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Kunst, Wissenschaft und Unterhaltung Deutschfeindliche Gelehrte und Schriftsteller.*) Bon Rudolf Eucken. Merkwürdigerweise finden sich heute besonders feindliche, ja gehässige Aeusserungen gegen uns Deutsche gerade bei hochangesehenen Gelehrten und mehr noch Schriftstellern unserer Nachbarvölker. Merkwürdigerweise sagen wir. Denn wir Deut che find bis in die Gegenwart hinein allem, was das Ausland an hervorragenden Erscheinungen brachte, mit großer Freundlichkeit, ja Herzlichkeit entgegen gekommen, wir haben uns in sie einzulcben und sie tn ihrer Bedeutung voll zu würdigen gesucht, wir waren geneigt, ihnen Lob und Verehrung zu spenden, wir gerieten wohl gar in Gefahr, Leistungen unseres eigenen Volkes hin'er fremden zuriickzustellen. Und welchen Dank ernten wir uns dafür? Männer, welche «ls geistige Spitzen ihres Volles gelten, Männer wie Maeterlinck, Gabriele d Annunzio, Shaw und Wells, sie wetteifern in Schmähungen gegen Deutschland; ja, wenn die Zeitungen recht berichten, hat sich selbst ein Denker, wie Bergson diesem Chore ange chlossen und Schimpfworts gegen Deutschland gerichtet, die ihn von aller Besonnenheit und Gerechtigkeitsliebe eines Philosophen verlassen zeigen. Alle diese Angriffe schildern uns als barbarische Gegner der Kultur und zugleich als von morali'cher Denkart abgefallen. Es wäre ein Unrecht gegen unser edles Volk, es dagegen mit einem einzigen Wort zu verteidigen; das eine nur möchten wir sagen: höchst merkwürdige Begriffe von Kultur müssen solche Menschen haben, welche Waffenbrüderschaft mit den Kosaken schliessen und ihre Hoffnungen auf den Sieg der russischen Waffen setzen; auch die Moral muss höchst wunderlich beschaffen sein, wo serbische Mordes hilfe, russische Eroberungsgier, englische Unwahr haftigkeit und endlich japani'cve Schurkerei sich mit einander verbünden. Auf solche Kultur und solche Moral wollen wir Deutschen gern verzichten. Aber es genügt nicht, solche Verkehrung der Be griffe abzuweisen' wir müssen auch zu begreifen suchen, wie es möglich war, dass führende Geister sich so un verständig und so schamlos Uber deutsche Art zu äußern wagten. — Die nächste Sck.uld daran trägt ohne Zwei fel die Verhetzung durch die Presse, die uns Deut schen nicht genug Schandtaten andichten und unsere Lage nicht kläglich genug malen konnte. So ist eine Giftatmosphäre des Hasses gebildet, der sich der ein zelne schwer entziehen kann. Die Spitzen freilich, die intellektuellen Spitzen hätten sich eine Unabhängig keit davon und ein gerechtes Urteil wahren sollen; ihr Versagen an dieser Stelle zeigt deutlich, dass sie im vollen Sinne kerne führenden Geister, sondern nur Stücke der Herde sind. Aber eine Lehre müssen wir Deutschen immerhin aus diesem Verhalten der ausländischen Presse gegen uns ziehen: wir müssen in Zukunft uns mehr darum bemühen, dass unbe fangene Berichte über uns, unser Tun und Ergehen im Ausland verbreitet werden, wenn uns die ver zerrte Spicolung nicht ernstlichen Schaden bringen soll» Aber die Entstellungen und Verleumdungen der Zeitungen hätten nie so viel Macht gewinnen können, wäre ihnen nicht eine bereite Stimmung, wäre ihnen nicht ein starkes Missverständnis des deutschen Wesens entgegengekommen. Wir können uns darüber nicht täuschen, dass trotz aller internationalen Kongresse und trotz aller Bemühungen um