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Mit diesen Worten letten die Missis» fippi» Blätter einen spaltenlangen Bericht über eine Schlußfeier des amerikanischen Europa-Hilfs» Werkes in Saint Louis ein. Und fürwahr, diese Stadt hat in vorbildlicher Weise die Menschenliebe betätigt: wurde doch nach einer nur acht Tage währenden Sammlung schon ein Betrag von über IKK 65t Dollar für die notleidenden Kinder und dis bedürftigen alten Leute in Deutschland und Oesterreich aufgebracht, und man hofft, die Summe noch auf 200 000 Dollar steigern zu können. Mit unermüd lichem Eifer ist von den einzelnen Abteilungen ge sammelt worden, und der Kampagneleiter Michencr konnte vielen Werbern und Werberinnen reiches Lob spenden. Alle Redner in der Versammlung betonten die Orserwilligkeit und die Notwendigkeit der H'lfs- bereitschaft der Bereinigten Staaten. Der Präsident des ftkatronalverbandes der Relief Association, der frühere Handelssekretär Charles Nagel, führte, so schreiben die Mississippi Blätter, in einer zu Herzen gehenden Ansprache aus, daß eine neue Aera mit dieser Sammelkampagne für Amerika begonnen habe. .Die Regierung muß mehr sein als ein bloßer Tu m, sie muß ein Leuchtturm sein, der die in Not sich bäumende Welt erhellt. Wenn die Regierung nichts tut, um diese Missictzr Amerikas zu erfüllen, so muß das Volk vorangehen. Wir dürfen nicht müßig zu sehen, wie die alte Welt in Trümmer geht, sondern müssen handelnd eingreifen." Die Versammlung, so heißt es in dem Bericht, ließ ihrem Enthusiasmus in jeder nur denkbaren Weise die Zügel schießen, und sang stehend das immer schöne deutsche Volkslied „O Tannebaum". Auch die Sammlungen in anderen Städten der Vereinigten Staaten haben große Beträge gebracht, St. Louis stand aber am 24. März an der Spitze. Vom Oybiner Waldtheater. Die städtischen Kolle gien von Zittau haben für den Ausbau des Oybiner Waldtheaters 7 Millionen Mark bewilligt und dem Redakteur Hessein Ebersbach, der das Waldtheater vor Jahren gegründet hatte, 3 Millionen Mark als Abfindung zugestanden. Dem künftiaen Leiter des Waldtheaters soll die Bedingung auserleat werden, in jedem Sommer mehrere SchülervorstcÜungen für die Zittauer Schulen zu geben. Ei» jugendlicher Millionrndieb. Ein ISjähriger Handlungsgehilfe in Plauen i. D. wurde als der jenige ausfindig gemacht, der teils allein, teils Ac- meinsam mit einem 23jährigen Handlungsgehilfen aus dem Lagerraums eines Plauener Kaufmanns für etwa 3 Millionen Mark Stickgarn usw. gestohlen hat. Den Erlös der gestohlenen Waren hat er verpraßt. Metalldiebstähle im großen. Die in verschiedenen industriellen Werken in Bautzen vorgekommencn Me talldiebstühle sind jetzt zum Teil aufgeklärt worden Allein in Bautzen wurden 12 Metallhehler verhaftet. Außerdem wurden alle Abnehmer in das Verfahren mit einbegriffen, die das gestohlene Metall weiter verkauften. Den Umsatz der Metallhehler schätzt man auf fast 1 Milliarde Mark für das vergangene Jahr. Rückgang der Jahrmärkte. Der Rückgang der Jahrmärkte vollzieht sich jetzt schneller, als man ge dacht hatte. Die- Transportkosten für größere Ver- anügungsstätten, wie große Karussells usw., sind so hoch geworden, daß es sich nicht mehr lohnt, mit ihnen kleinere Plätze zu besuchen. Auch die Markt- Händler bleiben vielfach aus. So waren die letzten Jahrmärkte in Strehla, Colditz, Naunhof usw., gan- schwach