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III. Die Jahre der Napolconischen Weltherrschaft. 171 seine Machtsphüre zu ziehen beabsichtige, thcils durch Annexion an Frankreich, theils durch Gründung Bonapartischcr Vasallenstaaten. Je mehr der Ausbruch eines neuen Coalitionskrieges in Aussicht trat, desto mehr war Napoleon beflissen sich gegen die beiden noch selbständigen Staaten, das österreichische Vencticn und das Königreich Neapel sicher zu stellen. Die ausgedehnten Rüstungen der Oesterreicher in ihren Be sitzungen am adriatischen Meer gaben Veranlassung zu einer politischen Correspondeuz, die als Vorläufer neuer Kämpfe betrachtet werden konnte und dem französischen Macht haber Gelegenheit bot, seine Strcitkrästc, die dem Oberbefehl des kriegstüchtigcn Feld- Herrn Massena unterstellt waren, zu verstärken; und Napoleons Haltung gegenüber Neapel war der Art, daß es nur eines Hauches bedurfte, um die Bourbon'sche Monarchie zu vernichten. Ohne auf die Protestation des Papstes und besten Berufung aus die Neu tralität des Kirchenstaats zu achten, blieben Ancona und das östliche Küstenland von französischen Truppen besetzt, und die Beschuldigungen, Drohungen, Forderungen, die Napoleon fort und fort an den Hof von Neapel richtete, gaben Zeugniß von seinem tiefen Mißtrauen gegen die Königin Karolinc und ihren Gemahl. Durch eine aufrich tige Neutralität, wie sie der Berliner Hof damals einhielt, hätte das Königreich beider Sicilien seine Existenz noch längere Zeit sichern können; denn cs lag nicht im Interesse Napoleon's, die Zahl seiner Feinde zu mehren; allein je schwerer die französische Ge- walthcrrschast auf dem Lande lastete und je unerträglicher die Machtgcbote des Impe rators der habsburgisch-bourbonischen Königin waren, desto eifriger handhabte sic die Waffen der Ränke und Jntriguen. um die fremden Cabinctte zum Krieg auszustacheln. Dem französischen Kaiser blieb das ruhelose Treiben Karolinen's nicht verborgen, in einer Anrede an den neapolitanischen Gesandten gab er seinem Zorn in einer Weise Ausdruck, welche die feindseligen Pläne seiner Seele verrietst. „Melden Sie Jhrerr.san.isos. Gebieterin", herrschte er den erschrockenen Diplomaten an, „daß ich ihre Kabalen wohl kenne, daß wenn sic noch ferner zum Kriege treibt, ich ihr und ihrem Hause nicht so viel Land lassen werde, als zu einem Grabe für sie nöthig ist. Ihre Kinder werden hülfeflehend in Europa umherirren und ihrem Gcdächtniß fluchen". Das Einlenken in freundliche und höfliche Worte vermochte den Eindruck der Drohung nicht zu verwischen. Karolinc war fortan entschlossen, dem im Entstehen begriffenen europäischen Kriegs- buude bcizutreten und lieber Alles aufs Spiel zu setzen, als die Verpflichtungen cin- zugehcn, die ihr Napoleon ausdrängcn wollte und die das Schicksal ihres Landes und der Dynastie gänzlich in dessen Hände gegeben hätten. Allein der Hof von Neapel schlug einen Weg ein, der nothwcndig zum Verderben führen mußte. Um den General St. Cyr. der den Auftrag hatte, die Engländer und Rüsten von Neapel fernzuhalten, am Einmarsch in das Königreich zu hindern, schloß man mit Frankreich einen Neutra - 20. Oct. wvs. litätsvcrtrag ab und unterhandelte zu gleicher Zeit in Wien über den Anschluß an die kriegführenden Bundcsmächte. Und diese zweideutige Handlungsweise, bemerkt Co letta, wollte man für Rcgieruugsweisheit und tiefe Politik ausgeben. Wir haben unser Urtheil über das Verfahren des französischen Machthabers Wi-,ung-n in Italien schon früher ausgesprochen: wie eigenmächtig und gewaltthätig immer die Umgestaltungen ins Leben traten; im Vergleich mit den alten Zuständen der Halbinsel waren die neuen Einrichtungen, die Einführung des Napolconischen Rcchtsbuchcs und Gerichtswesens, des französischen Vcrwaltnngssystcms, der Militärorganisation, der constitutioneilen Staatsformen u. A. ein wesentlicher Fortschritt zu freiheitlicher Entwickelung. Und wenn man es rügen will, daß das Vorgeben, die Umgestaltungen seien das Resultat der Wünsche und freien