Volltext Seite (XML)
57 im höchsten Grade an. 28. Endlich legte mir einer der Feineren die Frage nach dem Nil vor, welches seine Quellen seien, welches seine im Ver gleich mit den andern Flüssen eigenthümliche Natur sei, und wie es komme, daß er unter allen Flüssen allein in der Sommerzeit anschwillt. Als ich sagte, was ich wußte, und was, da es in den heiligen Büchern über diesen Fluß ausgezeichnet ist, die Priester allein lesen und wissen können, und ausführte, daß er von den Hochgebirgen Äthiopiens, den äußersten Punkten Libyens, seinen Ursprung nimmt, in welcher Gegend der östliche Erdstrich aufhört und der südliche anfängt: in der Sommer zeit aber schwelle er an, nicht, wie einige glaubten, weil die entgegen wehenden Passatwinde ihn zurückdrängen, sondern weil eben diese Winde zur Zeit der Sommersonnenwende von den nördlichen Theilen her alle Wolken nach dem Süden zu treiben und stoßen, bis sie sie auf die glühende Zone zusammengedrängt haben, wo sie durch die über mäßige in diesen Gegenden herrschende Hitze am Weitergehn gehindert werden, da alle frühere und die allmälig angesammelte und verdichtete Feuchtigkeit zerfließt. Dies verursacht heftige Regengüsse, durch welche der Nil anschwillt und nicht mehr ein Fluß bleibt, sondern sein Ufer- Übertritt, und indem er Egypten zu einem Meere macht, durch sein Kommen die Felder so zu sagen bestellt. Daher hat er einen sehr süßen Geschmack, weil er durch die Feuchtigkeit der Wolken versorgt wird, und ist sehr lau anzufassen, nicht mehr warm, wie am Anfänge. Aus diesem Grunde hat er auch unter allen Flüssen allein keine Ausdün stungen, was durchaus, sollte man glauben, der Fall sein würde, wenn geschmolzener Schnee, wie einige bei den Hellenen angesehene Männer annahmen, die Ursache seines Anschwellens wäre. 29. Als ich dies und Aehnliches aussührte, sagte der Priester des pytischen Apollo, der mit mir genau bekannt geworden war (Charikles hieß er): du sprichst vortrefflich und ich trete auch selbst dieser Meinung bei, da ich es so von den Priestern an den Katarrhakten des Nil gehört habe. Bist du auch dahin gekommen, Charikles? fragte ich ihn. Ja, 18) lieber den Nil stehe Herodot II. 19 — 28 und Strabo B. II. Dem Schmelzen des Schnees in Aethiopien schrieb AnaxagoraS das Anschwellen des Nil zu; Demokrit führte die Erscheinung auch auf das Schmelzen des Schnees, aber des in den nördlichen Gegenden befindlichen und auf die daraus entstehenden Wolken zurück, die von den Passatwinden nach dem Süden gedrängt würden,