gegenseitige Ver ständigung im Ausland nur ein kleiner Kreis einen tieferen Einblick in das deutsche Wesen und zugleich eine aufrichtige Sympathie dafür gewonnen hat. Meist werden wir nach Aeusserlichkeiten beurteilt und nach fremden Massstäben gemessen. Unsere Wissen schaft musste man anerkennen und neuerdings auch unsere Technik, aber unsere innere Art blieb den Fremden gewöhnlich verschlossen; so verkehrten die Hauptziige unseres Wesens sich jenen zur Karikatur. Unser Dringen auf Innerlichkeit düngte ihnen ein Verfallen in Formlosigkeit oder in weichlich« Senti mentalität, unsere Hingebung an die Sache und unser Arbeiten um der Arbeit willen erschien ihnen als eine Selbstentfremdung und eine kaum verständliche Tor heit, unser Dringen auf Disziplin und unsere Hoch haltung der Pflichtidee erschien ihnen als ein Mangel *s Aus dem ersten Kriegsheft der „Internatio nalen Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Tech nik". Verlag B. E. Teubner, Leipzig-Berlin. an Freiheit und Selbständigkeit der Gesinnung, er schien ihnen wohl gar als «in gedrücktes Sklaventum. Namentlich liebte man es, uns als politisch rückständig hinzustellen, für die Vorzüge unserer Staatsversassung und für das gute Recht, sie fcstzuhalten, fehlte alles und jedes Verständnis. Solche Verkennung dessen, was unsere Eigentüm lichkeit und unsere Grösse bildet, hat es allein möglich gemacht, dass die Verdrehungen und Verleumdungen der uns feindlichen Presse eine so bereitwillige Aus nahme fanden, nur so konnte jenes Lügengewebe ent stehen, das selbst leitende Geister festbiclt. Unsere deutsche Kultur hat bei ihrer einzigartigen Tiefe etwas Sprödes und Herbes, sie drängt sich nickt auf, sie fällt nicht leicht zu, sie will ernstlich ge'ucht und von innen her liebevoll miterlebt sein. Und die^e Liebe fehlte unseren Nachbarn; so brachte man sie leicht dahin, uns mit den Augen des Hasses m sehen. Nun ist der Krieg gekommen, und mit ihm wirs sich manches ändern. Sein Verlaus wird die anderen aufrütteln aus ihrer eitlen Selbstüberhebung mit seinem Erweis, welche Kraft in uns steckt und wie an unserer Einigkeit aller Ansturm der Feind« zerschellt wird er sie zwingen, anders von uns zu denken, und wird er die heutigen Schmäher deutsche" Art als hohle Schwätzer erscheinen lassen. Mir selbst ober wollen uns durch allen Hass und Neid nicht das St-eben nach einer Wcltkultur schmälern lassen,wir wollen eifrig und freudig Weiterarbeiten an der Hebunz des gan zen Menschengeschlechts. Aber wir wollen in die erstrebte Weltkultur unsere eigene Art kräftiger e n- fliesscn lassen, wir wollen keine Abschwächung d'cser Art den Fremden zuliebe dulden. Und wir wollen künftig, was vom Ausland als Grösse an uns ge bracht wird, reckt gründlich daraufhin p üsen. oh es in Wahrheit eine Grösse in unserem Sinne ist, ob es unserem Innersten entspricht. Wir wollen in Zu kunft uns nicht fremde Götzen aufdrängen lassen, son dern wir wollen unseren eigenen Göttern dienen. Kunst un- Wissenschaft. * Amtliche Nachrichten von der Universität Leipzig. Auf Beschluss der Philosophischen Faiulrät vom 25. Augull und 29. September werden die noch im Gange befindlichen Promotionen von An gehörigen der im Kriegszustand mit dem Deutschen Reiche befindlichen Staaten — z. Zt. also Belgiens, des Britischen Reiches, Frank reichs, Japans, Montenegros, Russlands und Ser biens - für ungültig erklärt und dis auf weiteres keine Meldungen derart entgegengenommen. Die Bewilligung einzelner Ausnahmen, die namentlich für Balten in Frage kommen, vehält sich die Fakul tät vor. Ein Protest. Unser Berliner Schauspielreserent schreibt: Die Beschäftigungen des Friedens finden jetzt nur mühsam das Ohr der Oef.entlichkeit. