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8«n« r «e.« Vie Uohlenversorgung nicht bedroht Lrasttsterlcht »nserer Berliner stchrifilettun» Berlin, 34. Februar. Gegenüber französischen Meldungen, daß die Koh- lenversorgung der deutschen Industrie außerhalb de» besetzten Gebiete» noch auf vier bi« sech» Wochen ge sichert sei, teilt der Reichskohlenkommiflar mit, daß di, Kohl«»v«rsorgung — natürlich mit Hilf« starker Einschränkungen und Einfuhr usw. — von der Gefahr eines Erlahmens nicht bedroht ist. Daraus darf freilich nicht, wie das von franzö sischer eite geschieht, gefolgert werden, daß wir nun nun vorher zuviel Kohlen hatten, und daß die Beschwerden über die übermäßigen Anforderungen der Reparationskommission zu unrecht erfolgt wären; denn die Aufrechterhaltung der Kohlenversorgung ist nur unter großen und unter normalen Verhältnissen nicht tragbaren Opfern möglich. Nicht nur werden Kohlenzufuhren aus den verschiedensten Gebieten des Auslandes herbeigeführt — so melden die Times dte Absendung von 4000 Tonnen aus Südafrika —, son dern auch im unbesetzten Gebiet wird in allen kohlen fördernden Betrieben im weitesten Maße Produk- tionserhöhung durch natürlich kostspielige Ucber- arbeit betrieben. Dazu kommt, daß in den Beständen schon vor der drohenden Besetzung sehr gespart wor den ist und — das ist den französischen Argumenten besonders entgeegnzuhalten — daß von Beginn de» Einbruchs an bis zum k. Februar, also fast 4 Wochen lang, die sämtlichen unserer Volkswirtschaft vor dem unter großen Opfern entzogenen Kohlenmengen in» unbesetzte Gebiet übergeführt worden sind, so daß Vorräte angesammelt werden konnten. Ferner sind natürlich eine Reihe von Vorkehrungen getroffen worden, die durch eine planmäßigere Verteilung und verschärfte gwangsbewirtschastung der Kohlenbeständ« auf weitgehendste Ersparnis hm- wirken. Endlich kommt die gewaltige Verteuerung hinzu, die nicht nur irgendwelchen Versuchen de» Hamsterns, sondern auch dem regulären Verbrauch im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Ende de» Winters enlgegenwirkt. Es ist also zusammenfassend zu sagen, daß die Kohlenversorgung zwar erschwert, verteuert und einem absehbaren Termin von dem Zusammenbruch mengenmäßig stark eingeschränkt, aber an irgend überhaupt nicht bedroht ist. Der französische Soldat — der schlechteste Gerichtsvollzieher SVH Milliarde» Soldmark ---- 282 X Billionen Papterwark (bei einem Dollarstand von 20 OVO Mark) betragen die Leistungen und Verluste des deutschen Staates auf Grund des Versailler Friedensvertrages bis 30. Septemvcr 1922. L8 Milliarde» Goldmark betragen davon die Kosten für Kohlen- und Wiederausvauleistungen. K4 Milliarde» Soldmark oder (bet einem Dollar stand von 20 000 Mark) 17 000 Milliarde» Papier, mark betragen aber die Besatzungskosten bereits bi» zum 30. April 1922, das sind 600 Millionen Mark mehr als die laufenden Sachleistungen. Don den von Deutschland getätigten Sachlei stungen haben demnach das zerstörte Gebiet Frankreichs und der französische Rentner bis heule noch keinen Pfennig erhalten, ebensowenig der englische und amerikanische Gläubiger. Alles ist draufgegangen für die Stärkung des französische» Militarismus und Imperialimu». Für die Summe von 3,4 Milliarden Goldmark 17 000 Milliarden