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Kunst- Wissenschaft und Unterhaltung Vie Dichtung -er Zeit. Virlfach wird geklagt, daß die Ernte an litevavi» a Wert.'n während d<« Weltkrieg« dem Lerhält- ii- nach nur gering sei. Man betont die Gröhe des fischen Erlebnisses und erstaunt über die Spar s.chleit des dichterischen Widerhalls, eine Spärlich keit, die allerdings nur der Eigenschaft, nicht dem Umfang nach zu verstehen wäre. Denn immer neue Sammlungen blühen auf, und täglich wandern Tau- icnde von Gedichten in di« Zeitungen. Gerade dies beweist, wie start der Trieb nach Ausdruck ist. Und >em entspräche nur ein vereinzeltes Gelingen? Die Tatsache läßt sich allerdings nicht leugnen, dah Ge dichte mit einem wirklich eigenen und schöpferischen Ton in dieser Zeit nur selten sind. Sehr vieles bleibt crborgter Abglanz und Abklang früherer Gedichte, wieder der Freiheitsbewegung und der 70er Jahre jiehen aus: die gleichen Worte, der gleiche Rhythmus, nur neue Zusammensetzungen und dabei Mangel der uimäßig schassenden Kraft! Diese Ersatzlyrik ist für c>en Augenblick geboren und tut ihre Pflicht. Man raucht ihr nicht gram zu sein. Bedeutsamer sind zwei weitere Erscheinungen: 'luch unsere Lyriker von Nus haben neben Geglücktem Zerie geschrieben, die sehr wenig von ihrer Eigenart, ihrem besonders gestimmten Kannen er.cheinen lassen. Nachte es ihr bemühter Wille oder unbewußter Trieb .ewesen sein, einzutauchen in den Strom des (he mmten, auch in die Kunst die Einform des Kriegers ,u tragen, es bleibt hier ein Nest, der nicht aufgeht. Mr fühlen noch Züge einer uns von früher ver bauten Kunst, aber sie wirken nicht mehr rein. Diese Lyrit har sich zuweilen eine volkstümelnde Gebärde lufgesetzt. die ihr schliesslich dach freind bleibt. Dann aber gibt es manche. d>e fetzt scheinbar ganz ver mummt sind: manche vielleicht mehr, weil sie zuviel als >u wenig empfinden. Diese Tatsachen werden .zuweilen als Vorwurf gegen die Lyrik unserer jüngsten Bcr- aangenhcit genutzt. Bei dem div kdoclus, bia sali«, abe die junge Dichtergeneration großenteils ver sagt. Betrachten wir die Entwicklung unserer Dich tung in den letzten Jahren. Gerade die Lyrik hatte Neuland gewonnen, hatte mit einer seelisch tastenden .Hitzigkeit, deren seine Nerven allerdings schwächeren siaturen ost Merkmale des Verfalls aufprägten, letzte Getzeimvisic des Innern zu erfassen vermocht, hatte Alorte und Rhythmen für Empfindungen gefunden, die sonst nur rn der Musik ihren elementaren Aus druck sich schaffen konnten. In diese Linie gehört Römer Maria Rilkes Lyrik, die mit einer erschauen den Macht das kündet, was im Unbewußten dämmert. Im letzten Grunde ist es der Rhythmus, der Ton der Worte und ihr Zusammcnklang. wodurch jene der Musil verwandten Wirkungen mit innerer Gebun denheit in uns gelöst werden und mitklinqen. Ee- -ade der Einfluß Rilkes aus unsere jüngste Lyrik ist ungemein stark, zweifellos viel stärker als die der architektonischen Lyrik Stefan Georges. ?lber in welchen Abwandlungen solche Lyrik auch sich aus spricht, immer wiel^r hagelt es sich um kühne Wahrten in das Dämmerlarrd der Seele. Selbst unter dem, was im Alltagskleid entgegentrat, hinter dem glatten Leben der Großstadt spürte die Dichtung eine symbolische Tiefe, ein ..An sich" hinter den bloßen Erscheinungen. Aber eben diese Vertiefung in ein llnirdisches. die Verfeinerung des Empfin- dungslo.bens, deren Voraussetzung der moderne Mensch uit seinem Kuliurreichtum war und der zweifellos !