Volltext Seite (XML)
Leipzig« Tageblatt. Seite 2. Nr. 32S. Nvenü-Nusgave. gewesen. Alles, was die Gröhe de» Reiches und das Wohl de» Volkes berührt-, konnte der Teil» nähme des Erzherzogs sicher sein. So groß die Ver ehrung und die Liebe waren, die dem Erzherzog ent- aegengebracht wurden, so groß ist der Schmerz ob seines jähen Hinscheidens. Das Andenken des Verklärten wird von den Völkern Oesterreich» in den höchsten Ehren gehalten werden und mit innigster Wehmut werden sic seiner Gemahlin ge- denken, die ihm ein edles Familienglück bereitet und ihm blühende Kinder geschenkt hat und die auch im Tode mit ihm vereint geblieben ist." „In dieser düsteren Stunde", fährt der Artikel fort, „wenden sich die Herzen vor allein der erhabenen Gestalt des Kaisers zu, dem das Schicksal so viele und schwere Prüfungen auferlegte und der nunmehr den seinem Throne am nächsten stehenden, zur höchsten Aufgabe berufenen Prinzen vorzeitig ins Grab sinken sieht. Unsägliche Trauer vereinigt das Allerhöchste Erz hau» mit den Völkern. Ihr innigstes Mitgefühl gilt auch den Kindern des hohen Paares, die in einer Stunde den gütigen Vater und die liebende Mutter verloren haben. Seit Jahrhunderten war die Einheit zwischen Thron und Volk, die treue dynastische Er gebenheit der Staatsbürger und die sorgende Liebe der Herrscher das felsenfeste Fundament vieles Reiche». Enger denn je scharen sich heute die Völker um den erhabenen Thron und bewegten Herzens, doch fest und mannhaften Sinnes erneuern sie das Gelübde, immerdar mit Gut und Blut einzustehen für den Glanz der Krone und die Ehre des Reiches." Wiener Pres;stimmen. Wien, 29. Juni. Trotz der Feiertags sind die Blätter heute früh erschienen. Sie heben den be wunderungswürdigen Ernst und die bei spielgebende Pflichttreue hervor, mit der der verblichene Erzherzog sich den Aufgaben seiner hohen Stellung widmete, sowie die hohen Geistes gaben und männlichen Tugenden, durch die er sich allgemeine und aufrichtige Verehrung erworben hat, insbesondere die bleibenden Verdienst«, die sich der Erzherzog um die Ausgestaltung von Armee und Flotte erwarb. Die Acußcrungen der Blätter spiegeln die tiefe menschliche Anteil nahme der Bevölkerung an dem tragischen Schicksal des Erzherzoglickfen Ehepaares wider, dessen rührende Seelenge meinschaft ein völlig ungetrübtes Familicnglück schuf. Sie stellen fest, das; die Völker der Monarchie sich einmütig um den greifen Herrscher scharen, der neuerdings «in Beispiel von Heroismus und unbeugsamem Pflichtgefühl ge geben habe durch die Art, wie «r die Kunde von dem erschütternden Attentat cntgegennahm und sofort di« weiteren Dispositionen traf. Mehrere Blätter sprechen die Vermutung aus, das; es sich um einen wohlvorbereiteten Mordanschlag aus politischen Motiven handle. Die Nebersiihruttg der Leichen nach Wien. Serajewo, 28. Juni. Die Leichen des Erz, Herzogs Ferdinand und der Herzogin von Hohenberg, die im Konak aufgebahrt sind, wer den von einem Wiener Professor einbalsamiert. Daher wird die Ucberführung nach Wien nicht vor morgen erfolgen, lieber die Leichenfeier lichreiten in Wien sind noch keine Bestimmungen ge troffen. Es verlautet, daß die Beisetzung nicht vordem IN. Juli erfolgen werde. Wien, 29. Juni. Die Beisetzung des Erz herzogs Franz