besucht. Tödlicher Unfall beim Baden. Der 23jährige Buch» Kinder Landgras erlitt im Iohannisbad inZwickau bei Ausführung des Hechtsprunges, wobei er mit dem Kopfe auf einen anderen Schwimmer stieß, einen Bruch des Halswirbels, der den sofortigen Tod des Mannes hcrbeisührte. El« Familie vov einem 16jährige» ermordet. Zn Laskowitz (zwischen Dikschau und Graudeiu) er- mordete der Illjährlge Michael Obolinski seinen Stiefvater, seine Mutter, seine dreijährige Schwester und seine Großmutter und erhängte sich dann selbst. Moskito-Ueberfall auf eiueu Dampfer. Daily Mail meldet, daß der m England einaetroffene Dampfer Garth Castle bei seinem Anlaufen in Beira (Portugiesisch-Ostafrika) von einem Moskitoschwarm angegriffen wurde. Zahlreiche Passaaiere erkrank, ten infolge der Insektenstiche an Malaria. Kurze Zeit nachdem der Dampfer Beira verlosten hatte, starben ein Pastagier und sieben Mann der Besatzung. Sechs Bergleute getötet Ein schweres Grubenunglück ereignete sich auf dem Dnhnschacht der Fürstensteiner Gruben in Waldenburg (Schles.), wo an der Eindämmung eines Grubenbrandcs gearbeitet wurde. Zn der Nacht traten plötzlich auf einer bisher gasfreien Stelle starke Brandgase auf. Zwecks Erteilung wei terer Weisungen wurde der Steiger Hoheisel braus- tragt, die Stärke der abzichcnden Wetter ^est- zustellen. Der Steiger blieb nach 50 Meter Marsch betäubt liegen. Beim Versuch, ihn zu retten, wur den fünf Bergleute ebenfalls vom Tode ereilt. Ein Umzug vou 100 Häusern im Kraftwagen. Eine ganze Arbeitersiedlung von etwa 100 Häusern ist in Amerika mit Hilfe von Kraftwagen nach einem 18 Kilometer entfernten Ort verlegt worden. Cs handelt sich um eine Siedlung, die nach der Stadt Cadillac transportiert werden sollte. Wie in der Umschau erzählt wird, bediente man sich dazu eines Motorschleppers und eines eisernen Anhängers von 35 Tonnen Tragkraft. Der Transport eines jeden Hauses erforderte vier Stunden, wobei auf der Landstraße Geschwindigkeiten von 8 bis 12 Kilo- meter in der Stunde erreicht wurden. Mehr Zeit beanspruchte das Auf- und Abladen der Häuser, denn die aus Erdgeschoß und Dachgeschoß bestehen den Gebäude wurden nicht zerlegt, sondern mit Hilfe von Winden gleichmäßig angehobcn und auf den darunter geschobenen Anhänger gesetzt. Dabei blieben sogar die Fensterscheiben an Ort und Stelle und unbeschädigt. Es dauerte immer drei Tage, um zwei Häuser abzutransportieren und aufzusteller.. Bluttat eine» Senegalschützen. In einem Zimmer des Militärlagers von Ste. Marthe spielte sich, wie aus Marseille berichtet wird, em blutiges Drama ab. Ein Soldat hatte einem seiner Kameraden, einem Senegalschützen, im Spaß gesagt, daß er be straft und vielleicht füsiliert werde, worauf dieser in der Nacht mit seinem Seitengewehr drei seiner Käme, raden tötete und zehn mehr oder weniger schwer ver wundete. , Absturz eine» Flugzeuge». Ein Dombardierflug- zcug ist in Dayton kurz nach seinem Ausstieg m einer Höhe von etwa 100 Fuß abgestürzt. Der Apparat ging in Trümmer. Drei Insassen wurden auf der Stelle getötet und drei weitere so schwer ver letzt, daß ihr Zustand hoffnungslos ist. Beschlagnahme von Kokain. Aus Halifax (Neuschottlond) wird den Blättern gemeldet, daß die kanadische Polizei auf Ersuchen der britischen Behörden im Hafen von Halifax für ungefähr 100 000 Pfund Sterling Kokain beschlagnahmte, das von