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Jas WWe WMoazil IS2S Don Generalsekretär Pfarrer ttsrr-Leipzig, Mitglied praktisches Mit Spannung sehen nicht nur christliche Kreise, sondern die breiteste Oeffentlichkeit der Stockholmer Weltkonferenz, die vom 19.—30. August tagen soll, entgegen. In der Tat handelt es sich hier nm ein Ereignis von größter Bedeutung. An kirchlichen E i n h c i t s b e st r c l> u n g e n hat es zwar auch in der Vergangenheit nicht gefehlt. Aber diese Bestre bungen waren doch entweder teils national, teils konfessionell begrenzt, oder sie beschränkten sich ans einzelne Zweige kirchlicher Arbeit, wie Aeußcre Mis sion, Jugendarbeit, Gemcinschaftspflege u. a. Jetzt in Stockholm kommen nicht Abgesandte freier Ver eine, sondern De r t r c t e r offizieller Kirchen zusammen, und zwar Berlreter des gesamten Prote stantismus wie der griechisch-katholischen Christen heit. Nur die römisch-katholische Kirche hat sich von der Beteiligung ausgeschlossen. Es handelt sich nm cln christliches Wcltkonzil, wie cs seit den Tagen von Nicäa im Jahre 325 die Geschichte nicht wieder ge- fundcn hat. Daß das Zustandekommen eines solchen. Kongresses im siebenten Jahre nach dem Ende des großen Weltkrieges möglich geworden ist, bedeutet schon an sich eine Tat, die gar nicht hoch genug cingeschätzt werden kann. Man denke nur einmal zurück an die Zeiten — sie liegen noch gar nicht so lange hinter uns — wo Luthertum und Lalvinismuc sich erbittert bekämpften, und wo andere christliche Denominationen weithin rechtlos waren. Jetzt wer den Lutherische und Reformierte, Methodisten und Baptisten, engliche Hochkirchler und Presbyterianer, Unitarier und Quäker 14 Tage nebencinandersitzen und miteinander verhandeln. Zwar wird es sich nicht um Fragen des Glaubens imd der Lehre, der Perfassung oder des Kultus handeln. Man ist heute weit davon entfernt, von einer Wiedervereinigung der von einander getrenn ten kirchlichen Gebilde zu träumen. Dazu hat man auf allen Seiten zu viel Respekt vor dem geschichtlich Gewordenen und vor den Wirklichkeiten des Lebens, die aller menschlichen Konstruktionen spotten. Nur auf dem Gebiet der cki r i st l i ch e n Ethik und des sozialen .Handelns will man eine Fühlung- nähme und Verständigung versuchen. Der Krieg hatte die internationalen Beziehungen, die auch in den ethischen und sozialen Fragen zwischen den ein- zelnen Kirchen und Ländern vielfach bestanden, fast restlos abgerissen und vernichtet. Es wird für alle Seiten von Wichtigkeit sein, durch die persönliche Berührung in Stockholm, diese Beziehungen wieder anknüpfen zu können. Freilich, auch hier ist von vonhercin eine Schranke gegeben. Es muß jedem Einsichtigen von vornherein unmöglich erscheinen, Fragen des Krieges oder der Kriegsschuld in Stock holm verhandeln oder gar lösen zu wollen. Dazu sind die außenpolitischen Verhältnisse noch viel zu gespannt und die Voraussetzungen noch lange nicht gegeben. Gerade die deutsche Delegation wird darauf zu achten haben, daß auf diesem schwie rigen Gebiet nicht einseitige Urteile gefällt werden, sondern der Vurgfrede nach allen Seiten aufrecht erhalten wird. Freilich wird man andererseits auf dem völlig neutralen Boden in Stockholm auch nicht etwa von vornherein nationale Forderungen erheben oder nationale Zugeständnisse verlangen dürfen. Sollte es der Einsicht und Zurückhaltung aller gelingen, unnötige Provokationen, die eine nachdrückliche Zu rückweisung verlangen würden, zu vermeiden, dann kann gewiß gerade das Zusammensein in Stock holm dazu verhelfen, Mißverständnisse zu zer