>>'.i weiterer Steigerung beständig Entartung drohte, bloß die Möglichkeit einer eigentlich volkstümlichen Wirkung aus. Volkstümlichkeit fordert schlichte, gerade Linien, for dert ttnverhülltheit der Empfindung, und darum wer den einfache und elementare Gefühle sich nie in stär kerer Schönheit als im Volkslied aussprechen können. Tas eigentliche Volkslied aber bleibt viel unab hängiger vom Wandel der Zeit. Denn in ihm spricht der reine Mensch, entkleidet oder bar jeden Kultur- i muckes. Darum eben klingen im Volkslied immer wieder verwandte Rhythmen und Formen auf. Ge schehnisse aber, die in einer solchen Wucht wie der Weltkrieg ein ganzes Volk ergreifen und mit sich leißen, heischen zunächst wenigstens nolksmätzigen ,'lusdruck. Eine Lyrik mit einem kulturgesteigerten Empfinden vermag dem nicht oder nur einseitig bei- ackommen. Ein Lehinel kann kein Theodor Körner werden. Das war das Große an jenem Sänan: des Krieges, daß er das, was alle tief heilig-schauernd empfanden, in waffenklirrcnde, stürmende Verse bannte, daß bei ihm L ed und Tat eins wurden. Schon Kleins Lyrik vermochte ni: >n dies-m Sinne volkstümlich zu werden. Dio lohende Fackel dieser Seele hatte einen zu grellen Glanz. Der Ton seiner Lyrik wuchtete zu feierlich schwer. Wir haben nun das Wunder erlebt, daß Kleist d:r Dich ter und Künder unserer Zeit wurde. Seine Werke wurden für uns ein glühendes Bekenntnis. Aber eins bleibt doch, daß eigentliche Kriegs lieder aus einem Herzen strömen müssen, in d m lauterstes völkisches Empfinden sich spiegelt Eben daraus erklärt es sich, daß die schönsten Gedichte dieses Krieges von Unbekannten geschaffen wurden, von solchen, die wohl nur für sich oder einen engen Kreis schrieben, die aber eben darum sich in ihrer ganzen Unmittelbarkeit gaben. Es ist ein Verdienst der Sammlungen, daß sie mit feinm, S:nue solche verborgen blühende Blumen aufdecke.- und der All gemeinheit schenken. Da ist das rasch bekannt ge- worden e Reiterlied des österreichisch: i Offiziers, das wohl als eines der schönsten unsere. Volkslyrik überhaupt anzusprechen ist: Drüben am Wiesenrand Hocken zwei Dohlen — Fall ich am Donaustrand? Sterb' ich in Polen? Was liegt daran? Eh' sie meine Seele holen, Kampf' ich als Reitermann. Drüben am Ackerrain Schreien zwei Raven — Werd' ich der erste sein. Den sie begraben? Was ist dabei? Viel hunderttausend traben in Oest'reilbs Reiterei. Drüben im Abendrot Fliegen zwei Krähen — Wann kommt der Schnitter Tod, Um uns zu mähen? Es ist nicht schad', Seh' ich nur unsre Fahnen wehen Auf Bclgerad!" Da finden wir fernrr das innige Lied des Berliner Obertertianers „Für uns!", das sich in seiner Emp- findungssiille über manches Kunsterzeugnis unser:r ersten Lyriker stellt. Und so wird noch manches Lied hervorquellen aus dem Herzen des Volkes. N:ben Liesen unmittelbarsten Ergüssen läßt sich eine hym nisch gestimmte Lyrik vernehmen, di: mancherlei Wertvolles gebracht hat. Ernst Lissauer schlägt hier vor allen die Leier', sein Ton hat einen klaren, mit reißenden Schwung, und die Wort:, die er setzt, fügen sich mit eherner F:ste und tönen wie der dich terisch gefaßte Sturm eines Volkes. In Form und Wort nicht eigentlich volkstümlich, fängt diese Lyrik doch die gesamte Seele des Volkes in ihrer mächtigen Strömung auf und gießt sie in den Ausdruck