Deutschland nach Kanada und den Bereinigten Stoa» ten geschickt wurde. Eifcnbahnüberfall. Aus Kiew wird gemeldet: Ein Pcrsonenzug wurde auf der Strecke Kiew—Odessa von einer bewaffneten Bande angehalten, die Reisenden ausgeraubt und 11 Staatsbeamte, die mitfuhren, erschaffen. Acht Persouen von einem Moskitoschwarm getötet. Der soeben in England einqetroffene Dampfer „Gart Castle" wurde bei seinem Anlaufen in Beira (Por- tugiesisch-Ostafrika) von einem Moskitoschwarm an gegriffen. Zahlreiche Passagiere erkrankten durch Insektenstiche an Malaria. Kurze Zeit nachdem ver Dampfer Beira verlassen hatte, starben ein Passagier und sieben Mann der Besatzung. Oie erhöhte Wohnungs-auabgabe Das 3vfache der Friedens miete Staaten und Gemeinden sehen sich jetzt vor viel größere Aufgaben gestellt, als man vor dem Kriege hätte jemals ahnen können. Denn gegenüber der heutigen Geldentwertung, die ungeheuerliche Dimen sionen angenommen hat, versagen Privatkapital und Selbsthilfe fast vollständig. Das sehen wir beispiels weise bei der Arbeitslosenunterstützung, die von den Gewerkschaften aus die Allgemeinheit übergegangen ist, und ein ähnliches Bild zeigt uns der Woh nungsbau. Früher wurde der Bedarf durch das Privatkapital gedeckt, oft sogar in reichlichem Maße, denn der Hausbau bot dem Unternehmer Gewinn, und der Besitz eines Hauses war eine sichere Kapital- anlage. Heute würde ein Bauunternehmer über Hun- derte von Millionen verfügen müssen und die er bauten Häuser würde er nicht einmal für den Bau aufwand los, geschweige denn mit Gewinn. So ruht denn die private Bautätigkeit, abgesehen von ge werblichen und industriellen Anlagen, fast vollständig. Da aber die natürliche Dcvölkerungsvermehrung den Wohnungsbau zur gebieterischen Notwendigkeit macht, so müssen ihn Staat und Gemeinde in die Hand nehmen. Beiden fehlen hierzu die Mittel. Sie müssen sie daher von der Allgemeinheit auf dem Wege der Ab- gäbe verlangen. Das ist, kurz geschildert, die Ent stehung des Gedankens der Erhebung einer Woh. nungsbauabgabe. Er ist sozialem Empfinden entsprungen: Hilfe der Gesamtheit für die, die unter der Wohnungsnot leiden. Ursprünglich gering, hat sich die Abgabe infolge der ungemeinen Bauverteuerung binnen kurzem be trächtlich erhöht. Eie betrug im Jahre 1921 nur 15 Prozent des Mietwertes, 1922 bereits, für Staat und Gemeinde zusammen, je nach dem Mietwerte 90 bis 120 Prozent. Im laufenden Jahre sollen 3000 Prozent erhoben werden, also der 30fache Miet wert. Nachstehend sei deshalb das Wissenswerteste über die Dohnungsabgabe mitgeteilt. Erhebung und Höhe der Abgabe Die Wohnungsbauabgabc wird von den Län dern erhoben. Abgabepflichtig sind die Nutzungsberechtigten solcher Gebäude oder Gebäude teile, die vor dem 1. Juli 1918 fertiggcstellt sind. Später fertiggestellte Gebäude sind abgabefrei. Die Abgabe beträgt für die Jahre 1923 und 1924 1500 vom Hundert des Nutzunaswertes knack? dem Stande vom 1. Juli 1914) für die Länoer. Den gleichen Betrag haben die Gemeinden als Zuschlag zu erheben. Doch können sie von der Er hebung des Zuschlages ganz oder teilweise Abstand nehmen, anderseits können sie ihn aber auch er höhen, also mehr als 1500 vom Hundert erheben. Ferner sind sie berechtigt, von Wohnungen, die in« Verhältnis zur Zahl der Bewohner oder zur Zweck bestimmung der Räume als übergroß anzuseyen sind, eine besondere Abgabe