streuen und verlorengegangenes Vertrauen wieder zu erwecken. Die Tagung kann den Beweis liefern, daß das Christentum starke völkerversöhnendc Kräfte in sich birgt, Die Konferenz gliedert sich in vier Sek tionen. Die Amerikanische mit rund 200, die europäische mit rund 175, die britische mit rund 100 und die orientalische mit rund 75 Abgeordneten. der deutschen Delegation zur „Weltkonferrenz für Christentum". Zusammen werden also etwa 550 Delegierte an der Konferenz teilnehmcn. Jede Sektion stellt einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten, die europäische neben dem Erzbischof D. Socdcr - b l o m, den Präsidenten des Deutschen Evang. Kirchcnausschusscs, D. Dr. Kapler, der zugleich auch Führer der 77 Mitglieder zählenden deutschen Delegation sein wird. Offizielle V e r h a n d l u n g s- sprachen sind deutsch, englisch und französisch. Alle Dorträge, Berichte und Diskussionsreden, die in einer der drei Verhandlungssprachen gehalten werden, sollen in kurzer Zusammenfassung auch in den übrigen Verhandlungssprachen Wiedergabe fin den. Die Vorbereitungen sind mit großer Umsicht, und mit der namentlich den Angelsachsen in solchen Dingen eigene Praxis getroffen worden. Sämt- liche Berichte über die einzelnen Perhandlungs- gegenstände, deren Bearbeitung schon seit längerer Zeit unter die verschiedenen Sektionen verteilt wor den ist, liegen in kurzer Zusammenfassung gedruckt vor und werden die Grundlage der Verhandlungen bilden. Am Mittwoch, den 19. August, wird die Welt konferenz mit einem feierlichen Gottesdienst in der Stocklzolmer Kathedrale eröffnet, an den sich ein Empfang beim König von Schweden im Reichstags- > saal anschlicßt. Hierbei wird nach einleitenden Worten des Erzbischoss D. Eoederblom für die euro päische Sektion der Führer der deutschen Delegation, Präsident D. Dr. Kapler, ein Begrüßungswort sprechen. Die beiden ersten Dcrhandlungstagc wer den den wirtschaftlichen Fragen gewidmet sein wie z. B. Arbeitslosigkeit, Kinder- und Iugend- ttchcnarbeit. Zwei weitere Dcrhandlungstagc sind für die Erörterung wichtiger sozialer Probleme (Wohnungsfrage, sexuelle Frage, Alkoholfrage, Be- rufsfragc usw.) bestimmt. Am Montag, den 4. August wird das Thoma „Die Kirche und die i n t e r n a t i o n a l en Beziehungen" zur Per- Handlung gestellt Unter den einleitenden Refe renten hierfür ist auch Reichskanzler D r. Luther in Aussicht genommen. Einen breiten Raum wird die Behandlung wichtiger Erziehungs fragen einnchmen. Mit einem Gottesdienst in der Kathedrale von Upsala wird die Konferenz am Sonntag, den 30. August, geschlossen. Man hat oft gefragt, was wohl bei dieser Welt- konfcrenz herauskommen wird. Es wird gut sein, seine Erwartungen in dieser Hinsicht von vornherein nicht so hoch zu spannen. Es wäre auch nicht gut, wann die Konfcrenz etwa versuchen wollte, in den schwierigen, zur Verhandlung stehenden Fragen und Problemen die christlichen Kirchen auf bestimmte Normen festzulcgen. Neigung ist allerdings beim angelsächsischen Protestantismus vorhanden. Man täuscht sich dort ost in einem rationalistsch gefärbten Moralismus über die Schwierigkeiten hinweg, man glaubt die sittlichen und sozialen Probleme der Gegenwart mit kurzen Formeln lösen zu können. Es wird demgegenüber Aufgabe gerade der deutschen Delegation sein, jene Probleme in ihrer ganzen Schwierigkeit und Tiefe und in ihren vielseitigen Verflechtungen sehen zu lehren, und aus den grundlegenden Erkenntnissen deutscher Wissen- schäft heraus, wie aus dem ernsten Ringen um diese Fragen, das seit Jahrzehnten kirchliche Kreise in Deutschland