unserer Zeit. Die Wirkung verhält sich dann ähnlich wie bei Kleist. Wir fühlen die all: und alles durchdringende Gewalt einer völkisckien Empfindung aus einer stei gernden und besonders abgetönten Eigenart. Wenn aber manche unserer sonst beredten Dichter jetzt schwei gen, so darf dies nicht falsch gedeutet werden. Man kann etwas innerlichst fühlen, ohne es sofort oder überhaupt künstl.'risch zu gestalten, und man kann trotzdem ein Dichter sein. Es mag oft ein Zeichen einer gesunden Selbstbcurteilung und Selbst bescheidung sein. Jedenfalls verdient solches Der- stummtsein unter Umständen ebensoviel Anerkennung wie der Verleger Alfred Richard Meyer eine Zu rechtweisung, wenn er in seinen Flugblättern uns peinliche Ueberraschungen beschert. Es ist im Ernste bedauerlich, daß ein Rudolf Leonhard, dessen Talent in einem Gedicht wie „Der Fähnrich" sich nicht ver leugnen kann, dazu fähig ist. Dinge wie „Ausmarsch" oder „Don Juan" der Oeffentlichkcit zu übergeben. Wir sehen davon ab, dem Leser Proben zuzumuten. Hier hat die Entartung einer gewißen Asphaltlyrik die Kühnheit grhabt, ihre Krankhaftigkeit in eine große Zeit hineinzutragen. Diese wird schonungslos über sie ihnweggehen, und die blutrünstige Schilde rung des „Gemetzels" bedürfte keiner Abfertigung, wenn nicht gerade Rudolf Leonhard außerhalb solcher llnwürdrgkeiten ein unverkennbares Talent be kundete. Jedenfalls schänden Gedichte wie „Aus marsch" oder „Schwester Gisela in Pctcrwardcin" die Seele d:r Zeit. Daß Ereignisse, die die Welt aus ihren Fuaen rütteln und die Seele bis ins Mark aufwühlen, nutzt sofort in der Kunst ihren vollen Widerklana finden, ist klar. Wir sind vorerst nur fähig^ Einzelsttmmun- gcn in uns aufznfassen und zur Form zu bilden. Dem künstlerischen Können uiyerer Zeit liefen die Rückwirkungen bestimmter Ereignisse auf das Ich des einzelnen am ncnhsten. Für diese bringen wir die Form mit. Der Widerhall der Ereignisse als Ganzes wird erst später in uns klingen können. Erst, nachdem wir den Atem der neuen Zett tief in uns gesogen haben, werden die Werke, nach denen wir jetzt schas. send suchen, zur Reife werden. Der vollere und höhere Rhythmus, die breitere und stärkere Lebens erfassung werden ihr Höchstes nicht mehr in der Lyrik finden wie die auf die Jchpflege gerichtete Art der jüngsten Vergangenheit, jondcrn im Epo« und vor allem im Drama. Drama heißt Kamps ves Jchs mit der Welt! Wir aber sind in diesrr Zeil auch in un serem Inneren Kämpfer geworden. Die hohe Form kunst unserer Lyrik wird in Epos und Drama ein- oehen und wird ihnen ihre Vertiefung geben. Die Lyrik selbst wird nicht mehr spielendes Versenken in die eigenwilligen Wcllenschwebungen des Jchs sein, sondern eine Spiegelung des Jchs in ihren Wechsel wirkungen mit der Welt. Wenn wir auch nicht Zu kunft deuten wollen, glauben wir doch fest an die Blüte der treibenden Kräfte, die jetzt so keimkräftig sich entfalten. Wohltatiakeitskonzert im Kaufhaus. Zum Besten der Verwundetensuche auf dem Schlachtfeld« durch Kriegs-Lanitätshundc hatten sich beliebte Leipziger Künstler zusammengetan. Den Abend eröffneten Frl. Catharina Bosch und Herr Pro.essor Josef Pcmbaur mit der Diolinjonate A-Dur von Brahms, deren Darstellung nach allen Seiten hin ausgezeichnet genannt zu werden verdient. Die Violinistin mit ihrem schönen Ton und der gut musi kalischen Auffassung, namentlich nach der Seite des Stimmungsvollen