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, die Leser ausserhalb Berlins mit d«r nichtigen Neuheit des Deutschen Künstlertheaters zu behelligen, wenn nicht di: Pflicht bestünde, vor einer sich verallgemeinernden Erscheinung an einem besonders krassen Beispiel zu warnen: und zwar gerade deshalb zu warnen, weil die Seuche der spekulativen Geschmacklosigkeit, die als patriotisches Gelegcnheitsstück schon die meisten Ber liner Bühnen angestcckt hat, nicht auch noch in andere deutsche Städte dringen soll! Das Deutsche Künstler theater eröffnete seine neue Spielzeit mit einem Volksstück „Gewonnene Herzen", das Anno 1870 der begabte Hugo Müller verfasst und jetzt die Herren Walter Turszinsky und Fritz F r i e d- mann-Frederick, „neubearbeitet" haben. Von dem verhöhnten Geist: Otto Brahms, dessen Erbe das Künstlertheater vor einem Jahre übernommen haben wollte, soll weiter nicht mehr sentimental ge sprochen werden. Cher schon bedarf ein anderer wehrloser Toter der Verteidigung: der aus mancher lei Theaterstücken und Schnurren einst wohlbekannte Hugo Müller, dem man sein preussisch-bayrisches Ver- brüdcrungsstück so hässlich ins „Aktuelle" übersetzt hat, dass von den Spuren eines ehrlichen Kopses nichts übrig geblieben war, als der Schatten einer einzigen Szene im zweiten Akte. Weit schlimmer scheinen mir die Beleidigungen, die einem auf geistige Reinlichkeit haltenden Publikum und vor allem dem vaterländischen und dem menschlichen Gefühl zugefügt wurden. Die beiden Neubear beiter scheinen unempfänglich zu sein für die Ahnung, dass die grossen und blutigen Kämpfe die unsere Herzen in Bewunderung, Mitleid und Bangigkeit er schauern lassen, denn doch zu gut sein müssen für eine Ausbeutung zu niedrigsten Possenreisserzwecken. Den deutschen Humor in Ehren! Er soll uns auch in dunklen Stunden sein Licht leuchten lassen; die deutsche Seele wird seiner nie entraten. Doch was um des Himmels Willen hätten Humor, Seele und Deutschtum mit dem Kehricht erbärmlicher Kalauer und Börsenwitze zu schaffen, der hier zu einem — patriotischen Dolksstück zuiammengesegt woroen ist?! Wer nicht ganz verroht ist, muss diese Praxis der Kriegsdramatik als namenlose Roheit empfinden! Die privaten Acusscrungen der gebildeten Zuschauer bewegten sich auch ziemlich in einer Richtung Dass trotzdem der mässige Beifall nach den Aktschlüssen keinen Widerspruch fand, ist den billigen patriotischen Knalleffekten zuzuschreiben, deren Tendenz heute alle bindet. Stürmischen Beifall ernteten nur die Ein lagen von Couplets und Lautenliedern, von Gisela Schneider-Nissen und Otto Gebühr meisterlich vorgetragen. Hermann Kienri. * „Krieg", ein Tedeum von Carl Hauptmann, das neuepe Bühneuwerk des Dichters, wiro, wie uns mitgeteilt wird, entgegen der Absicht des Dichters und Verlages nicht von Pro fessor Max Reinhard t in Berlin zur Aus führung gebrachl werden, sondern zuerst m New Port herauskommen Die Uraufführung dürste schon im Laufe des Oktobers nanfinden. Es ist freilich, so möchten wir bemerken, »ehr merk würdig, dass eine deutsche