Volltext Seite (XML)
IV. Umsturz und Neubau. 429 Graf Wittgenstein die preußische Grenze im Vertrauen auf das Abkommen mit Vvrk überschritten. Es war Astes in Ungewißheit und spannungsvoller Schwebe: das Heer war größtentheils mit den Russen verbündet, ein Volksaufstaud gegen die Franzosen nahe am Ausbruch, aber die Regierung zögerte noch wochenlang offen Partei zu ergreifen, wenn gleich bereits der Antrag eines Schutz- und Trutzbündniffcs vom König gestellt, vom Zaren bereitwillig angenommen worden. Derselbe Botschafter. Major von Natzmer, der die Verwerfung des Vertrags von Taucoggen und die Absetzung Vork's nach Königsberg zu melden hatte, un terhandelte im Hauptquartier des Zaren über ein Bündniß. Die russischen Generale, die in Ostpreußen eingczogcn waren, traren An- Ah-Erhe> sangs in gebieterischer Weise auf und machten alle Anstalten, das Land bis zur D>'p«uk°"- Wcichscl für den Zaren in dauernden Besitz zu nehmen. Es lag darin ein neuer Antrieb, möglichst bald zwischen Russen und Franzosen endgültig zu wählen, uni nicht zwischen beiden zerrieben zu werden. In der Provinz Preußen herrschte der beste Muth, alsbald eine allgemeine Volksbewaffnung gegen Frankreich ins Werk zu setzen, zumal als Nork das Generalgouvernement wieder übernommen hatte. Jene ohnehin armen Landschaften waren durch die Kriege der letzten Jahre bis aufs Mark ausgesogen. Die Wunden, die der Feldzug von 1806 und 1807 geschlagen, waren noch nicht geheilt; sie waren noch sichtbar in den verwüsteten Feldern, in verödeten Dörfern und zertrümmerten Städten; nun war der Durchzug von Hundcrttauscndcn mit dem ganzen aussaugendcn System solcher riesigen Hcereszüge hinzugekommen. Der Haß und die Erbitterung waren in diesem kernhastcn Volke der Grenzmark aufs Höchste gestiegen. Allein es fehlte bei der Zurückhaltung der Berliner Regierung Anfangs an einem ausschlaggebenden Willen, der die Bewegung in die richtigen Bahnen geleitet hätte. Der vom König verlcugnete Nork so wenig wie der Oberpräsidcnt von Aucrswald hielten sich für befugt, die allgemeine Landcsbewaffnung anzuord- ncn oder ohne königliche Ermächtigung die Landstände nach Königsberg einzubc- rufen. In diesem Augenblick kam der Freiherr vom Stein, der sich seit dem Frühjahr 1812 als Rathgcber des Kaisers Alexander in Rußland befand und dessen erregbaren Sinn für seine großen Pläne zur Befreiung Deutschlands zu gewinnen wußte, in Königsberg an, ausgerüstet mit der umfassendsten Vollmacht2l.J<m.i8is. des Zaren, die Verwaltung der Provinz bis zu dem definitiven Uebereinkommen mit dem König zu übernehmen und alle Kräfte des Landes für den Krieg gegen Frankreich in Bewegung zu setzen. Eine seiner ersten Maßregeln war die Aushebung der Continentalsperre und die Ocffnung der Ostseehäfen für den freien Handel. Freilich kam man dem neuen Gebieter, der unter russischer Autorität austrat, mit Mißtrauen und Zurückhaltung entgegen, wenn gleich der frühere leitende Minister noch in größtem und allgemeinem Ansehen stand. Die durchfahrende Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit Stein s, der lediglich mit russischer Vollmacht in Preußen schaltete, seine rauhe Dictatorenart verletzte auch die besten und opferwilligsten