Ferdinand und seiner Gattin wird nicht in der Kapuzincrgruft erfolgen, sondern in R i e d c r ö st e r r e i ch, wo der Erzherzog für sich und seine Familie eine Gruft erbauen lies;. Die politischen Holsten. Paris, 29. Juni. In hiesigen politischen Kreisen hegt man infolge der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand Befürchtungen über die Zukunft Oesterreich-Ungarns. Man befürchtet eine Ver schlimmerung der Beziehungen zwischen Serbien und Oesterreich-Ungarn und nimmt an, das; Serbien sich enger an Rußland anschließen wird, was zur Folge haben könnte, das; infolge dieser drohenden Wendung neue Unruhen ausbrechcn. Andrerseits wird sich wohl das Verhältnis zwischen der Donaumonarchie und Italien, das wegen der Eifersucht um die Vorherrschaft in Albanien etwas kühler geworden ist, wieder herzlicher ge stalten. Die heutige Morgenpresse erörtert neben den Nachrufen, die sie dem Erzherzog spendet, welchen Einfluß sein Tod auf die Donaumonarchie und die politische Konstellation ausüben wird. Acndcrunst des Reiseprogramms des deutschen Kaiserpaares. Kiel, 28. Juni. Die Abreise des «aiserpaare» wurde auf heute früh 8,5V Uhr festgesetzt. Alle Reisepläne des Kaisers, der Besuch der Leipziger Ausstellung und auch die Rordlandreise, wurden einstweilen ausgrgebrn. Zn Berlin. Berlin, 29. Juni. Da gestern nachmittag der Verkehr in der inneren Stadt verhältnismäßig ge ring war, erfuhr die Bevölkerung die Nachricht von dem furchtbaren Unglück, von dem die habsburgische Monarchie betroffen wurde, erst allmählich. Ueberall gab sich die Teilnahme in lebhaftester W eise kund. Zn den öffentlichen Lokalen, in denen Musikdarbietungen stattfanden, wurde das Konzert aufgehoben und die Kapellen intonierten unter dem stürmische - Beifall der ergriffenen Menge „Gott erhalte Franz den Kaiser!" Die österreichisch ungarische Botschaft wurde zuerst durch das Aus wärtige Amt von dem Anschlag verständigt. Um 4 Uhr fuhr d«r Reichskanzler vor dem Botschafter- Palais vor und stattete dem Botschafter einen längeren Besuch ab. Später gaben der Hausministcr, sowie die in Berlin weilenden Vertreter der aus wärtigen Staaten ihre Karten ab. Deutsche Preftstimmen. Der „Berliner Lokal-Anzeiger" schreibt: Feiger Meuchelmord und der Abscheu, den er einflößt, rührt die tiefsten Tiefen der Volksseele auf und man sollte meinen, daß in dieser Beziehung auch die an den Balkan angrenzenden Volksstämme der habs burgischen Krone keine Ausnahme machen. Sie sehen an dem furchtbaren Exempcl, wohin übertriebene politische Agitation führen kann, und werden sich fragen müssen, ob sie nicht umzukehrcn Haden auf einem Weg, der sie un fehlbar ins Verderben reißen mutz. Möge Kaiser Franz Joseph die Regierung noch manche Jahre fortfiihrcn und möge der soeben erlittene Schicksalsschlag den Erfolg haben, den österreichi schen Staatsgcdanken von neuem zu stählen. Gemeinsames Leid kittet wie einzelne Familienglieder so auch die Stämme und Völker schaften eines großen Gemeinwesens fester zusammen." In der „Bossischen Zeitung" heitzt es: Erzherzog Franz Ferdinand widmete sich den Rechten und Pflichten seines Berufs mit einem Ernst, der Achtung einflötzte, und einer Energie, die ihm Anerkennung eintrug. Er war cs vornehmlich, der für eine Er höhung der