Dichtung in solcher Zeit ihre Uraufführung in New Port erlebt! Sind Dichter und < erlag wirilich jo macht! s?! * Die Internationale Mujilgejellschast gegen die Deutschen. D.e Leitung üer Internationalen Mufik- geseltjchajt, der die namhaften Männer des Faches angehören, droht mit Rücksicht auf den Krieg ihr« deutschen Mitglieder auszusch liessen. Gehe.mrat Hermann Kretzschmar, der Vorgtzende de: d«ut cl>e,i Abteilung des über die ganze Welt ver breiteten Vereins, der leinen letzten Kongress in Paris abh.eit, scwie die Schr.ftleiler der Zett ch.ist und der Sammelbänoe der Geieüjchast haben, wie gemel det war, aus diesem Grunde ihre Aemter nieder gelegt. Unter dem Namen einer Deutschen Gesellschaft für Musikgeschichte werden die Ortsgruppen sich zusaminenja-lcessen. Die Drohung der internationalen Leitung gegen d.e deutschen Mit glieder ist um so verwerflicher, als die Gesellschaft von Deutschland aus begründet uns organisiert worden ist, und das Organ des Vereins denn auch bis zur Stunde in Leipzig verlegt wurde. * Kunstchronik. Professor Ernst Hancke, der Berliner Ee,ch.chts- und Genremaler, ist am 1. Ok tober im Alter von 80 Jahren gestorben. Hancke ge hörte lange Jahre der Berliner Akademie und der Kunstschule als Lehrer an. — Professor Paul Meyerheim, der 32 Jahre als Lehrer an der Berliner Königlichen Hochschule für die bildenden Künste und als Leiter der jogenannten T.erklasse mit reichem Erfolge für seine Schüler wirkte, hat am 1. Oktober sein Lehramt niedcrgelegt. Der Künstler «rfreut sich vor allem durch seine vorzüglichen Tierbilder eines wohlverdienten Ruhmes. In vielen Galerien und privaten Sammlungen hängen seine Gemälde. Seine Illustrationen zu Reinecke Fuchs, Grimms Märchen, jowie die Litograpbien aus dem Berliner Zoologischen Garten haben ihn populär ge macht. Gross ist die Zahl der Ehrungen, di« Pro fessor Meyerheim in seiner langen Künstlerlaufbahn — er wurde 1812 in Berlin geboren — erhalten lxct. Beim Abschied von der Anstalt wurde er durch Ver leihung des Noten Adlerordcns zweiter Klasse mit Eichenlaub ausgezeichnet. * Wiederkehr des Enckeschen Kometen. Der perio- diiche Komet Encke mir einer Umlausszeit um die Sonne von nur 33 Jahren, dessen Wiederkehr Ende dieses Jahres erwartet murde. ist bereits am 29. September auf der Sternwarte Bergedorf bei Hamburg durch photograp stche Himmelsauf nahmen im grossen Spiegeltele kop gefunden worden. Noch weit von der Sonne befindlich, stellt der Enckejche Komet gegenwärtig ein sehr lichüchwaches Hunmels- obfekt von der 14. Grössenklasse in Form eines runden, nach der Mitte etwas verdichteten Nebels dar Es ist bemerkenswert, dass die jetzt beobachtete Stellung des Kometen am Himmel nur wenig von dem früher aus seiner Bahnbewegung vorausberechneten Orte abweicht. * Ferienkurse für Deutsche in Lüttich usw. Uns gehen die ivlgenden lustigen Mitteilungen über Lütticher Ferienhochschulkurse zu: Seit einigen Jahren bestehen für unjece deutschen Studenten, die sich in der französischen und englischen Sprache vervoll kommnen und des Auslands Art und Sitte aus eigner Anschauung kennen lernen wollen, Ferien kurse, zu denen französische, belgische und englische Universitäten einladen. So hat schon im Frühjahr die Universität Lüttich unter dem Titel tlours cks irav^rvs «test nd - ur ^liv» mancks zu einem praktischen Ferienkurs eingeladen, dessen Beginn, mit