Papiermark, die hauptsäch lich der französische Soldat aus deutschem Boden verzehrt hat, wäre Nord-Frankreich moderner und besser als vor dem Kriege längst wiederhergestellt worden. Vie Vandalen in vochrrm Bochum, 24. Februar. In der vergangenen Nacht war die Stadt Bochum abermals der Schauplatz französischer Zerstörungs akte. Eine starke Truppenabteilung besetzte das Ge Oer SonntagswSchter Von Sl»skrl«a von Hier Im Dorf gibt es keine Schupo, keine Sipo und überhaupt keine po. Dafür gibt es den Sonntagswächter. Die Würde eines Sonntagswächters wird jedem männlichen Einwohner zuteil. Und da unser Dorf etwas über zwanzig Häuser hat, kommt jeder ungefähr zweimal im Jahr an die Reihe. Waffe und Emblem des Sonntagswüchlers ist «ine lange Hellebarde mit Blechschild, auf dem „Gc- meindedienst" steht. Mit dieser Hellebarde be waffnet, umschreitet der Sonntagswächter mäh- rend dec Kirchzeit feierlich das Dorf, sieht zu, daß nichts gestohlen wird und daß kein Feuer ausbricht. Selbst die ältesten Sonntagswächter im Dorf erinnern sich nicht, daß bisher während der Kirchzell irgend etwas gestohlen wurde oder I daß ein Feuer ausbrach. Aber vielleicht ist diese erfreuliche Tatsache nur dem Vorhandensein des Sonnlagswächters zuzuschreibeü. Als uns eines Sonnabends abends zum ersten j Male die Hellebarde ins Haus getragen und ich i in die Geheimnisse des Sonntagswächteramtes eingeweiht wurde, konnte ich, blaß vor Glück, die ganze Nacht kaum schlafen. Es war das erste dfftntliche Amt, das mir anvertraut wurde, und wird wohl auch mein letztes sein. Schon in aller Frühe, wenn die letzten Kirch gänger, alte Dauern in schwarzen, breitkrempigen Hüten mit talergeschmückten Westen, die Straße zum Marktflecken hsnunterstapfen, schreite ich, die Hellebarde aufrecht in der Hand, über den grünen Hügel ins Dorf, und Frau und Kind winken mir stolzerfüllt ein letztes Lebewohl vom Fenster zu. Mit äußerster Gewissenhaftigkeit prüfe ich jede» Haus, jeden Schornstein, jede Tür. - Aber nirgends kann ich etwa» Verdächtige» bemerken. Das ganze Dorf ist wie ausgestorben. Nur stech- l^1pr1g«r I'sgedlstt aaS 2S. bäude der Handelskammer, sprengte dieKasfe» und Panzerschränkte, erbrach sämtliche Schreibtisch« und schleppte den Inhalt teil» fort, teil» verstreut» sie ihn auf der Straß«. Di« Vorhänge wurd« vo« den Fenstern gerissen und die Teppiche mitgenommen oder vollständig zerrissen. Dte Bilder wurden von den Wänden genommen und zerkratzt. Au» den Prt- vatwohnungen vieler Beamten wurden L«b«n»mitt»l- und Weinvorräte mitgenommen. Ferner haben dte Franzosen mit dem Inkraft treten des verhängten Belagerungszustandes über 60V Personen verhaftet, dte abend» nach 8 Uhr auf der Straße betroffen wurden. Die beiden noch erschei nenden Zeitungen, das sozialdemokratische Organ und da» Zentrumsblatt, sind unter schärfste Kontrolle ge- stellt. Tschitscherin protestiert gegen da» Memel «Abkommen StienerDrasttdertchtde» Sei» »tger Lage »latte» Pari», 24. Februar. Wie die Morgenblätter melden, hat Tschitscherin an die Alliierten drahtlos eine neue Note in der Memelfrage übermittelt. In dieser Note, die drei Maschinenfetten umfaßt, protestiert Tschi tscherin lebhaft dagegen, daß die Botschafter konferenz sich angemaßt habe, das Memel gebiet Litauen zuzuteilen, ohne