zu erheben (Woh» n u n g s l u x u s st e u e r). Aus Vorstehendem ist ersichtlich, daß sich die Wohnungsbauabgabe nach der vollen Friedensmiete berechnet, nicht etwa nach der um 15 Prozent redu zierten sog. Grundmiete. Don der Erhebung können die Gemeinden „teilweise Abstand nehmen", wie z. B. Leipzig, das eine Wohnungsbauabzabe von den Wohnungen bis zu 200 Mark Friedensmiete nicht erhebt. Eine Wohnungsluxussteuer würde nur zu begrüßen sein. Wer eine übergroße Wohnung hat (wie z. B. die Besitzer von Pillen), für den ist cs eine Ehrenpflicht, zur Beschaffung von Wohnu". gen für diejenigen, die der eigenen Wohnung ent behren, erhöht beizusteucrn. Befreiung von der Abga-e Das Gcsetz unterscheidet zwischen imbediugter Befreiung und bedingter, d. h. einer solchen Be ¬ freiung, die nur auf Antrag ganz oder zum Teil gewährt wird. Ohne Einschränkung find befreit alle Gebaut»', die dem Reiche, den Ländern, den Gemeinden oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften gehören oder ihren Zwecken dienen. Ferner Universitäten, Echu- len, Museen, Armen», Waisen», Krankenhäuser und dergleichen mehr. Endlich auch Gebäude, die reli giösen Zwecken oder kirchlicher Arbeit dienen (wie z. B. der Eemeindepflege). Schließlich noch Ge bäude, die den Zwecken eines die Bolkswohlfahrt fördernden Unternehmens dienen, das auf gemein nütziger Grundlage betrieben oder unterhalten wird. Auf Antrag können von der Abgabe ganz oder teilweise befreit werden alle wirtschaftlichen Zwecken gewidmeten Gebäude bei. ganzer oder teilweiser Stillegung des Betriebes, sowie Gebäude oder Woh- nungcn, deren Nutzung durch bauliche Veränderun gen nach dem 1. Juli 1918 sich in besonderem Maße verteuert hat. Ferner werden auf A n t r a a befreit: Alle sog. Sozialrentner und Kleinrentner (soweit letztere Klein- rentnerfürsorge erhalten), Kriegsbeschädigte, Krieger hinterbliebene und Militärrentner. Auch für Warte- ilnd Rnhegeldempfänger, Bezieher von Witwen- und Waisenpensionen, Geistliche, Kirchenbcamte, Lehrer usw« tritt Befreiung ein, sofern ihre Bezüge im Jahre 1922 nicht über 50 000 Mark betragen haben Ebenso kann in diesem Falle allen über 60 Jahre alten Personen di» Abgabe ganz oder teilweise erlassen werden, und ein gleiches ist der Fall, wenn der Abgabetchuldner krank und erwerbslos ist oder eine kroße Zahl von Kindern hat. Eine Befreiung oder ein Erlaß erfolgt jedoch nicht, wenn das Gesamt- einkommen der zum Haushalt des Abgabeschuldners gehörenden Personen im Jahre 1922 den Betrag von 50 000 Mar! überschritten hat. Hat aber einer der vorstehend bezeichneten Abgabeschuldner ver mietet, so erfolgt die Befreiung nur für die von ihm selbst benutzten Wohnungsteile. Noch eins: Wer um Befreiung einkommt, möge hiermit das Gesuch nmStunduug der Abgabe bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag ver binden, weil er sonst die vorläufige Einziehung der Abgabe zu gewärtigen hat. Der Zweck -er Abgabe Mit Hilfe der Abgabe sind zu fördern: 1. Wohnungsnenbautcn, 2. die Einrichtung von Wohnungen in vorhandenen Gebäuden, z. B. durch Ein- oder Umbauten, Aufstockungen und Teilung großer Wohnungen. In erster Linie sind die auf- gebrachten Mittel im Falle der Errichtung von Neu bauten dem Kleinhausbau mit Gärten in Stadt und Land znzuführcn sowie dem Bau von Siedler stellen. Auch dürfen die Mittel zur Ausfüllung von Baulücken