beschäftigt, zu zeigen, daß hier Zurück haltung am Platze ist, daß immer gewisse Schwierig, leiten und Spannungen bleiben werden, daß die Verhältnisse im einzelnen viel zu verschieden liegen, um sich allgemeinen Gesetzen zu fügen und daß ge- rade die religiöse Innerlichkeit des deutschen Pro testantismus dem viclgeschäftigen Sichvcrlicrcn an die Dinge dieser Welt gewisse Grenzen setzt. Aber selbst wenn man diesen deutschen Stand punkt anerkennt und auf alle „Resolutionen" ver zichtet, behält die Konfcrenz ihren hohen Wert und ihre kirchengeschichtliche und rcligionsgcschichtlche Be deutung. Eie wird der Welt zeigen, daß das Christentum trotz aller seiner Spaltungen eine Macht ist, deren Mitarbeit auch im öffentlichen Lebon nicht entbehrt werden kann, daß die Christ lichen Kirchen die sozialen und internationalen Probleme der Gegenwart in ihrem ganzen Ernst empfinden und entschlossen sind, an ihrer Erkennt nis und an ihrer Lösung mitzuarbciten. gil Ser WoeWIMIinW Lesesaal-Typen Der Schnüffler Er ist ein schlanker, blasser Mensch, der vor dem Kriege irgendein bestimmtes Ziel gesehen hatte und jetzt teins mehr sicht. Schaukelt auf dem Ozean des Schrifttums um des Schaukelns willen. Sam melt geistige Kuriositäten. Stöbert in allen Chro niken, alten Städtc-Geschichten. Seine Gesichtszügc beginnen den Charakter des Papiers anzunchmen, zwischen dem er lebt. Wenn er lächelt, zeigen sich hundert Fältchen, und man glaubt es knittern zu hören. Manchmal holt ihn eine hübsche, kleine Frau ab, die sich mit großen dunklen und verwun derten Augen in dieser Welt umsieht, die lautlos wie ein Film ist, ohne dabei annähernd so amüsant zu sein. Der Politiker Der Politiker macht keine Politik, sondern schreibt nur darüber. Er verachtet sogar ein bißchen die Leute, die Politik machen. Sie entfesseln in der Regel Weltkriege. Er hat noch nie einen Weltkrieg entfesselt. Er sieht rot und gesund aus, weil er jeden Morgen um 5 Uhr schon im Freien badet. Er sitzt meist im Zcitschriftensaal und studiert die welt politischen Zusammenhänge. Manchmal denkt er in aller Bescheidenheit, er halte sämtliche Fäden in der Hand und sei der Herr der Welt. Der Wüterich. Ein alter vierschrötiger Mann mit eisernen Nerven, der aber beständig über irgend etwas er- bost ist. Er hantiert fortgesetzt mit großen Folianten, ist aber viel zn wütend, um zu arbeiten. Er tut so, als störe ihn jedes Geräusch, jedes Flüstern, jeder Tritt. Wenn alles still ist, lauert er, ob nicht ... So bald sich etwas regt, beginnt er mit den Füßen zu scharren und blickt sich wild um. Man hat den Eindruck, als schliefe er nachts in einer Felsspalte. Die Studentin Die Studentin hat einen Studenten, mit dem sie kommt und geht, der ihr bei ihren medizinischen Arbeiten hilft, und mit dem sie nachher nett, an. geregt und ohne den geringsten erotischen Einschlag plaudert. Sie ist völlig selbständig, nickt im nun- dosten schutzbedürftig und hält die Liebe für einen plumpen Versuch der Männer, die Frauen in Hörigkeit zu halten. Die nackte Schulter Im Gegensatz hierzu gehört die hübsche Kunst- gewcrblerin zu jenen Damen, die nie merken, wenn, ihnen die eine Schulter aus dem Kleid gerutscht ist (zufälligerweise handelt cs sich in diesen Fällen immer um schöne Schultern). Wenn sie erscheint, geht ein lindes Wehen durch den Saal, wie wenn der Wind über ein Getreidefeld streicht. Ein Neigen und Sich aufrichten. Der Schnüffler zieht die Augenbrauen hoch, der Politiker streicht seinen Schnurrbart, der Bcrgtroll rückt sich das überzogene Bleck'siück zurecht, das er als Krawatte trägt, und