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öÜHmueraö Peker Hagen: <mr«esr»-»cc^7LLc«u7r ovELn vkül.^o ork/ur /ak^ieE. v^kno^u / 51. ^es braunen 8o^o.1en. ed.erv.es DenEmm 1. Zortsetzung er hatte : nun, aus nnd Jetzt spielte der Vater eines Abends wieder. Neoer» lascht richtete sich Tonne im Bett aus und horchte . . . Ja, war denn das nicht das verbotene Stück? War daS Nicht der „Sozialistcnmarsch"? Schnell stieg er in seine kurze Hose und schlich an die Tür zur guten Stube. Da satz der Bater aus dem Sofa unter dem Bild mit dem Mohren von Venedig; er' die Zither vor sich aus den Tisch gelegt und spielte i wahrhaftig, das verbotene Stück! Tonne kam langsam ins Zimmer und setzte sich Einen Stuhl. Er legte seine Arme aus den Tisch stützte das Kinn darauf. So sah er dem Vater zu. „Na, Junge, ausgeschlafen?" fragte der Bater nnd lachte wieder. Tonne jedoch lieh kein Auge von dem Notenblatt, daS der Bater jetzt unter den Saiten her» vorzog und zu den anderen legte. „Darf ich das setzt auch wieder spielen?" fragte Tonne Und legte den Finger auf das begehrte Stück. ^Ja," sagte der Vater ernst, „jetzt darfst du ihn spielen. Die Zeiten sind anders geworden." Tonne begriff, dah dieses Lied irgendwie mit „Wil lem" zusammenyängen müsse, der gegangen war. ES war also in einer Beziehung doch besser geworden. Man konnte nun wenigstens die Lieder spielen, die man gern spielen wollte, weil sie nämlich so schön schwer waren. Nur deshalb. Was war sonst alles noch los in jener Zett? — Große Menschenmengen zogen durch die Straßen. Man hatte Eine Revolution gemacht. Der Kaiser war geflohen, die Könige hatte man alle abgesetzt. Und die Amerikaner schickten mit ihren großen Dampfern Schmalz nach Deutschland, das man „Affenfett" nannte. In der Schule gab es Quäkerspelsungen. Quäker waren auch Leute aus Amerika, die den ausgehungerten deutschen Kindern was zu essen gaben. Tonne sollte nichts bekommen. Er sei kräftig genug, wurde gesagt. Aber die Jungen von der Frau Schneider, die beim Magistrat angestellt war, die wurden zur Speisung zugelassen. Obwohl sie dicker und kräftiger waren als Tonne. „Es ist alles Schiebung!" sagte der Vater. „Ueberall haben sich da die Schieber reingesetzt. Rausprügeln Müßte man die Hunde!" Dann war der Bater zum Gemeindeamt gegangen, Und später bekam Tonne auch Ouäkerspeisung. Schiebung? — Tonne sah bald mit eigenen Augen, was Schiebung hieß. Er hatte einen Klassenkameraden, dessen Mutter öfter zu Tonnes Mutter gekommen war, Um sich bet ihr auSzuweinen. Dann hatte ihr die Mut ter immer etwas gegeben — eine Flasche Leinöl oder Ein paar Eier. Tonnes Großmutter wohnte nämlich auf dem Lande. Zwar ging es ihr auch nicht besonders gut; denn sie hatte nicht etwa einen Bauernhof, sondern sich nur bet einem entfernten Verwandten eingemietet. Aber von Zeit zu Zeit konnte sie doch mal ein kleines Kßpaket schicken. Und von dem wenigen hatte TonneS Mutter der Frau — sie hieß Jausen — immer noch ab. gegeben. Nun war Herr Jansen — Vater nannte ihn den „Etappenhengst" — auch aus dem Felde zurückaekehrt. Er trug einen forschen Schnurrbart, steil nach oben ge dürstet, und war Vorsteher des „Gemeindeladens" ge worden. Das war ein Geschäft, in dem von der Ge meinde aus Lebensmittel und Seife und Petroleum und Lichter verkauft wurden. Hier kommandierte Herr Jansen über mehrere Ber- käuserinnen und über einen