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Sonnabend Sonntag, 18.-19. Februar 1939 Sächsische Volkszeitung Nummer 43, Seite 10 der «eselljchast Jesu nach dem Letzeplan der Jesuitenschuien, die bekanntlich damals für die weitaus besten Schulen galten. V«. sonderer Weit wurde neben GeickiickUe aus Sprachen arleat. aus Latein, Französisch, Italienisch, Spanisch: das erforderte schon das Völkergemtsch, über das sie einst herrschen sollte, erforderte aber auch die leidige Sitte deutscher Häse, sich am liebsten in fremden Sprachen auszudrücken. Therese lernte leicht und gut; eine Gelehrte ist sie nie geworden, und ihre frische, natürliche Lebenslust, die später siegreich auch in den schwersten Zeiten durchbrach, liess sie an körperlicher Bewegung Freude finden. Man hört, wie sie und ihre Schwester Marianne sich im Scheibenschießen übten, wie sie tanzten und ritten. Namentlich für Tanz und Musik zeigte das funge Mädchen Begabung. Bei den Ausführungen des Hojkreijes, in Balletten und Singspielen zeichneten sich die Erzherzoginnen aus. So äußerte sich der italienische Hofdichter Metastasio in einem Brief begeistert über das Spiel von Therese und Marianne in seiner kleinen Oper „be Orsrie Venüicate", das am Geburtstag der Kaiserinmutter 1733 aufgesührt wurde. Der Autor versichert in diesem Schrei ben, daß sein Urteil nicht durch die hohe Stellung der jungen Damen bestochen sei: „Bedenke, mit welchen Damen ich schon Verkehr hatte; aber diese sind ohne Zweifel achtsamer, dank barer und unendlich höflicher als alle, die ich bisher gesehen habe." Maria Theresia war damals achtzehn Jahr« alt und ver lobt: vielleicht die schönste Fiirstcntochter ihrer Zeit. Man kennt ihre Züge meist aus den Jahren ihrer Herrschaft, die große, stattliche Frau mit dem majestätischen und zugleich mütterlichen Antlitz unter der weißen Pudersrisur. Ihr Iugendbild stellt «in hochschlankes, blondes Mädchen dar mit feiner Nase, sehr hübschem Mund und großen, lebhaften, Hellen Augen unter einer hohen und edlen Stirn. Der glücklichen Kindheit folgte eine glückliche Jugend. Nur wenigen Thronerbinnen war cs je vergönnt, sich nach eigener Wahl zu vermählen: Maria Theresia schloß eine Liebesheirat. Schon mit fünfzehn Jahren war der junge Erbprinz von Lothringen Franz Stefan nach Wien gekommen, und die Neigung zu dem fröhlichen Spielgefährten behielt den Sieg über alle Bewerbungen, die der Hand der Erbtochter galten. Maria Theresia machte eigentlich nicht das, was man in ande ren Kreisen als „gute Partie" bezeichnet hätte, und es spricht für dir Einsicht des Kaisers, daß er sich nicht aus naheliegenden äußeren Rücksichten der Liebe des jungen Paares widersetzte. Und so durste denn der Herzog, damals Statthalter von Ungarn, am 31. Januar 1736 seine „Anwerbung" um die Erz herzogin tun, wobei er in einem kastanienbraunen Samtkleid, mit Gold und Silber gestickt und mit Vrillantknöpscn versehen Im Wert von dreihunderttausend Gulden, erschien. Nachdem er in feierlichem Aufzug zunächst vom Kaiser das Jawort erhalten, begab er sich zur Kaiserin, woselbst „die Türen offen blieben, so daß jedermann sehen konnte, wie er hier die förmliche An werbung verrichtete", und «r der Kaiserin sein Miniaturbild überreichte, das statt des Glases von einem einzigen Diamanten bedeckt war. Die Kaiserin heftete es der Erzherzogin an die Brust, der Herzog machte seiner Braut ,§as Tompliment", worauf sie „mit Zärtlichkeit antwortete" und der Zug sich wieder in die Privatgemächer des Kaisers zurllckbegab. In den kleinen Briefchen der fungen Braut ist von diesem Pomp nichts zu merken. An den „Durchlauchtigsten Hertzog, den Billgelicbten Bräutigamb" gehen Billetts wie dies: „Indem recht von Hertzen auf Euer Liebden obligeante und complimen- tos« Bries antworte, winsch eine glicklich« reis und guttes weiter. Hoffe daß dieses die letzte leyn wird, die Euer Liebden ohne Ihrer so ergebnen braut machen werden." Gelegentlich