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III. Die Jahre der Napoleonischen Weltherrschaft. 315 wenigstens 112,000 Mann über die ganze Halbinsel zerstreut war, ungerechnet die spanischen Regimenter unter der kaiserlichen Fahne und die Armeccorps, mit denen Junot Portugal in Gehorsam hielt und gegen die Landungsnersuche der Engländer zu schützen suchte! Die berechnende Seele Napoleon's, urtheilt Lan- srey, vermochte nicht den wilden und selbstlosen Fanatismus zu begreifen, den heldenmüthigen Wahnsinn, der sich einer ganzen Nation bemächtigt. Cs war dies ein moralisches Phänomen, das über sein Verständniß hinausging. Wenn Joseph, der die schwierige Lage bald genug begriff, Bedenken äußerte, schrieb ihm der kaiserliche Bruder: „Seien Sie muthig und heiter und zweifeln Sic nicht am vollständigsten Erfolg". Diese vorgefaßte Meinung befestigte sich noch durch die raschen Siege, welche die französischen Truppen bei Logrono, bei Val ladolid, bei Scgovia u. a. O. in der ersten Juniwoche davontrugen. Allent halben wo die Aufständischen im offenen Felde den französischen Soldaten ent- gegcntraten, wurden sie mit leichter Mühe und großen Verlusten in die Flucht geschlagen. Auch im Süden drang General Dupont mit jungen frisch ausgc- hobenen Truppen durch die langen Engpässe der Sierra Morcna in Andalusien vor, erstürmte Cordova und ließ die Stadt alle Kriegsgräuel erleiden. Durch Plünderung, Verheerung und Schrecken wollte er die Unterwerfung erzwingen und durch rasche Erfolge bei dem Kaiser, der ihm gewogen war und große Stücke auf ihn hielt, sich den Marschallstab verdienen. Er gedachte bald als Sieger in Sevilla einzuziehen und die Insurrektion in ihrem Haupt zu treffen. Denn die Junta dieser Stadt, bei welcher Graf Tilly, ein bösartiger Ränkeschmied, und der Franciskanerpater Manuel Gil, ein kluger Kleriker von ungewöhnlicher Be gabung, den hervorragendsten Einfluß besahen, hatte sich den Namen einer „ober sten Junta von Spanien und Indien" beigelegt und machte Anspruch auf den Rang einer höchste» Regierungsbehörde. Von Sevilla gedachte Dupont nach Cadiz vorzurückcn, wo ein französisches Geschwader vor Anker lag. Aber gegen die Mitte des Monats trat eine Wendung ein, welche die Hoff- W-Astan» nungcn auf schnelle Unterdrückung der Insurrektion als Täuschungen erscheinen g-n,en. ließ. Zaragossa, die alte Hauptstadt Aragoniens, setzte unter der Führung des Jose Palafox y Melci, eines jungen Mannes von vornehmem Geschlecht?, und des Corregidors (Amtmanns) Don Lorenzo Calvo de Nozas, den französischen Generalen Lefebvre-Desnoettes und Verdier einen so energischen Widerstand ent gegen, daß nach mehreren vergeblichen Sturmangriffen die Belagerung aufgegcben ward. Gestützt auf die Aljaferia, ein kolossales viereckiges Bauwerk, das einst die'««».' Residenz der maurischen und aragonischen Könige gewesen, durch Ferdinand den Katholischen aber dem Jnquisitionshof zugewiesen worden war, und auf vier mächtige Klöster führte die städtische Bevölkerung, selbst Frauen, Kinder und Greise, mit Hülfe von Bauern und Soldaten, unter dröhnendem Sturmgeläute einen Bertheidigungskampf, der an die Heldenzeit des Alterthuins erinnerte. Vor der Fahne der heiligen Jungfrau del Pilar, der Patronin der Stadt, hatten