vorher die russisch« Regierung befragt zu haben. Tschitscherin erklärt, Rußland sei ganz besonders an der Regelung dieser Frage interessiert, und unter diesen Umständen Hütten die alliierten Mächte zunächst die Ansicht Mos kaus einholen müssen, ehe sie die Entscheidung fällten. * Bei der Uebergabe der zwischen Polen und Litauen liegenden bisherigen neutralen Zone ist es in dem Polen zuerkennten Gebietsteil ver schiedentlich zu heftigen Zusammenstöße» gekommen. Nach einer Protestnote, die Polen dieler- halb dem Völkerbund zugehen ließ, hat bei den Kämpfen auch schwere litauische Artillerie mit gewirkt, die am 17. Februar mehrere Stunden lang die Eisenbahnlinie Klcpacze—Ruoziszki unter Feuer hielt. Ismet Pascha in Angora Pari», 24. Februar. Nach einer Havas-Meldung aus Angora sind die Kommissionen zu einem Einverständnis über die Vorschläge gelangt, die sie heute der National versammlung über den Lausanner Vertrag vorlege» will. Man rechnet damit, daß die Aussprache über diese Vorschläge am Montag zu Ende gehen wird. Die Regierung von Angora wird voraussichtlich als dann eine Note an die Alliierten richten über die letzten Zugeständnisse, die die Nationalversammlung u machen bereit ist. Die Rote wird erklären, daß die Nationalversammlung sich ihre Handlung«» fretheit vorbehält für den Fall, daß diese Vorschläge verworfen werden. Dem Nadio-Bureau wird gleichzeitig au» Angora gemeldet, daß in der gestrigen geheimen Sitzung der Nationalversammlung Ismet Pascha für di« Annahme de« Lausanner Vertrage» eingetreten sei. Er habe alle Zugeständnisse hervor, gehoben, die die Alliierten gemacht hätten, und schließlich erklärt, daß der Vertrag, wie er in Lausanne ausgeirbeitet worden sei, der Türkei voll« Unabhängigkeit bewahrt. Nach Beendigung der Sitzung sei ein Kabinettsrat abgehallen worden, über dessen Beratungen größtes Stillschweigen be wahrt wird. » Don Wilsons Memoiren, dir in deutscher Ausgabe im Verlag Paul List in Leipzig erscheinen, wird der erste Band am Montag oder Dienstag im Buchhandel ««fliegen. Wir haben vor kurzem nach den Aushängebogen schon einen Abschnitt au» dem politisch wichtigen Merk gebracht und behalten uns eine ausführliche Würdigung vor. Wettere politische Nachrichte» siehe Seite S Deutscher Kutturtag Or. Seeiw- Bäumer über die Religion in der Kultur -er Segemvari Leipzig, 24. Februar. Im Kaufmännischen V«rein»hause begann heut» der sehr aut besuchte Deutsch« Kulturtag, einberu fen vom Aulturausschuffe der Deutschen Demo kratischen Partei. Den Vorsitz führen Pro- feffor Dr. Goetz, Dr. Gertrud Bäumer und an Stelle de» in England weilenden Erkelenz Ge- Heimrat Iunck. Professor Goetz begrüßte di« Anwesenden und wie» aus dte Pflicht einer jeden echten Demokratie hin, Kulturarbeit zu leisten. »Politik und Kultur sind untrennbar, die Politik ist ein Teil der Kultur." Er gedachte der Toten, deren Geist die Verschmel zung von Politik und Kultur erkannt und frucht bar gestaltet hat: Friedrich Naumann und Ernst Troeltsch waren die Wegbahner der geistigen Auf- gaben der Partei. O- Den Reigen der Redner zu dem Gruudthema »Demokratie, Religion und Kultur" eröffnete Frau Dr. Gertrud Bäumer mit tief durchdachten Ausführungen über »Die Religion in der Kultur der Gegenwart". Dr. Düumer ging von dem