höflicher Rücksichtnahme ans den bei uns üblichen Schluss des Lommersemeslers, auf den 8. August d. I. angesetzt war. Dieser Kurs l»l pünktlich begonnen werden können, freilich mehr als ein 6oui» allem inck ckestin-^ !I u r b'ronyais. Hoffen wir, dass bald auch den ähnlichen Einladungen der Hochschulen von Nancy. Mont pellier und Grenoble sowie von Oxford, Edinburg und London in gleicher Weise ent sprochen werden kann Dass die Kurie an diesen anderen Universitäten nicht pünktlich eröffnet werden, teilweise wohl erst in den Anfang des Winter semesters fallen können, wird unsere ins Feld ge zogenen Studenten kaum abhalten, sich rege und ein- dringlich an ihnen zu beteiligen, da die Hdrbstrerien für sie ja jetzt jo wie jo eine Verlängerung erfahren müssen. i r. ü. * Die Nacht am Rhein. Der Alte steht draussen auf Brückenwacht. . . Es zittern die Lüft:, di« Sonne lacht . . . Da . . . horch! Die eisernen Schienen klangen, Schon wieder ein Zug von den riescnlangen . . . Und Deutschlands jauchzend« Jugend drinnen! Das rattert und saust, das knattert und braust . . . Hell schmettert in den Sonnenschein Die Wacht am Rhein . . . Dem Alten wollen die Tränen rinnen. Er spricht so trüb zu sich allein: ,.O Gram und Harm. Du lahmer Arm. Kannst das Sckwert nicht mehr schwingen, Die Büchse nicht tragen . . ." Er lauscht gespannt: „Wie stolz sie doch singen! O du jauchzender Hornrus aus Iugendtagen, Mir musst du verklingen Wie Rausch und Traum . . . Im Wind verschwingcn Wie dort ... ihr Singen . . . Noch hör' icks kaum! Verbeiss den Schmerz. Sei Erz. mein Herz!" * z- * Der Alte hält draussen noch Brückenwacht, Der Sohn hat sich flink auf den Bahnsteig gemacht. Von sechzehn Jahren ein junges Blut. Das Herz voll Mut und Trutz unterm Hut! Er horcht ... die eisernen schienen sangen, Schon wieder ein Zug von den riesenlangen . . . Und Deutschlands jauchzende Jugend drinnen! Das rattert und saust . . Das faucht und braust . . Ein Blitzen und Blinken . . Ein Grüssen und Winken Und nun schmettert darein Aus tausend Kehlen die Wacht am Rhein . . . Dem Jungen vor Freude die Tränen rinnen, Und ohne Besinnen, Bockenden Herzens, vornübergebogen, Eh' Wagen auf Wagen vorübergeslogcn. Iss das brausende Lied, in das Winken und Wogen Jauchzt er hinein: „Ich seh Euch fahren, den Sturm in den Haaren. Ich hör Euch singen . . . Die Klänge springen Ins Herz mir hinein ... O du Wacht am Rhein? Hilf. Herrgott, ich fahr' mit nach Welschland hinein. Wies mich zwingt, mich zu recken . . . Ich kanns nicht verstecken . . . Ich schmachte, mich dürstets nach Waffen und Wehr, Nach Ruhm und Ehr . . . Die Büchse her!" * * * Dom Himmel fiel Feuer in diesen Tagen. Das ist wie ein Blitz in die Herzen geschlagen. Das ist ein Lodern, ein Brand und kein Ende . . , Du Herrgott, halt drüber die segnenden Hände! * * * Der Alte steht draussen auf Brllckenwacht, Der Junge hat längst sich nach Wel'chland gemacht, Des Vaters Segen ob all' seinen Wegen . . . Der Alte murmelt in seinen Bart So was von echter, deutscher Art . . . Dann pfeift er leis in den Herbst hinein: „Mein altes Herz, kannst ruhig sein. Fest steht und treu die Wacht am Rhein!" Paul Erotowsky. vir dunaert esgr. 17j Roman aus dem Jahre 1815 von M. von Witten. Wellington erhob sich. Einmal nach dem ändern. Seine hohe, hagere Gestalt mit den eisernen, undurchdringlichen Gesichtszügen stand jedesmal