verwendet werden. Ein angemessener Teil kann auch der Unterstützung gemeinnütziger Bau unternehm ungen dienen. welche Erwartungen sind an die Abgabe zu knüpfen? Die Abgabe wird viele Milliarden bringen. Für Leipzig allein ist der Ertrag, nach Abzug aller Befreiungen und Erlasse, auf annähernd 3 Milliarden geschätzt. Und der Endeffekt ist trotzdem ein geringer. Die Kosten einer Neubauwohnung be tragen zurzeit !30 Millionen Mark! Da» würde bei 3 Milliarden nur 100 Wohnungen ergeben. Dadurch aber, daß die Stadt gemeinnützige Dauunrernehmungen nur mit einem Anteil unter stützt, gedenkt man mit den 3 Milliarden zu einer Fertigstellung von 160 Wohnungen zu gelangen. Auch die neue große Wohnungsbauabgabe wird daher die Wohnungsnot nicht beheben und zu den Zeiten, da sich jedermann eine Wohnung anssuchen konnte, werden wir wohl in absehbarer Zeit nicht kommen. iE. ver Brief Don Nsrmsnn Man hat die Tatsache schon oft festgcstellt, daß der Brief jetzt tot ist. Wann er eigentlich verstarb — weiß man nicht genau. Er starb langsam . . ., so um die Jahrhundertwende tat er seine letzten be scheidenen Atemzüge. Die Postkarte hatte ihn zu- erst verdrängt. Und dann war die Postkarte wieder durch die Ansichtspostkarte und das Telegramm er setzt worden. Allerletzter Ausdruck einer hastenden Zeit. Der Brief war bis auf Höflichkeitsformen, Grüße und Unterschrift zusammengeschcumpft, hatte allen Körper verloren. Ob noch Liebesbriefe ge schrieben werden — weiß man nicht. Aber soweit meine Mutmaßungen reichen, ist die Gegenwart auch in diesen Dingen zu real denkend, um ihre Zeit eitel Worten zu opfern. Vielleicht flüchtet sich ein letzter verblichener Schimmer alter Priefgrazie in die De- richte der Gesandten und Diplomaten, die von je viel zur Brief- und Memoirenliteratur beigetragen haben. Der Feldpostbrief, der Kriegsbrief, von dem man eine Wiedererweckung des Briese» als eine Kunst erhofft hatte, den man sammelte, und zu dem man öffentlich aufmunterte, hat eigentlich bis auf ganz wenige Ausnahmen, Heymann, Otto Braun, Lieb knecht und der junge Klimsch (Briefe eines Fahnen- junkers) nur bewiesen, daß der Brief und seine Kunst endgültig tot find . . ., gestorben mit der gesell schaftlichen Kultur in Deutschland und vielleicht ebenso in der Welt? denn der Brief braucht den Nährboden der Gesellschaft, braucht eine bewegliche, mitteilsame Geistigkeit, braucht die Freude am Schreiben, Ruhe und Selbstbesinnung, die Liebe zur Lauserie sowohl als auch die zur Dialektik, und vor allem braucht er eine einstige Grazie, die aus tausend Gründen in der Gegenwart nicht mehr auf- kommen kann, wie ste schon in der jüngsten Ver- gangenheit zu den seltenen, langsam verschwinden- den Pflanzen gehört. Je vollkommener die Post wurde — desto un- vollkommener wurde der Brief. Die Anforderun- gen, die man früher an jeden halbwegs Gebildeten stellte, daß er einen „guten Brief" schriebe, hat man längst fallen lassen. Und gar, daß jeder Brief in sich ein kleines Kunstwerk sein kann von persönlicher Arä-un-, nicht zu schwer und nicht zu leicht an Ge ¬ wicht und Inhalt, das hat man längst vergessen. Wer nimmt sich denn heute noch Zeit dazu, jene Manuskripte von Briefen zu schreiben, von dem Umfang einer kleinen Broschüre, wie das doch früher gang und gäbe war? Der Letzte, der so etwas tat, war Richard Dchmcl in seinen jüngeren Jahren. Aber das