Fichtewort aus, die Religion sei besonder» notwendig, wen» Außerordentliche« vom Menschen verlangt werde. E» wird heute Außerordentliches auf jedem Gebiet von uns verlangt. Außerordentliches an Leiden, an moralischer Anspannung, an Leistungs- und Wider standskraft. Schon vor dem Kriege beherrschte Unter- gangsstimmung die Abendkulturwelt. „Fragbar ward allesl" Bindungen an innere Gesetze und Ordnung waren schon vor dem Kriege vielfach geschwächt und verloren gegangen. Es erhebt sich nun die Frage, wodurch die» geschehen konnte. Die religiösen Ge fühle waren, um mit Naumann zu sprechen, heimat los geworden. Die ganze geistige Tätigkeit war allzusehr auf die äußere Welt, auf das Verstandes- mäßig zu Beherrschende und zu Durchdringende ab gelenkt worden. Man beschäftigte sich zu sehr mit dem literarischen, ästhetischen Ausdrucke des seelischen Erlebnisses, statt dieses selbst zu haben. Das Pfingsterlebnis der Bibel war und ist großenteils verloren gegangen. Damit war vielfach überhaupt die Möglichkeit religiösen Erlebnisses verschüttet worden. Jetzt nach dem Kriege allerdings ist da» Gefühl de» Bedürfnisse» nach Religion allenthalben stark aufgeflammt, -um Teil als Folge der Welt kriegskatastrophe, aber auch aus Angst vor der völligen völkischen Auflösung. Also charakterisiert sich die religiöse Reaktion von heute weniger als reltgise» Bedürfnis an sich, denn als Angst um die Existenz der menschlichen Kultur. Carlyle» Wort von dem höheren Enthusiasmus ohne Exponenten ist wieder Wahrheit geworden. Daß die ver schiedenen religiösen Stimmungen verschiedenst« Färbung aufweisen, ist selbstverständlich, es gilt also den Desamtgedanken in seiner Flüchtigkeit zu er soffen, ihn besonder» da zu erfühlen, wo er zu der Erkenntnis drängt, daß Religion kein Racherleben, sondern Urerlebnis ist. E« erhebt sich nun die Frage, rote weit können dte neuen Religionen die neuen Trieb« in sich aufnehmen und befriedigen? Tatsache ist, daß die Theologie sich vielfach als größte Gefahr für den Glaube» erwiesen hat. Die Theologie hat die Stellungnahme zur kirchlichen Lehre, den Glauben oder Nichtglauben an die Lehre zu sehr in den Vordergrund gerückt. Die Religion »st allzusehr intellektualisicrt worden. Allzu häufig hat die Beziehung zwischen Form und Erlebnis gefehlt. Ein unzweckmäßiger Religions unterricht hat dte Jugend gezwungen, aeistige Er- ebnlsse in sich aufzunehmen, ehe sie imstande war, ie selbst nacyzuleben. In Würdigung dieser Tat- achen ergibt sich für uns nunmehr di« Kardinal- rag«: Können die heutigen Konfessionen dem Wollen der Zeit Ausdruck geben? Die Rettung der Kirche muß durch die Religion, durch die innere Kraft, nicht durch die Verfassung erfolgen. Die Kirche, wie sie sich uns heute darstellt, ist in zu starkem Maße maßvoll geworden, ist zu bürgerlich geworden, fürchtet sich zu sehr vor allen Neuerungen, ist zu politisch ge- worden. Sie hat sich zu sehr mit den Ordnungs mächten verbündet und ist zu theologisch ge worden. Der Kirche müßte in Zukunft hauptsächlich daran gelegen sein, dte zerstörendsten Klüfte zwischen den Volksgenossen, die Bildung»klüfte, zu über brücken. Der neue Drang nach Religion ist, besonder» soweit er die Jugend erfaßt hat, stark mit Beziehun gen zur Natur verknüpft. Wenn man sich als