jungen Mann, der an der Kasse faß. Er felber stolzierte nur umher. Manchmal kniff er die Frauen, die etnkaufen kamen, in den Arm oder er klapste sie auf den Hintern. Wenn sie dann schimpften, lachte er und zwirbelte seinen Schnurrbart. Beim nächsten Mal aber behandelte er sie wie Luft, oder er schnauzte sie an. Später bekam dieser Herr Jansen auch noch die Lei- tung des „Gemeindeplatzes", auf dem von feiten des Magistrats Gerste und Futtermittel, Holz und Kohlen verkauft wurden. Hier saß Herr Jansen mit einer rot haarigen Sekretärin in einem Büro und war nun noch hochnäsiger geworden als zuvor. „So ein Gesinnungslump!" sagte Tonnes Bater. „Erst Vorsitzender vom Marineveretn mit „Heil dir im Stegerkranz" — und jetzt Sozialdemokrat. Nun sitzt er im Fett. — Schöne Revolution, bet der man solche Bur schen nicht aufgehängt hat!" Und Tonnes Mutter schimpfte auf Frau Jansen, die nun plötzlich nicht mehr grüßte. „Früher war man gut genug, wenn sie angeheult kam, jetzt markiert sie die Dußliche!" Tonne war wütend. Als er einmal in ber Klasse einen Streit mit dem kleinen Jansen hatte, da sagte er dem gingen all das, was er zu HauS gehört batte. „Und -ein Vater poussiert mit der roten Hexe, daS wissen ja alle!" ES gab eine Handseste Schlägerei, bet -er Tonne den Sohn oeS „Gesinnungslumpen" unverschämt verbläute. DaS also war Schiebung. — Aber Tonne erlebte noch andere Dinge. Da hatten sie zum Beispiel einen Lehrer. Im Felde war er nie gewesen, dafür ließ er seine Rauf lust an den Schülern aus. Besonders die Arbeiter- jungen schlug er oft so heftig, daß sie htnftelen. Und sann brachte er eS sogar fertig, sie noch mir den Füßen -u stoßen. Jetzt hatte er plötzlich sein Herz entdeckt. Bet einer sozialdemokratischen Versammlung in der Schulaula vielt .er Livs ^gyg« Bede, jprach N-n.-ex Freiheit der Schu.e und forderte die Abschaffung des Religions- Unterrichts. Er schlug nun nicht mehr und wurde bald Schulleiter. Der alte Rektor, ein Mann mit großem Vollbart, war pensioniert worden ... Das sino ,o Tonnes Erinnerungen an diese Zeit. Aber sie verblassen vor einer anderen. Die Mutter schneiderte ihm aus Vaters Militärmantel einen neuen Mantel zurecht. Großmutter schickte ein graues Kar nickelfell, das einen prächtigen Kragen abgab. „Wie ein Offizier siehste ans, Junge," sagte der Vater, und be- wunderte ihn von allen Seiten. Tonne trug den neuen Mantel mit großem Stolz. Nur die Holzschuhe wollten nicht recht dazu passen. Der Vater tat nun wieder Dienst bei ber Eisenbahn. Er war also kein Soldat mehr. In der Schule mußten sie eines Tages angeben, wo sie wohnten, und welchen Beruf der Vater hatte. Als der Jansen an die Reihe kam, sagte er stolz: „Mein Vater ist Direktor!" und sah sich triumphierend zu Tonne um. Der biß sich in die Lippen vor Wut. Zitternd wartete er, daß er an die Reihe käme. Als dann der Lehrer „Thone" ries, sah er dem feixenden Jansen fest in die Augen und sagte so laut und trotzig: „Weichensteller!", daß der Lehrer verwundert aufbliate. Bald darauf verließ Jansen die Volksschule und kam aufs Gymnasium. — Ja, der Vater machte wieder Dienst. Er trug seine Eisenbahnerunisorm und war nun selten zu Haus. 8. WaS geschah in dieser Zeit noch alles? Tonne weiß eS heute nicht mehr. Bis dann der große Streik kam. Hier ist Tonnes Erinnerung wieder ganz lebendig. Die Eisenbahner streikten. Tonnes Vater setzte sich