liegt auch schon fast dreißig Jahre zurück. Und doch sind Briefe vielleicht die restloseste Um setzung einer Persönlichkeit, geben bei Künstlern und Wissenschaft'tlerii, ja, selbst bei Politikern das, was ihr Werk nnr selten gibt: den Menschen. Gerade Briefe belehren uns, daß alle Entwick lung sich nur auf Aeußerlichkeiten beschränkt, und daß die Persönlichkeit — fast bis ins Letzte vorgezeichnet —, wenn auch noch nicht durch modelliert. schon von früh an seststeht. Die Briefe Otto Erich Hartlebens z. B. beginnen mit einem Brief, den der Dreizehnjährige an seinen Vater schreibt, und wenn er das etwa dreißig Jahre später getan hätte — der Brief hätte nicht viel an ders gelautet. Schon in den ersten Worten ist der ganze Hartlcben: . . sintemal ich Schule hatte, habe ich Dir noch nicht geschrieben; sintemal ich Ferien habe — schreibe ich Dir! . . ." Alle Literatur geschichten erzählen vom „Altersstil" Fontanes, zer- gliedern die Prosa des Sechzig- und Siebenzig- lährigen in seinen Romanen, sehen in ihr eine neue Form der Erzähluugskunst, die sich erst gerade in dieser Zeit als Ausklang zusammen mit dem Beginn des Naturalismus entwickeln konnte. Aber wenn wir die herrlichen Fontanebriefe (Gesammelte Werke, Reihe zwei) lesen, so sehen wir, daß sich diese Prosa f a st durch gar nichts von jenen Briefen unterscheidet, die er z. B. als Apothekcrgehilse fünfzig Jahre früher an seinen Freund Witte schreibt. Der Mensch Fontane war eben völlig fertig; und der Balladcndichter lind Lyriker der Frühzeit, so gut er als Künstler sein mochte, ver- hüllte diesen Menschen mehr, warf ihm das Gewand einer zeitgebundenen Kunst über, als daß er ihn zeigte. Und erst fast fünfzig Jahre später bekannte er sich — bewußt —, auch in seinem Werk, zu seinem eigenen Wesen, da» er — wenigsten» in den Grund- zügen — so lange ungetrübt und unverändert in sich bewahrt hatte. Mit das Schönste und Persönlichste, was mir von Flaubert bekannt ist, sind die Briese, die der Primaner an einen seiner Schulfreunde schreibt. Und wer einen Charles Louis Philippe nur aus seinen Romanen kennt und nicht die Briese an seinen Freund Dandeputte durchflogen hat, der wird kaum bis zum Letzten seiner Wesenheit vorgedrungen sein. Bei all den Briefbänden, die ich las, hat es mich immer wieder erstaunt, wie früh, wie unerhört früh diese Menschen ganz sie selbst waren. Da sind z. B. jetzt die Briefe des jungen Lassalle: Härte, Logik, Dialektik, Rhethorik, schärfste Verstandes mäßigkeit, Selbstkasteiung, überspitztes Gerechtig keitsgefühl, Kampfstimmung, Aufopferungsfähig, keit, unerhörter Clan des Angriffs, wenig Weich- hcit, geringes Künstlertum, schnellste und exakteste Aufnahmefähigkeit des Verstandes — kurz, der Wissenschaftler Par exc<;1I<>n«e von früh an, auf der Schule und Handelsschule schon. Alles, was er später schuf und erlebte, erscheint eigentlich dem gegenüber gleichgültig. Da ist auch der Briefwechsel zwischen Franz oou Dingelstedt und Julius Hartmann „Line Iugendsreundschaft in Briefen" (Insel-Verlag). Und dieser Dingelstedt auf dem Gymnasium in Rinteln, dieser Marburger Student, ist eigentlich schon der Dichter des „Politischen Nachtwächters". Und mehr als das — auch schon der Leiter der Wiener Hof burg. Ein sehr beweglicher, nicht tiefer Geist, schwärmerisch und schwärmend, ein Freund der Schauspielerinnen fast noch mehr als der