religiöse' Führer von heute etwa als Gegenpole Stefan George und Dostojewski denkt, so beherrscht von diesen beiden Dostojewski mit seine» Dogma „Los von der Form" die heutige Jugend. Dieser Richtung muß die Kirche Rechnung tragen. Mit der Erkenntnis, daß die Frömmigkeit vor allem persön liches Erlebnis ist, kann und muß sich gleichzeitig die Gewißheit verbinden, daß sie auch Bindung an ein inneres Gesetz und Ehrfurcht vor etwas Höherem, innere Bereitschaft, sein Leben verlieren zu wollen, um es zu gewinnen, darstellt. Frgalos ist dieses Problem am besten und am tiefsten im Christentum gefaßt. Wenn es der Kirche möglich wäre, im obigen Sinne die stärkst« Leistung hervorzubringen, dann könnten die neuen Keime in den Boden der kirchlichen Ueberlieferung eingesenkt werden. Dann würde das Gemeinschaftsleben der Kirche in der Berührung aller untereinander seinen tiefsten Sinn erhalten. Wenn die Kirche Schwungkraft genug besitzt, dann kann sie Dorbild einer Gemeinschaft werden, wie einst, dann kann da» Pfingsterlebnis wieder neu belebt werden. Diese Betrachttmgen über die Zukunft-möglich- leiten der Kirche und ihre Stellung in der heutigen Kultur sind in einer demokratischen Veranstaltung darum angebracht, weil die Demokratie trotz alledem imstande ist, in einer Lage von heute ihr „Dennoch" zu rufen. Uns Hilst für die Zukunft nicht eine an tausendfach Weltliche« gebundene Kultur, sondern die Rückkehr zu den letzten äußersten Erkenntnissen. Die Rednerin schloß ihre mit großem Beifall auf- genommenen Ausführungen mit dem Hinweis auf da» Bibelwort: „Siehe, ich habe Dir heute vorgelegt das Leben, das Gute und das Böse. So wähle denn das Gute, daß Du am Leben bleibest. Du und Dein Same." * Zu dem gleichen Thema sprach noch Professor Dr. Hermelink-Marburg. Auch er ging von der Erkenntnis aus, daß die heutige Kultur eine unver- kennbar« Richtung nach der Religion hin auf weist. Er gab einen historischen Ueberblick über di« Beziehungen zwischen Kultur und Religion und betonte, daß da» Ergänzungsverhältni» zwischen Kultur und Religion durchaus nicht so selbstver- stündlich sei, wie es zunächst scheint. Die Kultur, die häufig Religionsersatz schafft, ist daher häufig für die Religion schädlich gewesen. Rach einer Definition der Religion al» der „schlechthlnigen" Abhängigkeit von Gott und nach der Heraushebung der Unterschiede zwischen Religion mrd Kultur in dem Sinn«, daß die Religion ganz andere Formen und Gesetze ha^ al» di« Kultur, daß dl« Religion stet« zeitlos und ewia ist, gelangt« Prof. Hermellnk zu dem Schluß, daß die Bejahung der Religion aus den Notwendigkeiten der heutigen Kultur folge. Er schloß seinen Vortrag mit dem Ausruf: „Schaffen ist unsere Aufgabe, avsr tzäh« Acht da» Erleben, daß wir schaffen können." * Als erster Diskussionsredner sprach über das selbe Thema Pfarrer D r a u l - Berlin, der sich gegen die Verkleinerung Gottes in Schul- und Religionsunterricht, gegen das Philisterhafte der beutrgen Religion, gegen die schwunglose Vorsicht der Kirche wandte. Er verurteilte, daß noch heute die babylonische Schöpfungsgeschichte gelehrt wird, daß man dem Kopernikus nicht mehr Recht einräumt als der mosaische» Weltgeschichte. Die Parlament« müßten der Kirche ihre Konkurrenzlosigkeit erschwe ren. Der preußische