eines Tages die weiche Schiebermütze auf, zog seinen alten Militärrock an und sagte, er ging Streikposten stehen. Tonne schlich ihm nach und sah, wie er sich mit anderen Männern vor dem. Bahnhof postierte. Nach einer Weile kam ein Bahner in Uniform, die Ledertasche m der Hand. Der Vater und die anderen Männer gingen ihm entgegen und redeten auf ihn ein. Tonne konnte sehen, daß eS ein sehr bewegtes Gespräch war. Schließlich drehte der Bahner um uns ging wieder weg. ÄlS der Bater am nächsten Tag wieder auf Streik posten zog, nahm er einen derben Spazierstock mit. Wie der Streik dann auSgtng, das weih Tonne nicht mehr. Sie wohnten damals in einer Mietskaserne im Ber- ltner Osten. Aber es war eine schöne Wohnung, fand Tonne. Vom kleinen Flur ging es links in die ge- räumige Küche, die so freundlich und sauber aussah, weil Bater die Möbel weiß gestrichen und Mutter auf dem Wandbord viel Kupfergeschirr stehen hatte. Hin und wieder ließ sich Tonne gegen eine Extraoergünstigung bereitfinden, es blank zu putzen. Dann gab's noch ein Bad mit „Zubehör", das Schlafzimmer, und schließlich die gute Stube mit dem Balkon. Hier rankten Bohnen und Kresse in grüngestrichenen Kästen, die der Vater selbst gezimmert hatte. Eine schönt Wohnung für einen Weichensteller! Und doch war er unzufrieden. Tonne hörte oft, wie der Bater mit deU Kollegen sprach. „Das ist der Sozialismus, für den wir so lange ge kämpft haben?" fügte er einmal. „Ich habe mir daS anders vorgestellt." Dann nannte er die Männer tn der Regierung Schwächlinge und Feiglinge und meinte, er wäre im Kriege schlau geworden. „DaS ist ja alles Quatsch mit dem Nie-wteder-jtrteg," sagte er mit höhnischem Lachen. „Dramen an der Front, daS waren die anständigen Kerle! Aber wer sitzt hier in den Aemtern? Und wer hat die dicksten Posten? Guckt euch doch den Jansen an, den Schmarotzer! Der hat nie eine Kugel pfeifen hören. Aushängen sollte man ES folgten Tage, an denen Tonne kaum zu Hause war. Der Vater war weg, und die Mutter weinte un aufhörlich. Da trieb sich Tonne draußen herum. Bewegte und eindrucksvolle Tage waren das. Sol daten zogen durch die Straßen, lagen in den Schulen in Quartier. Panzerautos und Tanks ratterten über das Pflaster. Weiße Totenköpse waren auf das graue Eisen gemalt, und große Pappschilder mahnten: „Ach tung! ES wir- scharf geschossen!^ „Spartaktstenausftand" meldeten die Zeitungen. Straßenkämpfe in Berlin. Die Jungen standen mit pochenden Herzen an den Ecken und lauschten tn die Ferne hinaus. Dumpf klang Kanonendonner herüber, lag wie ein ewiges Schlittern tn der Luft. „DaS muß in Lichtenberg sein!" sagten die Leute. Da plötzlich ahnte Tonne, Latz sein Vater bet den Spartakisten war. Er überredete zwei Freunde, mitzu kommen und lief mit ihnen über die Spree nach Karls- horst. Aber die drei Jungen kamen nicht wett. Bor Karls- Horst bereits war die Stratze von Soldaten gesperrt. Eie durften nicht weiter. Tonne stand mit geballten Fäusten vor dem Posten. Er Hatzte diese lächelnden Gesichter unter den Stahl- Helmen, hätte am liebsten mit den Fäusten tn sie hinein getrommelt. Drüben in Lichtenberg mutzte der Barer sein. Sicherlich lag er jetzt dort mit jetnem Gewehr hinter einer Barrikade und fchotz auf diese Noske- Soldaten. tKortsetzung folgt.). alle dteie Birnchen» Aber die schone Revolution ist ja schon zu Ende!" Dann abonnierte der Vater eine