Wehrkraft zu Wasser und z u L a n d e, für die Verbesserung der Heeresführung, für die Verjüngung des Offizierkorps eintrat. Er glaubte auch, mit der Reise zu den Manövern in Bosnien eine Berufspflicht zu erfüllen. Datz der kriegerische Erfolg der Serben ihren Hochmut und die Anziehungskraft auf ihre Stammvsgenossen in den österreichischen Gebieten erhöht hat, konnte für den Erzherzog kein Grund sein, den Besuch der neuen Provinzen zu unterlassen. Die „Deutsche Tageszeitung" schreibt: „Die Person des Erzherzogs Franz Ferdinand bildete für das Deutsche Reich eine feste, Vertrauen erweckende Gewähr für die Gemeinsamkeit unserer Zukunft, hauptsächlich auch weil wir in ihm eine Bürgschaft für die Zukunft der Doppel Monarchie zu erblicken uns berechtigt glaubten. Jetzt, nachdem Franz Ferdinand der serbischen Mordwaffe zum Opfer gefallen ist, stellt sich, wie unumwunden aus- znsprechcn mir für unsere Pflicht halten, die Zu kunft Oesterreich-Ungarns als be wölkt dar." Das „Berliner Tageblatt" sagt: „Fanatiker, in denen sich der Groll des Volkes zu blutdürstiger Leidenschaft gesteigert hatte, haben der serbischen Sache zu dienen ge- glaubt, indem sie die Person des ihrer Meinung nach Maßgebenden und Verantwortlichen beseitigten. Welch elementarer Ausbrüche die poli tischen Leidenschaften überall auf dem Balkan, und nicht nur in der Tiefe, sondern auch in den Oberschichten fähig sind, hat die Ermordung Stambuloms und des Königs Alexander und der Königin Draga, die Ermordung Rasims und Mah mud Scheltet Paschas fortdauernd bewiesen." Die „Dresdner Nachrichten": „Was für politische Folgen die Untat in Serajewo haben kann, ist ganz unabsehbar, vor allem, wenn auch Kaiser Franz Joseph unter diesem Schlag.» zusammenbrechen sollte. Deutsch land, das soeben erst seine Waffenrllstung mit einer gewaltigen Anstrengung unter autzcrgcwöhn- lichen Opfern vervollkommnet hat, kann den kom- inenden Dingen zum Glück mit der vollen Ruhe des Starken entgegenlehen. Wenn es sein muß, wird unser Volk auch noch weitere Opfer um seiner nationalen Existenz willen nicht scheuen, und in dieser Bereitwilligkeit, für die Auf rechterhaltung unserer Machtstellung in der Welt alles zu tun, liegt eine der besten Bürgschaften unserer Zukunft." Auch der „Vorwärts" findet bemerkenswerterweise Worte des schmerzlichen Bedauerns für Kaiser Franz Joseph: „Ueberraschung und Grauen, Unwille über die Sinnlosigkeit solch individueller Gewalttat, die auch die Frau des ersehnten Opfers nicht ver schont, weckt die Kunde dieser grausamen Tat. Und dann denken wir an den greisen Mann, der auf dem alten, vermorschenden Kaiserthron sitzt, der eben erst schwere Krankheit überwunden hat. Sein Bruder Kaiser Max von Mexiko erschossen, die Gattin getötet, der Sohn ermordet und jetzt auch der Neffe und Nachfolger — von tragischen Schauern umwittert, erscheint dieses alte Haupt der alten Dynastie. Ein trauriger Lebens abend ... Sinnlos und nutzlos erscheint uns die Tat. Aber wie ward sie möglich? Noch fehlen die Einzel heiten, die ein abschließendes Urteil ermöglichen: doch sind die Motive der Täter leicht zu erklären, und die Todesschüsse knallen den Regierungen Oesterreich- Ungarns eine furchtbare Warnung ins Ohr. Serbische Fanatiker, junge, unreife Nationalisten, sind