gibt es auch eine formlose Nachschrift wie dies«: „Adieu Mäusl!" Am 12. Februar 1736 wurde dann in der Augustinerkirche zu Wien die Trauung vollzogen: es waren zwei schöne junge, gesund« Menschen, denen die prunkende Brauttracht in Weiß rmd Silber gut stand und die mitten in den Zeremonien des Hofes ihre einfache und herzliche Neigung zueinander bewahrt haben. Franz Stefan war gutherzig und lebensfroh und stimmte darin mit Therese überein, di« ihr Lebtag kein« Kopf hängerei leiden mochte, aber er war ihr an Bedeutung und Begabung weit unterlegen. Er besaß auch die Beharrlichkeit und Arbeitsamkeit nicht, die nachmals die Kaiserin trotz aller Impulsivität so auszeichnete, Staatsgeschäfte und Politik lagen ihm nicht, und auch auf militärischem Gebiet waren ihm Lor- beeren versagt. Aber nie ließ sie ihn eine Ueberlegenheit fühlen: er war der Mittelpunkt, die einzige große Liebe ihres Lebens, und Ihre von sechzehn Kindern gesegnete Eh« «in« der glücklichsten jener Zeit. Drei Jahre noch gingen der jungen Frau verhältnismäßig sorgenlos dahin, teils in der Heimat, teils ln Toscana, das Heuoa Fran» Stefan im Austausch gegen Lothringen erhalten. würden, ist plötzlich durchsichtig geworden wie Streifen glos: Wir sehen deutlich, dotz dnhinter etwas anderes steht, aber wir können nicht erkennen, was. Mit dem Raum ist es nicht viel anders. Die Dinge stehen nicht mehr, sie schweben. Die Möbel schweben mit und unter uns im Raum. Während am Tage ein Zimmer eine nachmetzbare, solid ummauerte Angelegen heit ist, fühlen wir es zwischen Schlaf und Wachen als ein Stück des unermohichen Raums, in dem sich Gestirne bewegen. Wir schweben darin — mit der Erde, um die Erde, unbekannten Zielen entgegen. Wie sütz ist das Licht! Am Tage ziehen wir viel leicht einmal im Sommer einen Vorhang zu, um uns vor allzu grellem Sonneneinfall zu schützen. Hier aber, im Dunkel der schmerzvoll langen Nacht, im Hindäm mern ist uns der schwache Abglanz des Mondes auf dem weißen Vorhang des Zimmers ein Trost von erquicken der Kraft. Ich starre auf diesen blassen Schein — und er scheint allmählich Heller zu werden. Das Zimmer versinkt und ich liege ganz überstrahlt von dem welken Licht, das auf einmal köstlich warm ist. Und der Schein hat sich zur Form einer Lilie gewandelt, die hell leuchtet: eine weiße — Feuerlilie . . . Alpdruck der Buchstaben Dann aber finde ich mich plötzlich wieder tief zwi schen meinen Kissen begraben. Ich stelle fest, daß ich tief schlafe. Aber da ist noch ein anderer in mir, der ist ganz wach. Zwar ist er nicht imstande, ein einziges Glied meines Körpers in Bewegung zu setzen — denn der schläft ja nun tief, ganz tief —. aber er beobachtet den schlafenden Körper nicht ohne Befriedigung, um sich dann seinen besonderen Interessen zuzuwenden. Was tut dieser Kerl wohl? Natürlich, er schreibt. Wörtlich genommen schreibt er freilich nicht, denn die Hände sind ja vom Schlafe geblinden, auch ein geeig netes Werkzeug fehlt. Dennoch schreibt er einen Artikel — nein: er denkt einen Artikel. Und merkwürdig: Was er denkt, verwandelt sich sofort in druckfertigen Sah, Nur die Tatsache, daß die ersten Kinder Mädchen waren, und dir Unruhe um den Gatten, der in «in«m unglücklichen Türken- feldzug sich nicht auszu-eichnen vermochte, warfen erste Schatten. Dann stirbt unerwartet mit sechsundfünfzig Jahren der Kaiser im Oktober 1740 — und Maria Theresia» eigentlich« Jugend ist M End«. Ei« steht vor einer ungeheuer schweren Aufgabe: ein politisch und wirtschaftlich erschütterte» Reich, un zufriedene Stimmung im Land, Feinde außen, Gleichgültigkeit innen — ging es nicht über Frauenkraft? Wie ein« leise An klage klingt es, wenn sie später schreibt: „Es war meinem Herrn Vater niemals gefällig, mich zur Erledigung weder der äußeren noch der inneren Geschäft« beizuziehrn noch zu informieren; so sähe ich mich von Geld, Truppen und Rath entblößet. Kein« Ersarenheit in Aussuchung derer