kerzengerade, unbeweglich vor seinem Stuhl an der reichgedeckten Tafel. Er brachte rasch nacheinander verschiedene Trinlsprüchc aus kurz, knapp und klar: „Ttw Lina!" Dann: ..ste« biliös!" und andere. Schliesslich: „Konsiour Io waröcbLl Llückcr!" Ein unbeschreiblicher Jubel hallte als Ant wort der Anwesenden durch den Saal. Das „Hip! Hip! Hurra!", das Trommeln mit den Gläsern auf den Tischen wollte kein Ende nehmen. Endlich, als der Sturm sich ein wenig gelegt, erhob sich der greise Held. Seine Hünengestalt — eine vaterländische, himmelanstrebendc Eiche. Auf dem beweglichen, von weissem, dichtem Haar umrahmten Gesicht schon Spuren des Alters, aber verklärt durch den Ausdruck herzerquicken der Freundlichkeit, jugendlicher Kühnheit, un- wandelbarer Treue. Und aus den Augen lodert jene Begeisterung, die ihre Kraft aus dem Him mel holt und sich das Höchste zum Ziele setzt. „^lvssleurs — mvsslours — jo vouckrais vous ckiro — vous äiro — — ach!" Blücher setzte den Champagi»crkclch, den seine Hand umklammert gehalten, mit einem Krach auf die Tischplatte, ^ast wäre das Glas zerbrochen. „Meine .Herren! Mit Frankreichs Sprache stche ich wie mit seinem Kaiser auf dem Kriegsfüsse. Was ich auf dem Herzen habe, das muß in meiner lieben deutschen Sprache herunter. Und mein Herz ist voll! Uebcrvoll! Einmal von Zorn und Groll und Grimm gegen den Korsen, diesen Paris lag im prächtigsten Junisonnenschein. Eine ungeheure, freudig erregte Menschenmenge wogte durch die Strassen. So weit das Auge reichte — Kopf an Kopf. Don den Tuilerien bis Höllensohn, der mein Vaterland, der halb Europa sieben bittere Jahre lang hindurch in Ketten geschlagen, der in einer ans Abenteuer liche grenzenden Tollkühnheit es wagt, den ver bündeten Mächten noch einmal die Stirn zn bieten und die Greuel des Krieges von neuem iiber Europa heraufzubeschwören! Mit Blut und Tränen ist sein Name in den Blättern des grossen Schicksalsbuchcs eingeschrieben. Aber Golt da droben ist gerecht! All die Tränen, all das Blut, das seinetwegen vergossen, es wird an ihm gerächt werden! Ich bin dessen gewiss! Die Macht, die «er sich angemasst, ist trügerischer Schein! Wie ein hohler Baum muß sie zu- sammenbrcchen. Wohl hängt das Heer, das er einst zu Ruhm und Glanz geführt, noch in alter Hingebung und Vergötterung an ihm. Aber in der Vcndöc tobt schon der Bruderkrieg, die gebildeten Kreise des ganzen französischen Vol- kcs stehen, kriegsmüde, ihm fremd oder gleich, gültig gegenüber — ganz Europa hat ihn in die Acht erklärt und ihm tödliche Feindschaft ge- schworen! Sein einzigster Bundesgenosse, König Murat, ist in Italien geschlagen und auf der Flucht! Seine Stunde naht. Sie soll uns ge- wappnet finden. Mcjne Herren! Mit dem Heere, das mein König die Gnade hatte, mir nochmals anzuvertrauen, das derselbe flammende Geist, der gleiche Not und Tod überwindende Wille wie 18b3 beseelt, mit diesem Heere werde ich gemein, sam mit meinem Bruder Wellington dem Korsen entgegentreten. Und deshalb ist mein Herz nicht nur voll von Groll und Grimm — es ist auch übervoll von Dankbarkeit gegen diesen meinen Mitfcldhcrrn, der mir in so treuer Kamps, bercitschaft die Hand gereicht." Die lauteste Begeisterung brach aus und wollte nicht enden. hinaus nach dem Marsselde. Tie Erwartung von etwas absonderlich Grossem, von etwas un- erhört Märchenhaftem, das der steigende Tag, das schon dce nächste