die Attentäter gewesen. Franz Ferdinand fiel als Opfer der österreichisch-ungarischen Balkan- und Nationalitätenpolitik... Das Problem Oesterreich erhebt sich immer drohender zu einer Gefahr für den Frieden Europas. Soll diese Gefahr nicht zur fürchterlichen Wirklichkiit werden, so müssen wir mit aller Kraft trachten, mit Frankreich und England in freundschaft liches Einvernehmen zu gelangen. Die ost europäische Gefahr kann nur durch die west - europäische Verständigung überwunden werden. Auch für Deutschland bedeuten die Schüsse von Serajewo eine ernste Warnung!" Der Eindruck in London. London, 29. Juni. Die Nachricht von der Ermor dung des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Gemahlin, die gestern nachmittag 3 Uhr bekannt wurde, wurde sofort durch Extraausgaben der Zei» tungen der Bevölkerung mitgeteilt. In offiziellen Kreisen herrscht eine unbeschreibliche Auf regung. Die furchtbare Meldung wurde sofort dem Königspaar mitbeteilt, das gerade von einem Landausflug zurückgekehrt war. König Georg V. hat sofort ein längeres Beileids telegramm an Kaiser Franz Joseph geschickt. Eine ganze Reihe hervorragender englischer Diplo maten.hat sich in das Buch eingetragen, das in der österreichisch-ungarischen Botschaft ausliegt. Der ö st erreicht sch-ungarische Botschafter, Graf Mensdorff, kehrte abends nach London zurück. In diplomatischen Kreisen fragt man sich, ob das Unglück nicht eine furchtbare Wirkung auf die schon erschütterte Gesundheit Kaiser Franz Josephs ausüben wird. Alle Sympathien sind dem greisen Herrscher zugewandt. Die beiden Opfer sind in England nicht sehr bekannt. Der Erz herzog war gelegentlick der Beisetzung des Königs Eduard VII. nach London gekommen. Es war da mals zu einem kleinen Zwischenfall gekommen wegen der Gattin des Erzherzogs. Der Erzherzog war dann auch sofort nach der Beisetzung abgereist. Da mals batte die Angelegenheit in London keinen guten Eindruck gemacht. Alles dies ist aber jetzt in- Monms, 29. Juni 1914. folge des tragischen Todes des Ehepaare« vergessen. Der große Galaball, der gestern stattfinden sollte, ist bis auf weiteres verschoben. Es wurde bis zum 15. Juli Hoftrauer angesagt. Die Blätter veröffentlichen in Telegrammen ihrer Korrespondenten längere Besprechungen, in denen dem greisen Herrscher ihre Sympathien ausgedrückt werden. Der „D a i l y G r a p h i c" schreibt so u. a.: Niemand konnte wissen, was für ein Kaiser der Erz herzog geworden wäre. Man kann aber überzeugt sein, datz er sicher seiner Aufgabe ge wachsen gewesen wäre, wenn er das Zepter in die Hand bekommen hätte. In den politischen Winkel zügen Oesterreichs ist die Persönlichkeit des Staats oberhauptes ausschlaggebend. Der Tod des Erz herzogs ist ein Unglück für ganz Oester- r e i ch - U n g a r n. Englische Preststimmcn. London, 29. Juni. Die Zeitungen geben ihrem Abscheu über die Mordtat in Serajewo und ihrer Teilnahme für Kaiser Franz Joseph Ausdruck. „Daily Telegraph" schreibt: Bei uns wird die Empörung über die Gewalttat und die Sym pathie für ddn trauernden Kaiser um so größer sein, als England erst kürzlich die Ehre hatte, den unglücklichen Mann und seine Gemahlin zu empfan gen. Es war nur ein privater Besuch, aber wo immer Se. Kaisers. Hoheit mit seiner Gemahlin sich