Volltext Seite (XML)
25 und Schwüre, daß Charikleia mich vergißt und in die Vermahlung mit einem Andern willigt? Schweige, sagte das Mädchen, und sei mir nicht lästiger als das Unglück, und halte nicht mich, die du in der Ver gangenheit durch ihre Thaten so erprobt hast, im Verdacht um bloßer Worte willen, die für den Augenblick und nm des Nutzens willen ge sprochen wurden. Andernfalls geschieht das Gegentheil, du selbst wirst eher verändert scheinen, als du mich verändert finden wirst. Unglück lich zu sein läugne ich nicht, meine Sittsamkeit aber aufzugeben, dazu könnte mich keine Gewaltthat überreden. Nur einen Verstoß gegen sie begangen zu haben bin ich mir bewußt, meine Liebe zu dir, und auch diese blieb in den Schranken der Sitte. Nicht auf die Ueberredung des Liebhabers, sondern auf dein Versprechen, mein Gatte zu werden, er klärte ich mich zuerst für die Deine, habe mich bisher auch von deinen Umarmungen rein erhalten, deine wiederholten Versuche abgewiesen und nur im Auge gehabt, ob unsere verabredete und beschworne recht mäßige Verbindung einmal in Erfüllung gehen wird. Wie wärest du nun nicht thöricht, wenn du glauben wolltest, daß ich den Barbaren dem Hellenen, den Ränder dem Geliebten vorziehen werde? Was be zweckte denn nun jene schöne Rede von dir? fragte Theagenes. Daß du mich für deinen Bruder ausgabst, ist außerordentlich klug; es zieht den Thyamis von der Eifersucht ab und bewirkt, daß wir furchtlos mit einander zusammen sein können. Auch verstand ich sehr wohl, daß Ionien und die Irrfahrt nach Delos die Wirklichkeit und Wahrheit verhüllten und die Zuhörer in der Thal irre leiteten. Daß du aber so bereitwillig der Heirath beistimmtest, ausdrücklich in sie willigtest und die Zeit bestimmtest, das konnte ich weder, noch wollte ich es mir erklären. Ich wünschte lieber in die Erde zu sinken, als ein solches Ende meiner um dich erlittenen Mühen und meiner Hoffnungen zu sehen. 26. Charikleia umarmte den Theagenes, küßte ihn tausend Mal, benetzte ihn mit Thränen und sagte: Wie gern höre ich diese deine Be fürchtungen meinetwegen: auch sie zeigen, daß die vielen Unglücksfälle deine Liebe zu mir nicht gebrochen haben. Sei aber überzeugt, mein Theagenes, wir würden selbst diesen Augenblick nicht mit einander spre chen, hätte ich diese Versprechungen nicht gemacht. Du weißt, den Drang überwältigenden Verlangens spannt Widerstreben an, ein nachgiebiges und dem Wunsche zuftimmendes Wort hemmt die erste sie-