcr oft in den größeren Städten durch Polizeimannschaft und Soldaten geschützt werden. Wie einst der Hof und die vornehme Gesellschaft zur Zeit Ludwigs XIV. zur Bekehrung der Hugenotten auszog, so jetzt der ultramontane Klerus, der legitimistische Adel und in beider Gefolge die ncuromantische Poesie gcgcn die philosophische und liberale Geistes richtung des achtzehnten Jahrhunderts. Durch „christliche Schulen" und „kleine Seminarien" nach jesuitischer Lehrmethode, durch Vereine und Genossenschaften, durch Verbreitung von Andachtsbüchern wußte die priesterliche Propaganda der Congrcgation und der inneren Mission für ihre Zwecke zu wirken. Schutz und Gunst von Oben verlieh ihrer Wirksamkeit Nachdruck. Bei so scharfer Parteitendenz und Factionswuth konnte kein gesundes Auv-sung»» Staats- und Rechtslcben in Gang kommen. Was half es, daß bei den Depu-Kamm»"" tirten einige Redner wie Lame, Roher-Eollard, St. Aulaire, im Oberhaus Minist-r!um Lally-Tolendal, Mole, Lanjuinais, die Herzoge La Vauguyon, Choiseul u. a. für die Verfassung und freiheitliche Entwickelung eintraten, sie bildeten gegen über der rcactionären Strömung eine geringe Minorität. Den König beschlich ein unheimliches Gefühl; er beschloß dem ungestümen Eifer der Faction Artois Einhalt zu gebieten; ein eigenhändiger Brief des Kaisers Alexander, der von Richelieu veranlaßt den König ermahnte, „im Interesse der Ruhe Frankreichs und des allgemeinen Friedens in Europa" das constilutionclle Staatswesen auf Grund der Charte aufrecht zu erhalten, bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Auch der Minister Decazcs, der Ludwigs ganzes Vertrauen und höchste Gunst besaß und mit dem citeln ehrgeizigen Vaublanc in Feindschaft lebte, wirkte in dieser Richtung. Selbst Chatcaubriand's Schrift „die Monarchie gemäß der Charte" war eine scharfe Waffe gegen das überroyalistische Regiment. Wir werden den romantischen Dichter, der uns schon aus der Napoleonischen Zeit bekannt ist, an einem andern Orte in seiner Stellung zur Restauration kennen lernen. „Er war in seiner ganzen politischen Laufbahn immer getheilt zwischen der Begierde zu regieren und der Sucht, die Regierenden anzufechten, aber er schien sich alle» 37»