zeigten, machten seine ritterliche Haltung und sein hübsches Gesicht einen grotzen Eindruck auf das Volk. Es ist keine Phrase, datz dieser Mann, der der Nachfolger einer starken Persönlichkeit, wie Kaiser Franz Joseph, werden sollte, seine Spuren in ganz Europa hinterlassen haben würde. Sein Tod ist, wie wir glauben, ein ernster Verlust sowohl für ganz Europa als auch für Oesterreich-Ungarn selbst. In dieser Zeit, wo die Welt am Mangel großer Persön lichkeiten krankt, ist der Tod eines so starken und selbständigen Mannes, wie der Erzherzog war. ein wahres Unglück, besten Bedeutung man schwer über- schätzen kann. „Daily Ehronicle" schreibt: Der Empörung der zivilisierten Welt über diesen grausamen Mord wird nur die große Sympathie gleichkommen, die alle Her- zen für den greisen Kaiser FranzJoscph empiin. den werden. Wenn die Sympathie der zivi - lisiertenWelt dem Kaiser ein Trost sein kann, so kann er dieser in vollem Maße sicher sein. Alle Souveräne Europas blicken mit herzlicher Ver ehrung zu ihm auf, und der Schlag, der ihn betroffen hat, versetzt sie alle in Trauer, die der beredte Aus druck dieser Empfindungen ist. Das Blatt sagt weiter: Die einzige Erklärung, die wir für das gestrige Verbrechen haben, ist, datz es gegen die österreichisch-ungarische Monarchie geplant war, die das Zentrum und die Hauptstütze des österreichisch-ungarischen Staates bildet. Aber der Schlag, der den Erzherzog und seine Gemahlin betroffen hat, stürzt nicht die Monarchie oder den Staat. Die Politik des österreichisch-ungarischen Staates kann durch einen Mord nicht obgeändert werden, denn sie ergibt sich aus drn Bedürfnissen der Monarchie und der Völker, die ihr Gebiet be- wohnen. „Daily Eraphic" schreibt: Der Tod des Erzherzogs mit seinen hohen Idealen, seinen reichen Erfahrungen und seinem natürlichen Ernst ist ein Unglück, ein Unglück für Oesterreich und dadurch ein Unglück für ganz Europa. Erst vor wenigen Monaten weilten die ritterliche Gestalt des Erzherzogs und die sonnige Erscheinung seiner schönen Gemahlin in unserer Mitte, und wir können empfinden, was seine Freunde und Landsleute verloren haben. Aber unsere Sympathie wendet sich in höchstem Maße dem schmerzgebeugten Kaiser zu, der sich noch einmal von einem unversöhnlichen Schicksal getroffen fühlt. „Daily News" sagen: Die Ermordung des öster reichischen Thronfolgerpaarcs muß bei allen denken den Menschen ganz Europas Entsetzen über die Tat und Sympathie mit den Opfern Hervorrufen. Der Mord in Serajewo ist vielleicht der entsetzlichste der politischen Anschläge, die in den letzten 30 Jahren in Europa so häufig geworden sind, und er krönt die lange Reihe von Schicksalsschlägen, die den Kaiser heimgcsucht haben. Die Sympathie des Sodlldv»r«llkLii8 liellner. Umversitktt»tr. 29. LpcriallM: — Tcrv-pr. 11189. kiel Vie Mbe öer örei Kirchlein. 11j Roman von E. Stieler-Marshall. <e!oi>)r!^Ul NN i bx Urei!