hin, und der Künstler am Klavier mit seinem ausgezeichneten tammermusikalischen Spiel behandelten die Sonate in allen ihren Teilen durchweg ihrem Werte entsprechend: besonders war das gegenseitige Eingehen aufeinander hervorzu heben. Herr Pembaur beteiligte sich dann als Solist mit zwei Balladen von Chopin, von denen die in As-Dur am meisten erschöpft wurde. Der gut ein gehaltene Rhythmus und die durchweg natürliche Auffassung Keßen hier das Spiel durchaus vollwertig erscheinen. In der G-Äloll-Ballade hemmte die Er schöpfung der abgrundtiefen Musik der hier am meisten qervortretcnde Hauptcharakter des Künstlers, die starke Neigung nach der schwärmerischen Seite hin, was besonders am Anfang hervortrat. Chopin ist hier mehr der starke Charakter, der kraft volles inneres Leben tiefergreifend kundgibt. — Den Gesang vertrat Frau Aline Sanden. Zuerst brachte sie unbekannte Lieder von Friedrich Kayset, die indessen musikalisch kaum besonderes Interesse er wecken. Der Erundton ist zu sehr auf weitliegend« Zeiten gestimmt. Textwiederholungen z. B. geht man heute möglichst aus dem Wege. Die Lieder von dem ausgezeichneten Begleiter der Gesänge, Rudolf Hänsel, liegen unserer Zeit näher, lasten aber in der Ausführung die stilistische Uebereinstiinmuna zwischen der mitunter wenig interessierenden Melodik und der Begleitung vermissen, wo modern angehauchte Akkorde an Stellen hervortreten, wo sie nicht zur Charakterisierung dienen. Die Sängerin bot ihr Bestes mit Liedern von Rich. Strauß und Wolf. Bon Strauß ging am meisten zur Tiefe „Traum durch die Dämmerung", von Wolf ganz hervorragend „An eine Aeolsharse", vom „Heimweh" besonders der tempera mentvoll gesungene Schluß. Einige Textirrungen kamen hier und da vor. Am Schluß spielte Frl. Bosch noch kleinere Stücke von Kreisler und Wie- niawski. die in der Hauptsache nur technischen Wert besitzen. Die Künstler ernteten starken Beifall, der alle zu Zugaben veranlaßte. Rriur ^edle-x-el. Leipziger Kuustoerein. Um die Ausstellung alter Meister aus Leipziger Privatbesitz weitesten Kreisen zugänglich zu machen, hat der Vorstand des Kunstv'r- eins beschlossen, heute Mittwoch und Sonntag, den v. Dezember, den Eintrittspreis auf 25 Pf. lrevab- zusetzen. * Mufikchronik. Der Pianist Emil Sauer ist als Leiter der Meisterschule für Klavierspiel an der Wiener Mustkakademie berufen worden und hat diesen Ruf angenommen. * Rodin über die »Barbarei". Ein italienischer Publizist hatte eine Unterredung mit dem zur« zeit in Cheltenham (Englands weilenden Pariser Meister Rodin, der keine Lust batte, erneut« An griffe auf Pans durch die Deutschen abzuwarten. (Ueber seinem Atelier war, wie bekannt, neulich eine Fliegerbombe geplatzt.) Ei hat sich ein weit rubi gcres Urteil bewahrt als die msisten Künstler vieler anderer Länder: „Warum", sagte Rodin dem Jom. nalistcn, „schleudert die Welt den Bannfluch gegen die Deutschen, die die Bauwerke eines früheren Genies mit der groben Sprache ihrer Ge schosse grüßen? Die Welt müßte doch wissen, daß lange vorher die Kunst von dem kleinbürgerlichen, trivialen Geiste des IN. Jahrhunderts zu Tode ge troffen ward! Nichts, gar nichts wurde geschont. In Brüssel hat der junge König Albert uv> sich als modernen Menschen und als G^jner jeder Liebe für das Alte zu zeigen, sogar die altehr würdigen Quartiere des 17. Jahr hunderts Niederreißen lassen! Ab scheuliches geschah lange