Räthen wohnete mir bei." Eie war also nicht für d«u Thron vorgebildet, nicht sür ihn erzogen, aber sie war für den Thron geboren. Ihr starker Charakter, ihr reines Herz und ihr natürlicher frau licher Instinkt haben sie geleitet, eine ti-fe, unrrlchüttcrliche Frömmigkeit sie gestützt und sie zu der großen Erscheinung ge. macht, al» die sie Mit- und Nachwelt anerkennen — ungeachtet der unglücklichen "Kriege, die st« führt«: ihr« Bedeutung, die in ihren inneren Reformen und in der Begründung und Festigung der österreichischen Monarchie liegt, ist unbestritten. Wa» sie bei ihrem Regierungsantritt gelobt«, ihren Ländern eine „all gemeine und erste Mütter" zu sein, hat sie erfüllt.' Sie ist unter den bedeutenden Herrscherinnen dl« fraulichste, di« mütterlichste — auch die deutscheste. „Vergiß nie", schrieb fie an eine ihrer Töchter, „daß du al» Deutsche geboren bist, und bemühe dich, die guten Eigenschaften zu bewahren, die unser Volk kennzeichnen: di« Redlichkeit und die Herzensgutel" LesinnUekeQeZckiekten su8 slterTeit Von Joksnn Vie rwei Postillone Zwei Handelsleute reisten ost auf der Extrapost von Fürth nach Hechingen, wie jeden sein Geschäft ermahnte. Gab der eine dem Postillon ein schlechtes Trinkgeld, so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: Für was soll ich dem Postknecht «inen Zwölfer schenken? Ich trag ja nicht schwer daran. Die Postillone aber, der von Dinkelsbühl und der von Ellwangen, sagten: Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst er weisen könnten, daß sie freigebiger würden I Eines Tages kommt der Fürther in Dinkelsbühl an, und will weiter. Der Postillon sagte zu seinem Kameraden: ,Hahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: „Es ist an dir." Unterdessen saß der Reisende ganz geduldig in seinem offenen Eliaswagen, bis der Postillon aufsaß. Als er sah, daß de: Postillon im Sattel recht saß und di« Peitsche erhob, sagte er: „Fahr zu, Schwager! Werf Er mich nicht um!" Am nämlichen Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der Postillon dachte bei sich selbst: Wenn jetzt nur mein Kamerad von Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Sveg wäre! Indem er fährt, Berg auf, Berg ab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, begegnen sie einander; keiner will dem anderen ausweichen. Jeder sagt: Ich sichre einen braven Herrn, keinen Psennigschaber, wie du, dem seine Sechsbatzenstücke ausschen wie Hildburghäuser Groschen. Endlich legte sich der Fürther auch in den Streit! Gotts Wunder!" sagte er; „sollen wir noch einmal vierzig Jahre in der Wüste bleiben?" und schimpfte zuletzt den Ellwanger, daß ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb ins Gesicht gab. Der Dinkelsbühler sagt: „Du sollst meinen Passagier nicht hauen, er ist mir anvertraut, und zahlt honett; oder ich hau den deinigen auch." „Untersteh dich, und hau mir meinen Herrn!" sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühler Passagier, und riesen einander in unaufhörlichem Zorn zu: „Willst du meinen Herrn in Frieden lasten, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem Lungenmus zusamenhauen?" „Je schmerzlicher der «ine Ach und der andere Waih schrie, desto kräftiger hieben di« Postillone aus sie rin, bis sie des unbarmherzigen Spaßes selber müde wurden. Als sie aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten die Postillone zu ihren Reisenden: „Nicht wahr, ich habe mich Euer rechtschasfen an genommen? Mein Kamerad wird's niemand rühmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe. Aber diesmal kommt's Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fürst wüßte, sagte der Dinkelsbühler, es wär« ihm um einen Maxdor nicht leid. Er fleht darauf, daß man die Reisenden gut hält. Merke: Es ist kein Geld schlechter «rhaust, als was man armen Leuten am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wosllr man gehauen oder sonst verunchrt wird. Für ein paar