Landtag sollte Gesetz« erlassen, daß Gemeinden «nb Kirchengemeinden aus der Kirche austreten könnten, daß Neubildungen ermög licht würden. „Wenn Ikr Klerikalen zu vhtliströs seid, dann werden Luch ganze Gemeinden ent laufen." Nur wenn die Religion groß und auf- richtig gestaltet wird, düvfen wir an di« Zukunft des deutschen Geiste» glauben. Di« Verhandlungen dauern fort. terlich zischende Gänse ziehen in Scharen hinter mir drein, weichen aber vor meiner gezückten Hellebarde scheu zurück. Beim Pledl knabbern zwei Ziegen an einem Obstbaum; ich treib' sie mit der Waffe in die Flucht. Drüben beim Kissinger hockt «ein Bub in der Pfütze und brüllt. Ich zieh ihn heraus, aber jetzt brüllt er noch toller. Da, plötzlich kommt ein Schwein um die Ecke, rennt wie besessen durch die Pfütze und ver schwindet in Obermeiers Krautfeld. Ratlos steh ich mit der Hellebarde da, schleiche mich gebückt um den Acker und stürme mit vor- gehaltenem Spieß auf den Sonntagsfreoler los. Er zieht sich grunzend zurück. Ich bin von einem so unbändigen Pflichteifer erfüllt, daß ich in jedes Fenster hineinschaue und in jede offene Tür eiutrete. Immer liegt irgend- wo eine Spiegelscherbe, ein steifes Vorhemd und ein abgebrochener Kamm. Und überall wälzen sich winzige Geschöpfe auf dem Fußboden, starren stumpfe Augen mich blöde an. Doch man siebt auch rührende Bilder: Väter und Großväter, die das Jüngste wiegen, während die Mutter zum Hochamt gegangen ist. Uralte verhunzelte Wei berchen zupfen mich am Arm und laden mich freundlich zum Sitzen ein. Aber am liebsten geh ich in das kleinste, letzte Häuschen, das abseits am Walde liegt. Hier wohnt ein junges glückliches Paar, eine strah lende Mutter, und fast jedesmal, wenn ich komm', regt sich wieder etwas in der Wiege und hockt ein Kind mehr auf dem Fußboden! Habe ich so in alle Häuser geblickt, bin ich immer wieder auf und ab geschritten, von einem Ende bis zum andern, dann überschau ich noch einmal vom grünen Hügel das ganze am Hang niedergeduckte Dorf und das weite Land mit den blauen Bergen und Wäldern. Aus der Tiefe klingt die Sonntagsglocke vom Marktflecken her auf, und über den Wald her kommen die Hellen, hohen Glocken au» Rinchnach, dem früheren Klost«. . . . - Die ersten Kirchgänger, schwarze, steife Ge stalten, eine hinter der anderen, stapfen den Das Amt des Sonntagswächters ist vorüber. Und mit feierlicher Würde, die Hellebarde aufrecht in der Hand, kehre ich heimwärts. Büller al» Striese. Am Freitag ist Carl William Büller, das Hamburger Kind, in seiner zweiten Heimat an der Pleiße siebzig Jahre alt ge worden. Er bekam neben anderen schönen Blumen und Geschenken eine veritable, prächtig ausgeputzte Gans als Ehrengabe und vielen Applaus auch ber offener Szene. Und er bedankte sich vielmals, freund lich lächelnd, auf die allergcschmackvollste Weise, nämlich schweigend. Die Tatsache, daß er nun Siebzig ist, war ja allen bekannt, und daß er mit seinem Publikum und seinen vielen guten Bekannten im guschauerraum in der beinahe zarten, sein schattierten Komik seiner berühmtesten Rolle an seinem Ehrentage drei Stuudtn lang in aller Harm losigkeit glücklich gewesen war, das wußten wir auch. Also er schwieg sich aus, vielsagend und feierlich. Und wir haben zu dieser Rolle, die Büller um das