vor dem Kriege in Paris, aber auch in Venedig, in Flo- renz, in Genua." ' Die diesjährige Weihnachtsgade der Goethe- Geselljchast kann nicht vor dem Feste, wie in früheren Jahren, sondern erst nach Neujahr erscheinen. Der Direktor der Großhcrzoglichen Museen Weimars, Dr Anton Mayer, der seit Ausbruch des Krieges als Rittmeister im Felde steht, hatte es übernommen, einige geeignete Bilder des Goethe-National Museums zu veröffentlichen und den begleitenden Tert dazu ,zu liefern; diese Aufgabe hat" nun an Mayers Stelle der Direktor des Goethe-Hauses und des Goeth,-Schiller-Archivs. Prof. Dr W. v. Oet tingen, übernommen. " Vertagung des Wettbewerbs für das Berliner Kolonialkriegerdenkmal. Der Krieg hat auch die Angelegenheit des Kolonialkriegerdenkmals, da» in Berlin an die im fernen Deutsch.Südwestasrika gegen die Aufständüchen gefallenen Tapferen erinnern soll, zum Stillstand gebracht. Der engere Wett bewerb, der im --ommer ausgeschrieben war, ist ver tagt worden. Eingeladen hatte man nach der viel kritisierten Entscheidung des Preisgerichts die Pro fessoren August Gaul in Berlin sowie Fritz Äehn und Hermann Hahn in München. Wann und in welcher Form der Gedanke wieder aufleben wird, steht heute noch dahin * Johann Wilhelm Hittors, der bekannte Pro- fessor der Chemie an der Universität Münster, ist ge. storben. Er war besonders durch seine Unter- suchungen und Arbeiten auf dem Gebiete der Elektro chemie heroorgetreten. Er untersuchte den Durchgang der Elektrizität durch sehr stark verdünnte Gasr um fand dabei viele jener merkwürdigen Erscheinungen, die später durch Crooles unter der Bezeichnung „Strahlende Materie" bekannt und effektvoll gemachi wurden. Professor Hittorf war es auch, der erkannN. daß elektrische Leitfähigkeit in engem Zusammenhang mit der chemischen Wirksamkeit steht. Seine wissen- schaftlick, hochbedeutsamcn Untersuchungen über die Elektrolyse erschienen in Ostwalds Klassikern. 189b beschrieb er das elektromotorische Verhalten br» Chroms und fand ein: neue Erklärung für die Passi vität der Metalle. — Professor Hittorf wurde an- 27. März 182 l in Bonn geboren. 1852 erhielt er die Professur für Chemie und Physik an der Universität Münster, der er bis zu seinem Tode treu geblieben ist. * Hochschulnachrichten. Der Senatspräsident beim Oderlundesgerichi in Hamm Professor Wilhelm Moderj-'hn, früher langjähriger Dozent für deutsches Bürgerliches Recht, preußiiches Privatrecht. Konknrsrecht und freiwilliae Gerichtsbarkeit an der Universität Münster i. W„ wurde von der rechts und staatswissenschaftlichen Fakultät daselbst zum Dr jur. hon. causa ernannt. — Dem Privatdozenten für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität München Professor Dr. med. Karl Baisch ist die erbetene Enthebung von seiner Funktion bewilligt worden. — Am ch Novcinbcr starb im Lazarett rn Douai (Nordfrankreichj infolge einer Typhusinfektion der Assistent am Institut für Meeresforschung in Kiel Dr. Karl Müller, Feldnnterarzt d. R„ im Alter non 26 Jahren. Vie aeulsche vrk. I0f Ein Roman aus unseren großen Tagen von Paul Burg. M. Als die alte Exzellenz in ihre Stube trat, überfiel fie ein Schauer, und sie verharrte einen Augenblick atemlos. Lina wollte sie nicht rufen, die Herzen im Kronleuchter anzuzünden; fie sah es nicht gern, daß außer ihren Kindern und Rein- lmrdt jemand ihr Zimmer betrat. Reinhardt war ja auch nicht mehr da! — Und