« ei» L U. in k. II. „Viktor," sagte sie — „wir haben noch Heil, wir könnten doch noch bei Kirchleins Befnch machen." „Gott, Alirchen, wie kannst dn da Besuch machen wollen? Gr ist doch Witwer —!" rief Merkel ersranni. „lind die Tochter'?" fragte Alix rnhig. „Rn, die ist noch ein .Zkind." „Sic geht nicht mehr zur Schule und könnte immerhin als Dame des Dauses gelten," sprach Frau Alir nachdenklich. „Sichst du, Viktor, ich null dir was sagen. Ich habe das Kind ein paar mal gesehen, 'S ist so ein süßes Ding. Ich möchte es mir so gern ans Herz holen; cs ist mutterlos, und ich brauche jemand zum Lieb- habcu " Auch der Bankier war nachdenklich gewor den. Mit halb zngekniffcnen Augen blicttc er forschend auf seiuc Frau. „Das gute, zärtliche Herz!" sagte er in jeiucr trockenen Art, „es braucht jemanden zum Liebhabcn. »Nu, Alixchen, mir kann das nur recht sein. Ich möchte mir auch den Professor heranzieheu, hole dir nur die Kleine an das gute, zärtliche Herz." „Ucbrigcns sehe ich ein, das; du recht hast —" antwortete Alix — „einen offiziellen »Besuch könne» wir wohl taum dort abstatten. Weißt du was'? Jetzt ist der Professor doch nicht zu Hause — — laß mich allein hinaufgehen, das »Nädelchen besuchen. Ist cs dir recht?" Merkel lächelte freundlich „Nu, Alixchen, warum soll mir's nicht recht sein ? Gehe nur, lade sie dir ein, nimm sie auf deinen Spazierfahrten mit, tu ihr Gutes an, sic kann cs, glaube ich, brauchen." Leichtfüßig sprang die schlanke Frau aus dem Auto. „Karl kann einfabrcn —" sagte sic zu dem Diener, der wie ein Bild ans Stein am Wagen- schlag wartete. Dann schritt sie üb« die Straße. Frau Wendt, die in der Ladentür stand, wickelte schnell die Arme aus der Schürze und strich diese schön glatt über den Rock. Dann begann sic umständlich zu dienern. Aber die gnädige Frau kam nicht in den Laden, wie sie erwartet hatte, sondern eilte mit flüchtigem Grus; vorbei in das Haus. Flugs rannte die dicke Frau durch ihr Läd- chcu, sie war lange nicht mehr so flink gewesen und Papa »Wendt, der seit Jahren gelähmt in seinem Lehnstuhl im Ladenstübchen saß, zeterte hinter ihr her: „Liese, Liese, nn jeminch, wo brennt cs denn'? Du wirst mir doch nicht durch gehen ?" Die Liese aber war schon aus der Treppcn- liir des Lädchens der gnädigen Frau in den Weg getreten und knixie wieder. „Tie gnädige Frau wollen am Ende zur Wcndtcn?" „»Nein," sagte Alix, und zog, ein klein we nig ungeduldig, die Augenbrauen zusammen. „Nämlich, ich wäre die Fran Wendt!" „So?" Die gnädige Fran schien durchaus nick» erschültert von dieser Tatsache und begann die Treppe hinaufzustcigen. Aber »Mutter Wendt drängte ihr nach. „Za, nämlich doch die Mutter von Ihrer Martha!" sprach sie beinahe beschwörend. Frau Alir blieb stehen und betrachtete ver wundert die aufgeregte Fran. „Von meiner Martha? »Wer ist denn das?" „Nu, atleweile doch die neue Jungfer, die zum 1. Juli cinzieht!" „Ach so, Martha »Wendt? Ja, richtig! Das niedliche, hellblonde Persönchen aus der Hans- haltungsschulc drüben in der Residenz?" „Na, sehen Sie, gnädige Frau. Ja, die iS meine, die Martha." „Also das freut mich, Fran Wendt," sagte Alir, und gab der dicken Geminefcau i.,re seine Hand im dustcndeu, weißen Glace, oie Fra« Wendt aanz ängstlich und vorsichtig anfäßte wie eine Kostbarkeit. „Das »Mädchen macht einen netten, wohl erzogenen Eindruck." „So is sie auch, gnädige Frau, ein gutes Kind, immer fleißig und alleweil lustig und fidel." „Ich weiß gern, daß meine Jungfer eine ordentliche, brave Mutter hat," sagte Alix freund lich. — „Adieu, Frau Wendt." Mit leichtem Neigen ihres schönen Haup tes verabschiedete sich Alix von der Gemüse