lehnt sich einen Augenblick lang feiertäglich in den Stuhl zurück, die Lehrerin beugt sich tief in ihre Bücher und schämt sich für ihr ganzes Geschlecke der schöne Privatgclehrte merkt, daß er auf einem fal schen Platz sitzt, die Studentin wirft im Geiste ein furchtbares Wort hinüber . . . Dann wendet sich alles ab und wieder der Arbeit zu. Aber die Schulter leuchtet dennoch, leuchtet weiter und erfüllt den ganzen Saal wie mit magischem Licht. Und das ist die Probe aufs Excmpel: Was in diesem Licht verblaßt — Gedrucktes oder Geschrie benes — das ist nichts wert, das hat kein irdisches Dasein, das ist kalt und tot, wie die Leichen am Allerscelcntage trotz illuminierter Gräber. 8. Zer MW-Zos Von Kaslnilr ccksotimick Als ich im April vom Flughafen in Antibes nach Nizza fuhr, sah ich vom Auto aus in den Gärten, die vor dem Mittelmcer liegen, den Rücken eines Kamels. In den nächsten Wochen, dio ich zwischen Marseille und Genua mich befand, fiel mir die Linie immer wieder ein, welche die beiden Höcker dieses Tieres über den niederen Palmen abgezcichnct hatten- Ich vergaß sic aber wieder, da ich keine Zeit hatte, inmitten von Hunderten Spleens mich mit der Laune von irgendjemand zu beschäftigen, der sich in der Nähe von Cagnos ein Kamel hält. Der Eindruck fchien mich aus zwei Gründen meho zu beschäftigen, als ich ahnte- Infolgedessen begab ich mich auf die Suche, nachdem jedermann mir versichert hatte, daß ein Kamel kaum auf dieser Strecke existieren könne, die von dem Kriegshafen' Toulon über George Clcmcnccaus süße Blumcnvilla und die erstorbenen Sarazencnstädte nach Monte Carlo führt. Eines Mittags gelang es mir, das Tier wiedcrzuschen. Es hatte seinen Kopf in einen Orangenbaum gesteckt, der voll glühender Früchte hin. Es war hinter den Renntribüncn, welche die sieben Kilometer lange Promenade des Anglais Nizzas abschließend hinter der Baie des Ancscs, auf einer Dillcnstreckc, die den Namen St. Laurent führt, wenige Minuten vor Cagnos, im vol.en An blick der Scealpcn. Es handelt sich in der Tat um einen Zoologischen Garten, der das Gehe.mnis be saß, nicht nur gerade gegründet wordcn zu sein, sonder auch sich der höchsten Anonymität zu ersicucn. Ich bin ein wenig vernarrt in Zoologische Gärten. Der Frankfurter Zoo, der vor der schönen Wettcrau- Ebene liegt, die unsere Heimat ist, bewahrt für mich den höchsten Zauber aller Kinder-Geheimnisse. Hier laufen die Pfauen und Pelikane wie die Götter spazieren. Im Frühling duftet der Par! mit allen Säften, welche die Natur den guten Nasscn der Tiere gegeben hat, um die Wette mit jcncn Wolken von Geruch- den der Boden und die Fliedcrbüsche in den Abend strömen lassen. Ich kenne nur den Skanscn in Stockholm, der fovicl Natur hat. Die Raubvögel sitzen hier zwar in Käfigen, die mit Drähten hoch verschanzt sind, und die Tiger laufen hinter Gittern herum, aber ich sehe in dieser Mischung von Natür lichkeit und Gefangenschaft das Symbol der ge- fesselten Freiheit- Ich hasse wirklich jenes Theater, das uns die Tiere wie in München in einer Freiheit zeigt, die albern ist, und deren monumental gemachte Kulisse ein unangenehm moderner Schwindel ist. Wer in Frankfurt eintritt und die Allee von im Freien schaukelnden Papageien und Kakadus cnt- langgeht, hat das Rätsel des exotischen Südens heraufbcschworcn- Diese Farben vergessen sich nicht. Kurz, ich hielt in St. Laurent an einer Mauer und stieg eine kleine Treppe hinunter. Sofort sah ich einen abgcgrenzten Raum mit weißen, ungc- beizten Möbeln, den ein kleiner primitiver Drahtzayn von einem Garten trennte. An dem schmalen Durch gang