Eroschen'kann man viel Freundlichkeit und guten Willen kaufen. ver betrogene Krämer Tin Rubel ist in Rußland eine Eilbermünze, und beträgt 27 Batzen hin oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehn Rubel, deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für einen Rubel einen Imperial. Allein, ein schlauer Soldat in Moskau sagte doch: „Was gilt»? Morgen, auf dem Jahrmarkt, will ich mit einem Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den anderen Peter Kedel Tag in langen Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen standen schon die Leute, lobte» und tadelten, boten ab und boten zu, und die Menge ging aus und ging ab, und die Knaben grüßten die Mägdlein, kommt auf einmal der Eoldat mit einem Rubel in den Händen. „Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel, gehört er Euch?" fragte er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld löste und lang« zusah, dachte endlich: Wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. Hierher, Musketier, der Rubel ist mein. Der Soldat sagte: „Wenn Ihr mir nicht gerufen hättet, ich hält' Euch schwerlich gesunden unter der Menge", und gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrach tet ihn hin und her, und klingelt daran, ob er gut sei. Ja, er war gut, und steckt ihn in die Tasche. „Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial", sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: „Ich habe keinen Imperial von Euch, so bin ich Tuch auch keinen schuldig. Da habt Ihr Euren einfälti gen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spaß machen wollt." Aber der Musketier sagte: „Meinen zweisältigen Imperial gebt mir heraus, mein Spaß ist Ernst und die Marktwache, die Polizei, wird zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpf lich« gab da» trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und er hängte sich an den Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Aus einmal bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. „Was geht hier vor?" fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die Menge durchgebohrt hatte. „Was geht vor? frag' ich." Der Krämer wußte wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier. Vor keiner Viertel stunde erzählt« er, habe er diesem Mann sür einen Rubel abge kauft, das und das. Al» er ihn bezahlen wollte, in allen Taschen habe er kein Geld gesunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pate geschenkt habe. So habe er ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelasten, bis er den Rubel bringe. Wie er mit dem Rubel wiedergekommen sei, habe er den rechten Kaufladen nimmer gefunden, und an allen Ständen gefragt: Wem bin ich einen Rubel schuldig? so habe dieser da gesagt, er sei derjenige, und sei's auch, und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen. Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig herausgeben oder nicht? Als aber der Polizeisergeant di« Umstehenden fragte, und die Umstehenden sagten: Ja. der Musketier hab« an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser habe bekannt, er gehöre ihm, und habe ihn auch angenommen, und daran geklingelt, ob er echt sei. Als der Polizeisergeant das hörte, gab er den Bescheid: „Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zu rück, oder man petschiert Euch Euern Stand mit Lattnägeln zu sammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen Brettern ringe- schachtelt und «ingeschindelt. Und könnt Ihr alsdann lang Hun ger leiden, so könnt Ihr auch lang leben." Das sagte der An führer der Polizeiwache, und wer dem Musketier sür seinen Ru- bel einen Imperial herausgeben mußte, war der Kaufmann. Merke: Fremdes Gut frißt das eigene, wie neuer Schnee den alten. 