Kunst, überaus produktiv, von leichter Feder . . ., ein hüb- scher Junge einer eleganten, fast französischen Linie. Der geborene Causeur. Und der geborene Welt mann. Dabei irgendwoher ans einem abseitigen Provinzuest. Dcr junge Ferdinand Kürnberger, dessen Früh- zeitbriefe (aus jener Zeit, da noch Intellektueller und Revolutionär gleichbedeutend war — um 1848 —) al» Briefe eines politischen Flüchtling» kürzlich herausgegeben wurden, hat auch schon ganz jene wundervolle österreichische Linie, jene Verbindung von Charme und geistigem Stolz, die Prachtvolke, seelische Kraft, die diesem österreichischen Künstler, dem vorzüglichen Essaiisten und Novellisten eigen ist. Man weiß eigentlich nicht, wo er sie her hat, denn Kürnberger ist au» ganz kleinen Verhältnissen (ich glaube nämlich nicht, daß selbst im alten Oester reich ein Laternenanstecker — da» oder so etwas ähnliche» war sein Vater — ein Mann von beson- der» gehobener Lebensstellung war). Und doch bleibt dieser Kürnberger vollkommen Aristokrat, Mensch von einem geistigen Seelenadel, den male- ricllc Dinge nicht berühren, auch wenn er in Dres den monatelang in Untersuchungshaft sitzt und man bei allen Gesinnungsgenossen hernmbettelt, ihm einen neuen Rock zu verschaffen. Von Jacob Durckhardt als Mensch würde man fast, nichts wissen. Er würde ganz hinter seine großen kulturgeschichtlichen Werke zurückgctreten sein, wenn er nicht für ein paar Leute in der Welt ein getreuer Freund und ein noch getreuerer Brief schreiber gewesen wärr. Und dadurch hat sich die menschliche Kontur dieses feinschmeckerischen, asketi schen und zugleich sybaritischen Sonderlings von Junggesellen geradezu prachtvoll erhalten. Den Briefen an einen jungen Architekten, den an Heise und Gcymüller werden jetzt noch die an seinen Freund Friedrich von Prehn brigefügt. Und ge- rade dadurch daß diese Briese das eigentliche Ge biet des großen Gelehrten nicht berühren oder nur manchmal, sondern daß sic an Tagesereignisse, an privateste Dinge anknüpfen, schaffen sie das intime Porträt dieses großen spröden und klugen und v: r allem unbestechlich feinnervigen Schweizers, der kalb Gelehrter und halb Bohemien war und in seiner Ganzheit: genießerischer Kunstfreund. Formal scheint er mir einer der letzten Priefschreiber von Klasse zu sein, die das Instrument des Briefes ganz beherrschen und in ihm einen vollen Ausdruck ihres Wesens finden. Diese Kunst des Bricsschreibens ist nicht ver- loren gegangen, weil die Menschen sich wandelten, sondern weil die Zeiten, weil die Gegenwart mit ihrem Getriebe keinen Nährboden mehr für sie hat Im Bild einer späteren Zeit werden wir dadurch sehr arm erscheinen. Maz Reinhardt und die Salzburger Festspiele. Wie das Salzburger Bolksblatt hört, will Mar Rein hardt Infolge der Treibereien des vorigen Jahres, namentlich von antisemitischer Seite, sich an den Salzburger Festspielen nicht mehr beteiligen. Trotz dem hofft die Salzburger Festspielgemeinde, ihn nach seiner Amerikareise wieder für die Festspiele Inter- elfteren zu können. Für da» Opernprogramm der diesjährigen Festspiele steht die Verwaltung mir Furtwängler und Dr. Muck in Verhandlungen- „Blutrege»." Während des letzten Sturmtage» in Genua wurde wieder das Pbänomen des sogenannten „Blntregens" beobachtet. Der Regen führte eine große Menge roten Sandes mit, der wahrscheinlich aus Zentralafrika stammt.