stand eine Dame und ich konnte auf der Stelle sehen, daß sie nicht allein war. Sie besaß offenbar eine Tochter, die aus einer Hütte trat. Sofort konnte ich auch sehen, daß sich überall neben den französischen Aufschriften russisch« befanden. Das Mädchen bediente einen Tisch, auf dem russische Stickereien lagen. Nun sah ich, daß noch einige andere Frauen in der Hütte sich befanden. Ich nahm Platz und bestellte einen Americano. Die Situation war nicht ohne Reiz, denn ich war verpflichtet, die junge Dame darum zu bitten. Es war offensichtlich, daß ich zum zwanzigsten Male dieses Jahr auf meinen Reisen in eines jener wunderbaren Schick- sals hineintrat, welche das Leben diesen vertrie- denen Russen bereitet, die abends beten, daß der Himmel Sinosjew und Radek verschlingen möge, Gebete, wie sie nur die französischen Aristo kraten gegen Bonaparte an den Himmel geschmettert hatten. Allerdings, diese Idee der Russen war phantastisch. Sie verkauften ihre nicht sonderlich originellen Tücher und sie servierten ihre Aperitifs durch die Hande ihrer Töchter, die vollendete Damen waren und so viel Anmut besaßen, weder Scham noch Unlust dabei zu empfinden. Aber das waren nur Begleiterscheinungen einer viel grandioseren Idee. Diese russischen Familien hatten einen Zoo- logischen Garten gegründet. Dieser Garten wär zwar eine Idylle, aber er war mythisch schön. Nun, man löscht eine alte Liebe nicht mit einer raschen Leidenschaft aus und ich habe mich, als ich im Park von Monte Earlo war, entschlossen, Frankfurt die Treue zu halten. Aber dieser Garten in St. Laurent hatte die Eigenschaft, unvergeßlich zu sein. Man muß versuchen, es zn beschreiben. Dieser Zoo bestand aus einem Park von vielen hundert gleich hohen Orangenbäumen, die halb voll Blüten, halb voll Orangen hingen, und zwar waren in jedem Baum das eine und das andere, kurz cs war eine Höhe von Farbe und von Duft erreicht, wie cs nur die Macchia Korsikas übertrifft. Zwischen diese Bäume waren Drahtnetze gespannt, wie sie Robinson ge- spannt hätte. Die Orangenbäume, welche im Inneren der abgesperrten Räume bleiben mußten, waren I dicht mit Draht umwickelt, damit die Tiere sie nicht schälen konnten. Und in diesen Abteilungen befan den sich, wie nur für heute oder morgen da aus gestellt, ein paar hundert Tiere. Unter einem Himmel, vor dessen Bläue selbst die Palmen zitterten, vor dem Prospekt des Mittel meeres, an das der Garten hinuntcrrcichte, unter den Duftwolken der wundervoll einheitlichen Orangenstämme, deren Früchte wie ein graziöses Schnellfeuer auf den Boden klopften, gingen weiße Lamas spazieren, zog das Kamel seine Höcker, die wie die Berge von Cannes aussahen, durch die Luft, standen Pelikane und Strauße und Flamingos. Das ist kaum vorstellbar. Der Garten war wie ein Traum, aber ohne Zweifel fah so das Paradies aus, wo cs seine zartesten Partieen hatte. Ich entdeckte einen jungen Panther und zwei kleine Bären. Diese Bären waren die Drolcrie selbst, während der Panther einen tiefen Sinn dafür hatte, in seltsamer Weise anmutig zu sein. Er zerriß durch das Gitter einem rothaarigen Arbeiter, der einen neuen Draht spannte, das Hemd. Die Bewegung, mit der dieser Mensch darauf reagierte, war in hohem Sinne geheimnisvoll. Offenbar bereitete ihm diese zerstörerische Ovation Vergnügen. Ich hatte eine eigenartige Unterhaltung mit diesem Menschen. Sie fand jedoch erst eine halbe Stunde später statt, nachdem ich mich lange Zeit mit den Affen be schäftigt hatte. In diesen Käfigen, die im Grunde nichts waren als Zwischenräume in einem vor Gold und Bläue glühenden