Zeitung, die hieß „Rote Fahne", und in der stand, daß die Hausfrauen den Ausbeutern und Schmarotzern ihre Markttaschen um die Schnauzen schlagen müßten. Tonne lachte er regt, als er das las. Er stellte sich vor, wie Herr Jansen von den Frauen verdroschen wurde . . . Auch in seiner dienstfreien Zeit war der Bater jetzt nur selten zu Haus. Wenn die Mutter sich dann drr Augen rot weinte, lief Tonne auf die Stratze, weil er das nicht mit ansehen konnte. Draußen vergaß er seinen Kummer jedoch bald, wenn er mit anderen Jungen Straßenschlachten gegen die „Hochklepper" schlug. Die „Hochklepper" waren die Schüler des Gym nasiums. Sie trugen zwar bunte Mützen, aber sie waren feige und liefen davon, sobald es brenzlig wurde. In einem Gartenrestaurant an der Spree feierten eines Sonntags die Laubenkolonisten ihr Sommerfest. Bet der Schießbude und beim Karussell wußte Tonne nicht viel anzufangen, weil er kein Geld hatte. Im Saal aber tanzten sie: dünnbeinige Mädchen tn kurzen Röck chen und junge Burschen mit Matrosenhosen, die unten ganz weit waren. Sie tanzten nicht so, wie eS Tonne bei seinen Eltern gesehen hatte, die sich tm Walzer dreh ten, schleiften uns umherwirbelten. Die Paare hier hielten sich eng umfaßt und schlürften einfach auf den Schuhsohlen durch den Saal. Dabei fangen sie: «Licht aus, Mester raus, NoSke schmeißt mit Handgranaten! Straße frei, Fenster zu. Runter vom Balkon!" Tonne stand an der Tür des SaaleS, bis ihn der Kassierer davonjagte. Er zeigte dem Mann einen Vogel und lief nach Hause. Er konnte es nicht mehr mit an sehen, wie die anderen Kinder Karussell fuhren, sich Bonbons und Gummischlangen kauften. Dazu trugen sie bunte Papiermützen und hatten schon Laternen tn der Hand, weil am Abend ein Fackelzug sein sollte. Als er nach Hause kam, traf er den Vater in der Küche. Er hatte gerade sein Gewehr auseinandergenommen und reinigte es mit einem Oellappen. Auf der Abwasch bank stand eine Zigarrenkiste mit Patronen. Tonne hockte sich daneben und sah dem Vater zu. Der hielt den Lauf gegen die Gaslampe, blickte mit dem rechten Auge hindurch und kniff das linke zu. Dann ordnete er die Patronenrahmen. Ein paar waren ganz schief. „Das sind russische!" sagte der Vater und legte sie wieder in die Kiste. Die anderen steckte er in zwei kleine Ledertaschen. Plötzlich sah Tonne, daß die Mutter weinte. Sie stand am Herd und hantierte mit den Töpfen. Manch mal nahm sie einen Zipfel der Schürze und fuhr sich über die Augen. Tonne suchte nach einer Erklärung. „Der Vater putzt das Gewehr, und Mutter weint?" dachte er. „Ob es schon wieder Krieg gibt?" Weil Tonne nun schon „groß" war, durfte er nicht mehr im Schlafzimmer der Eltern schlafen. Auf dem Sosa tn der guten Stube — gerade unter dem Mohren von Venedig — war ihm das Bett gemacht worden. Aber an diesem Abend konnte er nicht einschlafen. Er hörte, daß die Eltern im Bett noch lange miteinander sprachen. Was sie sagten, konnte er nicht verstehen. Nach Mitternacht wurde die Tür zur guten Stube vorsichtig geöffnet. Ein Lichtstretfen fiel auS dem Flur über Stühle und Tisch hinweg auf Tonnes Gesicht. Aber der schlief fest und hörte nicht, daß der Vater leise „Auf Wiedersehen, mein Junge!^ sagte und daß die Mutter schluchzte. Dann wurde sie Tür leise wieder geschlossen. In dieser Nacht hatte der Weichensteller Thone seinen Jungen zum letzten Male gesehen ... i