Lina- — Die Frau dachte an die schamvosse Stunde dieses Mädchens am Mittag. Wie menschlich nnd natürlich doch der Mensch zu denken anfängi, wenn eine große allgemeine Mart und (Gefahr alle zusammenschweißt, die törichten Schranken einer mißverstandenen Sitt lichkeit nicdcrrcißt nnd vor allen Wesen das große Gebot aufrichtet: Allein das Mitleid gilt und echte Menschlichkeit! Die alte Exzellenz wandte sich der Tür zu, Lina zu rufen nnd ihr ein gutes Wort zu lagen. Aber sic bedachte es bei sich wieder, erstieg mit ihrer Nachtkerze einen Stuhl und erhellte sich selber ihre Stube. Die vier weichen Flammen des Kronleuch ters gossen einen warmen Schein in die Still«, umschmeichelten die Bilder an den Wänden mit rosigen Strahlen. Die hundertjährigen Waffen iin Winkel blitzten auf und fingen an, zu sprechen. Bor dem alten Schreibsekretär, dessen Plätt« chen nnd Deckel mit den goldgemalten Ketten und koketten Rosenranken in träumerischer Weiche aufschimmerten, saß die alte Frau mit dem lveißen Haar, las in den vergilbten Blät tern. Und von den Zeilen schlank und schmal, die vor hundert Jahren eine junge Männcrhand voll Glücksvertrauen hingeworfen hatte, stand das starre Fetzt mit seinem ehernen Antlitz auf, grüßte sie das Gesicht des Enkel-, wie er in hoffen und Aengsten zum letzten Male den Leinen Auge in Auge am Kasernentor gestanden hatte. Die alte Exzellenz lauschte in die Stille der Stube, horchte auf ihr eigenes Herz, das voller Freude und Stolz gewesen war, ein lan ges, langes Leben hindurch. War dieser letzte Fagemann auch nicht knie die andern ein Drauf und Dran, vielleicht lag sein Ruhm in den Büchern beschlossen. Gewiß hatte sie seinem stillen Sinnen unrecht getan. Sie wollte cs ihm abbitten, denn er war ein guter Mensch und noch so herzlich jung. Würde er denn nnederkommen- — Eine Welt von Feinden stand gegen Deutschland. Und dies Ahnen und Aengsten in der eignen Brust! Sie las noch einmal die alte Prophezeiung der Zigeunerin an die jungen Faaemanns vor neunundneunzig Jahren: Euer Geschlecht ist feind und wird im vierten Glied« aus einem Fußbreit Erde fast verströmen ... Das vierte Glied! Erhardt Wahnsinn wäre es, zn glauben, daß er gegen sich selber, ein Mann in allem Glück, mrt Weib und Gut ! Was sollte aber der Fußbreit Erde heißen, wo doch ein Mensch zu seinem Grabe zehnmal soviel braucht! — Es mußte wohl ein Schriftgclchrter der dunkeln Wahrsagekunst kommen, ihr diese Rätset ans- zudeuten. Sie schlug die Blätter um und lehnte sich nachsinnend in ihren Sessel zurück. Kein klarer Gedanke wollte ihr kommen; die Stunde des Abschieds, die drängenden Ereignisse, die Angst, ein dunkles Ahnen wischten jedes Dcnlenwollen weg. Nur der Zigeunerspruch, den Elena ihr an jenem Abend zngernfen batte, hallte wieder laut in ihr! Erschauernd blickte die alle Fran rm Sessel auf. Weich leuchtete das Bild ihres Mannes im Kerzenschein herüber. Hans Martin! Wenn du helfen könntest! Bist selber den Tod in Frankreich gestorben, einen schnellen Tod durch die Kugeln im Rücken Hinterrücks? Wie war das doch? Franz, sein treuer Bursche, ritt mll ihm durch ein verschneites Dorf. Aus einem Hofe fiel ein Schuß. Und Hans Martin — — — Hans Martin sank vornüber im Sattel zu> sammcn. Wie der treue Knappe aus eigne Faust Strafgericht für seinen gememvelten Herrn ge halten hatte, wie er das Wunder erlebte, das Wunder — — — ? Franz hatte es ihr mit