Augenblick zur W r.lichke t gestalten würde, lag in der Luft. Sie zuckte in jeder Muskel, in jedem Gesichtszuge der tau send und abertausend Harrenden. Da verkündeten die Glocken von allen Tür. men der Stadt die elfte Staude. Kanoncnsalven dröhnten aus sechs Batterien von den Höhen herab. Die Tore der Tuilerien öffneten sich weit — eine Abteilung Gardetavallerie sprengte her aus — die stolzen, goldverziertcn Uniformen von tausend Sonnenlichtern umsprüht und um funkelt. Wagen auf Wagen reihte sich an, ein jeder mit sechs der edelsten, aufs prächtigste auf gezäumten Rosse bespannt, einer immer schöner als der andere, einer immer crhöhteres Stau- ncn auslösend als der andere! Und dann! Tann die von acht Falben gezogene Staatskarosse, die den Kaiser Napoleon barg! Auf beiden Seiten von vier Marschällen begleitet, von einer glän. zenden Schar von Adjutanten, Ordonnanzoffi- zieren, Pagen, Gendarmen gefolgt, rollte sie langsam durch die Straßen. Tie leicht erregten Pariser jauchzen wie Kinder, denen ein feenhaftes Schauspiel geboten. Mit dunkelglänzcndcn Augen, mit feurigen Wan gen schauten sie und harrten des Kommenden. „Vivv I'empereur! Vivs l'emporenr!" tönte cs von Mund zu Munde. Was hat der Kaiser vor? Mit Bestimmtheit wusste cs keiner zu sagen. In einem der neunzehn sechsspännigen Wa gen saß Toska von Jäger. Trotz ihres Fest. Neides von rosa Seide sah sie nicht festlich aus. Ihre Wangen waren bleich. Ihre Angen brann- ten trübe, als hätten sic heimlich nachts gc. weint. Die ganze Gestalt hatte an jugendlich, warmer Rundung eingcbüsst. Halb schmerzlich, halb gleichgültig ruhten ihre Blicke auf den Bil- dein, die hinter dem Ausschnitt des Wagen fensters an ihr vorüberglitten. Dass ihr Vater sie zu Haus gelassen hätte — zu Haus in ihrem stillen Schlösschen, wo die verblassten Nvkokomöbcl ihr von ach! so schönen vergangenen Tagen erzählten und ihrer tod wunden Seele eine Heimat vortäuschtcn! Warum hatte er sie so inständig bitten müssen, bei der soeben nach Paris zurückgekchrtcn Madame Möre die Stelle einer Palastdame zu übernehmen, die der Kaiser ihr gestern hatte anbicten lassen? War es denn Damit nicht genug gewesen, daß sie Den Gatten verlassen und zum Vater zurückgckehrt war? „Sie sehen elend aus", erklang da eine freundliche, wenn auch etwas derbe Stimme. Die Marschallin Ney, die Toska im Vordersitz des Wagens gegenübcrsass, beugte sich zu ihr und streichelte gütig ihre matt im Schoss liegenden Hände. „Ist Ihnen nicht gut? Da, nehmen Sic meinen Flakon!" „Tausend Dank! Tausend Dank!" wehrte Toska, nahm aber wohl oder übel doch das Riech, fläschchcn und führte es an die Nase. Der Ge. ruch des feinen Odeurs belebte sie. Ein zartes Rot stieg für einen Augenblick in ihre Wangen. „Diese quälenden Kopfschmerzen!" entschuldigte sie sich. „Ich hätte nicht mitsahrcn sollen!" „Aber Kind! Kind!" drohte die Marschallin freundlich, während die beiden anderen Damen, die noch mit im Wagen fassen, ihr einen grossen, verwunderten Blick zuwarfen, um sich dann so gleich wieder in ein halblaut geführtes Gespräch zu vertiefen. „Lasten Sie das den Kaiser nicht hören. Wie rnele Tausende und aber Tausende würden sich glücklich preisen, jetzt an Ihrer Stelle zu sein!" „Verzeihung!" ToSka raffte sich gewaltsam zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. „So war cs ja doch nicht gemeint!" lFortsetzung in der Abendausgabe.)