händlerin, die eigentlich noch sehr viel auf dem Herzen gehabt hatte und nun ganz verdutzt zu- rückblicb. So blitzgeschwind war die Unterredung zu Ende gewesen, sic wußte kaum wie. Aber trotzdem war sie sehr befriedigt davon und kehrte mit hochrotem Kopf in den Laden zurück. „Ja, was schreist dn denn, Pappchen? Ich bin doch poch allemal wiedcrgckommen. Und eben habe ich doch ein Schwätzchen mußt machen, weißt du, mit wem? Mit unserem Marthakind ihrer Gnädigen." Papa Wendts lebhafte schwarze Maus äuglein glitzerten vor Neugier. „Gin Schwätzchen? Nee, du, glaub ich nicht. Sic hat geruht, dich zu bemerken, wie? Die ist doch kalt wie Gis und vornehin wie die Groß herzogin selber, nich?" „I lieber gar," wehrte die Wcndten, „vor nehm is sie, aber gut wie ein Gngel. Hat mir die Hand gegeben, was die aber fein roch! ttn sic freut sich, daß Ihre Jungfer so 'ne Mutter hat." Alix stieg indessen die schmale, weiß gescheuerte Treppe empor. „Meiner, Postsekretär," stand aus blankem Goldblättrlzen an der bunten Glastür des ersten Stockes. Die sahen so nett und gemütlich alt modisch aus, diese Türen mit der von einem Kranze roter unk blauer Glasstückchcn umgebe nen Milcoglasschcibe. GS gab auch noch keine elektrischen Klingeln hier, sondern treulich und geduldig hing ein ehrsamer Glockenzug mit weißem Porzcllangriff seitlich an der Türe. Im oberen Stock stand auf diesem Griff mit schwarzen Buchstaben -n lesen: Willi Kirch ¬ lein, Dr. Phil. Fran Alix zog ganz ehrfürchtig daran, und weit drinnen ertönte ein leises, ge heimnisvolles Glöckchen mit zitternder, heiserer Stimme. Darauf eilige Tritte und Türenzu schlagen, dann erschien hinter einer der roten Glasscheiben ein seltsani vergrößertes, lugendes Auge und endlich öffnete das Minnaclnm, angetan mit einer knatternden, schneeweißen Schürze, und wurde rot bis unter das fahlblondc, straff aus der Stirne gespannte Haar, als cs die schöne Dame sah. Irgendwo" im kleinen Vorsaal stand eine Türe spaltenweit offen und knarrte verdächtig. „Könnte ich wohl daS gnädige Fräulein sprechen?" Das gnädige Fräulein? Das stieg dem Huzclchen ordentlich zu .Kopf. Frauchen aber hinter dem Türspalt dachte nicht daran, daß sic das sein könnte. „Wir haben doch gar kein gnädiges Fräulein," verwunderte sie sich im stillen. Minna, ganz Würde, ganz Dienerin in einem vornehmen Haushalt, öffnete weit die Türe und .ließ knixend die Dame an sich vorbei. „Tas gnädige Fräulein werden sich sehr freuen." Mit plötzlichem Ausleben fast begrabener Er innerungen ergriff die Magd das kleine Schäl chen, das, seines Zweckes sich längst nicht mehr bewußt, unter dem Spiegel den Schlaf der Ver gessenheit schlief, und die schöne Dame legte lächelnd ihre Karte darauf. Der guten Minna aber stürzten und polterten in einer Sekunde hundert wichtige Ueberlegungen durch den armen Kopf. Wohin die Dame führen? Im Wohnzimmer war schon der Tisch für das Mittagessen gedeckt, einen Salon gab es nicht mehr, seit jedes der Kinder kein eigenes Zimmer haben mußte — — blieb also uur das Studierzimmer. Und wie es da immer anösah, du lieber Gott! Aber das half nun nichts, mutvoll öffnete Minna die Stubentür: „Wollen gnädige Frau bitte Platz nehmen,' das gnädige Aräuletn werden sofort erscheinen." Hortung in der M«genau»gade.)