Apfelsinenpark, benahmen sich die Affen mit einer gewissen Weisheit. Ich bin überzeugt, mich mit ihnen unterhalten zu haben, was mir einen sicheren und furchtbaren Schrecken cinjagtc. Dann gab es einige Käfige mit Lemuren. Daneben siamesische Katzen. Sie sind beige gefärbt und unterscheiden sich von den Persern und Angora- tieren durch ein glattes, nicht sehr langes Fell, das aber von äußerster Pclzigkeit ist. Wenn sic einen anschauen, besitzen sie blaue Augen, große, tiefe, veilchenblaue Augen mit dem Blick des Menschen. Dieser Anblick ist entsetzlich erschütternd, zumal er mit vollendeter Anmut vor sich geht. In diesem Augenblick hörte ich singen Diesen Gesang hörte ich noch zwei Stunden. Ich weiß nicht, was mich abhielt, von der Bank aufzustchcn, die an dem Bärenzwinger stand. Ich spielte zwei Stunden lang mit diesen Biestern, die zu den drolligsten der Welt gehören. Hinter ihncn stand Dammwild und ein Käfig mit langhaarigen Ziegen, die hohe Hundeangcn hätten. Uebcr ihnen schaukelten Papageien. Neben diesen Papageien standen drei Arbeiter und jummten ihnen eine Melodie vox, di« ich in der Moderne Weltreisen Eine seltsame Art von Touristik bevölkert gegen wärtig die Welt. Wer im Augenblick nichts anderes anzufaiigcn weiß, läßt die Photopostkarten mit seiner faisimilicrten Unterschrift Herstellen und setzt dar- unte. Zu Fuß um die Welt. Mit dem Ver kauf dieser Photos kommt nkan, wenn auch nicht ganz so weit, so doch zunächst einmal weiter. Sehr be greiflich, daß sich^ctzt viele Menschen zu diesem neue,, Beruf drängen, dessen Rüstzeug in Chromsilb.rkartcn wettcrerprobter Windjacke, möglichst verstaubten Gamaschen, dick genagelten Schuhen und sonn verbrannter Haut besteht. Wenn so ein Weltrcisender (sie treten übrigens meistens paarweise auf) nach Leipzig kommt, stellt er sich auf dem Augustusplatz auf und verkauft seine Photopostkarten. Dann zieht er weiter in unbekannte Fernen, nach Klein- 7sci ocher und Zuckelhanscn. Dieser neue Beruf hat viel für sich. Die Welt ist groß und rund, und wenn einer aus dem nörd lichen Finnland kommt, tann man ihm schwer nach weisen, daß er erst heute morgen in Bitterfeld auf gebrochen ist. Aber wie bei allen einträglichen Be- rufen, ist auch hier der Zustrom unqualifizierter Mitbewerber riesengroß. Es ist an der Zeit, daß sich die Weltrciscndcn zu Fuß in einer Berufs- Organisation (E. V.) zur Wahrung der Standes- intercssen zusammcnschließcn. Aber es gibt da einen noch unwillkommeneren Zuzug von Weltrciscndcn, die für die „Fußgänger" eine ernste Gefahr bedeuten. Die wcttcrgcbriiunten jungen Leute mit den Trapperhüten und dem Leder- gurt ziehen nicht mehr so recht. Das Publikum nimmt zur Kenntnis, daß sie zu Fuß durch die Welt marschie ren, ist aber nicht geneigt, ihnen eine Postkarte abzu- kaufen. Die Attraktion ist verbraucht, und auf der Landstraße tauchen neue Nummern auf. Da ist zu nächst das hübsche blonde Schwesternpaar, das in Seidenstrümpfcn und Boilcbluse und von einem Schoßhündchen begleitet die Welt zu Fuß durch wandert. Da ist ein Mann, der seinen kriegs verstümmelten Rumpf auf ein paar Stelzen mon- ticrt hat und entschlossen ist, mit Riesenschritten die Welt zu durchmessen, ein schreckhaftes Gespenst der Antikricgspropaganda. Da sind die unzähligen Kom- binationcn: auf dem Autorad und mit dem Paddel boot um die Welt, und neuerdings haben zwei junge schwedische Sportslcutc eine Weltreise angetrrten jedoch unter der erschwerenden Bedingung, eine zentnerschwere Tonne vor sich herzurollcn. Diese Tonne schlägt dem Faß den Boden aus. Aber die beiden jungen Schweden haben