8tierkampk mit jVtsseliinenstiei'en In Slldfrankreich wird demnächst der traditionelle Stier kampf eine Humanisierung erfahren. In Zukunft treten nicht mehr lebende Stiere gegen Torcros zum Kampf an, sondern Maschtnen-Stiere. Diese werden durch Funker drahtlos gelenkt. Ob der Stierkämpfer dann noch mit dem bekannten „roten Tuch" arbeiten wird, ist sehr zweifelhaft. so, als sähe da eine Linotype-Setzmaschine im Gehirn. (Ein Schriftleiter, aus dessen Gehirn fertiger Linotype- Satz käme, das wäre der richtige Mann fiir jeden Ver lag!) Unablässig kommen neue Zeilen hinzu. Wie eine wuchtige, steil aufgerichtete Spalte steht schließlich der ganze Artikel vor mir. Ich weiß genau, was da steh', aber ich kann kein Wort lesen. Natürlich muß ich wissen, was der Bursche gedacht hat — denn den Artikel kenne ich, habe mich lange damit beschäftigt, wollte ihn längst schreiben. Nun kommt mir der Kerl zuvor. Warum kann ich nur kein Wort lesen? Ganz einfach: ich habe ja meine Brille ver gessen. Ich will nach meiner Brille suchen . . . Die Arme können auf einmal wieder greifen, ich dreke mich auf die andere Seite — und lautlos stürzt die Traumspalte mit dem schönen Artikel vor meinen Augen zusammen. Die nahe Ferne Dann aber ist aller Gram vergessen, ich marschiere frei und leicht in einer schönen Landschaft bei Hellem Sonnenschein. Die Vögel singen: „Der längste Winter seht vorbei!" Die Blumen blühen, die Bäume tragen risches Grün, in mächtigen Bögen zieht die Oder durch rühlingsfarbene Landschaft. Richtig, dies ist die Oder und diese Landschaft st meine schlesische Heimat. Das ist recht; ich hätte schon längst einmal hier meinen Urlaub verbringen sollen. Nun bin ich plötzlich auf dem Dachgarten eines Landhauses, weiß gar nicht mehr, wie ich heraufgekom men bin. Sitzt da ein alter Herr mit stark ergrautem Haar und rechnet eifrig in seinen Büchern. Ich begrüße ihn, er schaut au/ und siehe da, es ist mein Onkel, den ich seit —zig Jahren nicht mehr gesehen habe. „Seltener Besuch, seltener Besuch!" meint er mit hochgezogenen Brauen, aber nicht unfreundlich. Dann gehen wir hin unter, um die Tante zu begrüßen. Es geht eine Wendeltreppe hinunter, die an einer Wand endet. Ein Druck an einer bestimmten Stelle der Wand, und eine Drehtür öffnet sich, läßt uns in ein altmodisch eingerichtetes Zimmer ein, wo die Tante am Fenster sitzt und stickt. Eine Perlenstickerei, wie sie zur Bieoermeierzeit üblich mar. Rosmarinstöcke stehen am Fenster. „Nein, ist das eine Ueberraschung!" sagt die Tante. Sie nötigt uns beide aufs Sofa, holt ganz kleine, zier liche Gläser aus dem Schrank und schenkt uns von ihrem Pomeranzenlikör ein. Von dem guten, den sie selbst aufgesetzt hat und der ein paar Jahre braucht, bis er seinen feinsten Wohlgeschmack erreicht hat. „Nun erzähle einmal, wie es Dir geht!" ermun tert mich der Onkel. Da gibt es ja nun viel zu erzählen. Und ich mache auch gewaltig den Mund auf — aber ich bringe kein Wort hervor. Ich habe einfach die Sprache verloren .... „Sie müssen doch etwas sagen", meinte mißbilli gend der Hauswirt, als ich aus dem Bett gesprungen mar und die Tür geöffnet hatte, „wenn man so lange an Ihre Tür klopft. Die Aufwartung klopft schon seit einer Viertelstunde — und nun hat sie mich geholt, weil sonst kein Mensch im ganzen Hause ist und sie dachte, es wäre Ihnen etwas passiert." Erwachen heißt Aschermittwoch Nun sagt mir, meine Freunde — brauche ich noch auf einen Faschingsball zu gehen, da die Grippe, un erschöpflich in liebenswürdigen Ueberraschungen, mich just in diesen Tagen mit einem solchen Karneval der Träume bedacht hat? Freilich ist die Rückkehr aus diesem Land der Träume in die Wirklichkeit immer unangenehm. Zumal wenn man von seinen lieben Mitmenschen vereits für verblichen gehalten wird, nur weil die Dämmerung zwischen Schlaf und Wachen uns zu lange festgehalten hat. Doppelt schmerzlich ist die Sache, weil man bet solcher Zersetzung des Schlafs nicht die Erholung finden kann, die er sonst zu bieten vermag. Nach dem Karneval der Träume ist das Erwachen ein wenig schmerzlich. Doch heißt das Erwachen nach dem Karneval nicht immer — Aschermittwochs