Jahr 1890 zum erstenmal hier in Leipzig gespielt hat, auch nichts Neues zu sagen, als eben dies, daß seine siebzig Jahre ihr sehr gut bekommen sind, daß die leichte Gebrechlichkeit des Alters, der Stimme, der Bewegung, der Gesichtsmuskulatur ihre Wir- kung steigern, daß die rührende Kindlichkeit des alten Schmierenpapstes, den man sich schon bet den Brüdern Schönthan mindesten» al« einen höheren Sechziger vorzustcllen hat, ihm heute durch die DoU- kommenheit der Natur besser al» dem Vierzig- jährigen gelingt. So wünschen wir ihm und un«, daß wir am 23. Februar 1933 noch einmal so ver gnügt beisammen sind. Do» Witze, dte bei Späteren tröpfeln, nur immer so sprudelnde spaßige Meister werk der beiden Schönthane wird auch noch die nächsten zehn Jahre überleben.' Man spielte es übrigens unter Mötzels, des närrisch-ehrenwerten Professors, Leitung im Schauspielhause viel 'sauberer als „Charleys Tante". Gleichwertig neben Büller stand freilich nur eine: Stella David al» Rosa, da» gemütvoll« Trampeltier. X. P. R. Eigenartiges Berliner Theaierprojeki Kunst —Film — Valuta Aus Berlin wird un» gedrahtet: Unter dem Namen „Die Truppe" ist in Berlin ein neues Theater gegründet worden, dessen organisatorische Leitung in den Händen von Dr. Reinhard Bruck und dessen künstlerische Leitung in den Händen Berthold Viertels liegt. Die besondere Idee die ser neuen Gründung, für die jetzt die Konzessionierung nachgesucht wird, beruht darauf, das Ensemble, dem auch Fritz Kortner angehören wird, drei Monate im Jahre in Berlin spielen zu lassen, sechs Monate ans Gastspielreisen zu schicken und den Rest de« Jahres durch den Film auszufüllen. Durch die Filmcneinnahmen und die Möglichkeit de» Daluta. Verdienste« soll die Garantie für künstlerische Arbeit erzielt werden. (Die Namen Viertel und Bruck bürgen dafür, daß es sich mn eine beachtliche Theatergründung handelt.) Mumiemweizen. Gefchäfi-Lchtige Araber ver kaufen immer noch den Touristen Same» ans Pharoonengräbern, den diese dann zo Hanse aus säen und mit Bewunderung keimen sehen, obgleich es längst erwiesen ist, daß Samen ihr« Ketnttrraft noch höchstens 20—30 Jahren Verlierer». Nwn hat, w«e Die llmlcbau mttteilt, einer von diesen Schlön- köpfen sich selbst übertroffen; er hat seinem Opfer Matsscrmen verkcu.,!, die ans einem ottägypttschen Grad« stamme» sollen. Der Mots ab« ward« erst aus Amerika nach Europa etngeßöhrt. An» den Tdeaterbarean». (Overettensheaten) Wie bereits mitgeteilt sinder Sonnabend, de« 3. Mär,, im '^peretienkheater dte Uraufführung der Karneval»- operene .MaSkenrausch' von Armin Petersen und Beier Lux. Musik von Ludwig Baswell., statt. Vei<l>as. ttat sind in Haiwtrollen LvXa Petry. Mt,st Verger, Suse Kramen, g»rl Lipp-r,-2«droi-, Rudi gtsallcr, Hugo Stein Herr und Rudolf Ander. An Sqene geseyt ist da« Werk von Josef Groß. Dt« musikalische Leitung ist Kapellmeister Otto Mndetsen übertragen worden. Die erste Wiederholung von MaSkenrrnrsch gelangt mn ersren Meßsonntag, den 4. Mär,. ,«r Ausführung. Kleine» Theater. In Abänderung de» Spielplans findet Tonntva, den A. Attrrumc. Uhl. die ttrltarrftührung von .SilN vtrün' Lustspiel in 3 Men von sti>N»r« statt, prür eine Nagend« Rolle gelang s« Mauste Brosch- c^revendera (vorn Deutsche« Lheate» st» iv«vn» «G GM t» gewtuncu.