seinen ungelenken Buchstaben geschrieben in einem dogenlangen Briefe. Damals las sie ans den hochgcrcckren, drei ten Zeilen des braven Burschen nur das eine: wie ihr HanS Martin den jähen Tod im frem den winterlichen Lande fand. Das andere war ihr wie ein gräßlicher Spott der Vorsehung erschienen. Nnd Franz hatte es doch ein Wunder genannt . . . Erst in späteren, stillen Fahren lernte sie begreifen, ahnen. Heute, als der Enkel hinaus zog, erschien ihr jenes Wunder wie ein Fluch. Hinterrücks? Auch Hans Martin hatte das Weiße im Auge seines Mörders nicht gesehen. Die alte Exzellenz starrte ans das Bild ihres Mannes, sah im Geiste den Enkel mit bleicher Stirn und totem Blick auf den Schnoe gebettet. Neben ihm kniete Reinhardt ivic bei Orleans Franz bei seinem Herrn. Die Worte seines Briefes klangen in ihr wieder. Sic entfaltete das heilig gehütete, oft beweinte Papier, falsch nnd flüchtig beschrieben vor Tränen nnd Flüchen, Zeile für Zelle las sie mit dem Herzen wieder: Da lag der libe Her und wahr so bleich und kald. Fm Leben mir ein guhter Her, so roht die Backen und die Augen soh blauh und froh. O libe gnädige Frau Excelenz! Ich habe ihm mein Tuch »nther den Hesinrant gelegt, daß es ihn nicht drückt, und da habe ich daran gedacht, wie Sie zuhause immer zu ihm sachten, wenn Sic ihn die Haare streichelthen und den grisen Schnurbart: Du Flackskopf! Da habe ich weinen müssen über den libcn Hern und Sie. Aber dan habe ich den Kerl, den Hund an sein Tohrmeg gehenkt. Er har keinen Mucks gesagt. Und wie ich rhn mihr ankuckte, rch weiß nicht, mihr haben roohl da in der Stunde alle Leuthe so ausgefehen, weil ich Thränen in den Augen hate. Libe gnädige Frau, er hatte ganz genauh so Haare und Augen und rothe Backen wie unser gnädiger Her und die andern .Herren Bätcr ans den Bildern zuhauS auch haben Das war ein gröbstes Wunder für mich. . . Kam noch ein Mensch, so cm junger wie ich, raus, inie ich den Karabiner anlegte. Den hätte ich auch mit aufgehenkt, aber seine junge Frau, die sich bald über ein Kind hätte freuen müssen, hat mich so gebeten. Ans die Knice ist sie rumge rutscht vor mihr und har sich die Brust auf- gemacht. Stich zu, stich zu! Da habe ich an meine Elthse zuhaus gedacht und habe mich narb dein Herrn nmgegnckn Soll ich den jungen auch totmachen? — Wie der Herr kein Zeichen geben hat, habe ich den jungen Mensch laufen lassen Da hat mich die junge Frau geküßt, ich wollte es gar nicht. Wenn sie man ihr Kind auht kriegt. — Nachher kam die Escadron. Da haben sie den Herrn begraben »vollen. Aber ich habe ge sagt, wartet, was der dnrchlanchtigte Fürst sagt. . . . Da haben wir die Leich« weggetragen. Es wurde schon dunkel. Still, still war es um die alle Frau Die Kerzen schwelten und schickten ein Duften ins Zimmer, wie eS im Grabgewölbe der Jagemanns webte. Bei lohenden Fackeln am Feste der Toten. Die Tür tat sich leise auf. Eine helle Ge ' statt verharrte ans der Schwelle. „Oma!" „Oma? Was ist? — Schläfst du —'?" „Nein, liebes Kind, ich schlafe nicht. Komm nur herein!" Die junge Frau iin weißen Nachtkleid irai ins Zimmer und schloß die Tür. Sie hielt die Klinke ängstlich mit beiden Händen fest unk fall die alte Fran aus erschreckten Augen an. „Ich kann nicht schlafen, Oma Der Platz neben mir ist leer. Erhardt fährt in ein fremdes Land, in den Krieg, und ich soll in meinen weichen Betten liegen? (Fortsetzung in d«r Ab«rdau«gab^V