vollkommen recht: es ist heutzutage leichter, mit einer Tonne durch die Welt zu kommen, als einfach mit dem Hut in der Hand Schon sind die beiden Weltreiscndrn in den illustrierten Zeitschriften abgebildct, und wenn sic, ihre Tonne vor sich her rollend, durch die großen Städte ziehen, wird man sie mit der Herzlichkeit, die solcher Großtat gebührt, empfangen. Das Gesiebt der Landstraße wird sich bei solcher Entwicklung des modernen Landstreichertums ent schieden beleben. Auf Handkarren und Rollern, auf hohen dreirädrigen Belozipcds, im Zicgenbockgespann und auf „Holländern", mit einer Chrysantheme im Knopfloch und in Badehose, mit einem brennenden Licht und mit einem Hühnerei in der Hand, wird sich der Zug der Weltreiscndcn über die Landstraße wälzen — ein absurdes Paradox der Technik, die uns die rasche Fortbewegung so einfach gemacht hat, daß die künstlickic Erschwerung und Verlangsamung zur angestauntcn Leistung wird. bteb. ganzen Welt gehört habe, die sehnsüchtige Melodie aller Russen, die von ihrer Heimat entfernt sind. Sic sangen sie den Vögeln vor, die langsam be gannen, sich an diese furchtbare Melodie zu ge wöhnen. Cs waren russische Offiziere, die sich dem Boden und den Tieren zngewandt hatten, und die eine fremde Erde mit dem Spaten bearbeiteten, da sie ihre eigene verloren hatten, wobei gesagt werden muß, daß der fremde Boden dem Paradies nahe kam. Die Töchter dieser Familie servierten mit der Anmut der Prinzessinnen den Tee für das halbe Dutzend Besucher, die am Tag sich herein verirrten. Die Mütter gaben um zwei Franks das Billett una stickten die Tücher. Die Söhne, welche ein ungeheures Schicksal hicrhcrgeführt hatte, zogen die Drähte und pflegten die Tiere mit der Nobicffe, deren die rus sische Seele fähig ist. Ich glaube nicht, daß dieses Unternehmen, da- zerbrechlich wie Glas aussieht, ein schlechtes Geschält ist, denn die Idee ist ausgezeichnet. Es ist wahr scheinlich lcichr, die Tiere in vicrundzwauzig Stun den von Afrkia hcrüberzuschaffcn und sic an die großen Zoologischen Gärten Europas zu verkaufen, die nach dem Kriege ein dürres Leichcnfcld geworden waren. Aber für Menschen der slawischen Gesellschaft, für kultivierte Russen, welche Phantastik, welche unglaubliche Idee! Ich hatte das Vergnügen, mich mit diesen Men- schen zu unterhalten, die sich von ihrem jungen Panther das Hemd zerreißen ließen und lächelten. In der Tat, sie empfanden ihre Rolle weniger eigen artig als ich. Es ist wahr, es ist nicht die schlechteste Partie in der Schöpfung, die man sich rvählen kann: auf dem gesegnetsten Landstrich des Kontinents, am Fuß des Mittclmeers, unter unsterblichen, rosa über hauchten Gletschern, auf einem Terrain, das fünfzig mal im Jahr regelmäßig Regen bekommt und das vollkommen heiter und gleichmäßig neben einer bei spiellosen Ueppigkeit ist, edle Tiere zu pflegen. Was mich etwas närrisch machte, war das Spiegelbild. Was mich tatsächlich rin wenig verrückt machte, waren die Papageien. Sic sangen nämlich die rus sische Seele vor sich hin, kinderhaft, sehnsüchtig, halb berauscht von dem Orangcndust und dem Bran dungsschlag der Mediterraner. Das paßte nicht ganz zusammen und war für den Hörer unheimlicher als für den Veranlasser. Die Papageien sangen zwischen dem Kamel und dem weißen Lama russisch, und die russischen Offiziere sangen mit, sogar ein wenig im Takt voraus, als ob sic es eiliger hätten mit der Srhnsucht, die sehr dunkel war. Es war aber fatal hell, genau so glashcll und durchsichtig, wie sich das Schicksal gewöhnlich zeigt, wenn cs mit seiner furcht barsten Grösse konitzzt.