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schüffe das Kanrmevmitglied Thalheim. Der Be richterstatter besprach zunächst den Wert der Gesellen prüfung für den ferneren Lebensgang des tbesellen und wies dann darauf hin. das, eine praktische Prüfung (das sog. Gesellenstück), eine schriftliche und schließlich eime mündliche Prüfung abzulegen sei. Auch die letzteren beiden betreffen zu einem großen Teil das Gesellenstück: außerdem roerden in der schriftlichen Prüfung noch ander« Aufgaben, be sonders aus der Buch und Rechnungsführung, ge stellt. Die (Gesellenprüfungen hüben nun ergeben, daß die praktischen Prüfungen in der Regel gute Resultate ^itigten, eine ersreulicl>e Tatsacl)e, die der Meister- Ichre zur Ehre nereiche. Meist als nicht gut, in vielen fallen sogar als recht mangelhaft müßten dagegen die Ergebnisse der schriftlichen Gesellenprüfun gen bezeichnet werden, obwohl nur ein geringes Maß von Wissen und können von den Lehrlingen ver langt werde, d. h. ein solches, wie es nach acht jährigem Besuch der Volks und dreijährigem Besuch der Tonbildungsschule beansprucht werden könne. Die mangelnden Fädigkeiten der Lehrlinge seien besonders kinsichtlich der Handschrift, Ausdrucksweise, Recht schreibung und des Satzbaues, zum Teil auch hin- lichtlich der Buch und Rechnungsführung zu erkennen. Die Gründe dieser Mangel seien auf verschieden« Ur sachen zurückzufühven. Manche Schüler treten schon mit einem sehr mangelhaften Wissen aus der Volks- rn die Fortbildungsschule über; den letzteren werde dann die Erfüllung ihrer Aufgabe besonders schwer. Andernteils werde die lmuptsästlichste Ausgabe der Tortbildungsschule, die in der Bollsjchule einpfange- nen Kenntnisse zu befestigen und zu vertiefen, dadurch beeinträchtigt, daß das fachgewerbliche Gebiet zum Teil sehr stärk in den Nordergruird gestellt werde. So nehme in einer Tortbildungsschule der Stadt Leipzig der Fachunterricht einen wesentlichen Teil des wöchentlich bstündigen Fortbildungsschulunterrichts ein, ja für einige Berufe betrage der Unterricht im Deutschen, Rechnen, Buchführung und Bcrufs-kundc nur drei Stunden, während die weiteren drei stun den auf den Fachunterricht entfielen. Es be stehe das Bestreben, die Fortbildungsschule nicht nur als jolckze, sondern auch als Fach schule anzusehen, wenigstens sei das in Leipzig der Fall, wo ihnen neuerdings die Be zeichnung „Städtische Fach- und Fortbildungsschule" bcigelegt sei, wodurch zum Ausdruck komme, daß der Fachunterricht die hauptsächlichste Ausgabe sein solle. In einer städtischen Fach und Fortbildungsschule Leipzigs werde sogar der Fachunterricht in besonde ren Schul- oder Lehrwerkstätten erteilt, in denen die Art und Weise des Lehrens die gleiche wie in der Mcisterwerkstätte sei. Mit solchen Maßnah men überschreite aber die Fortbil dungsschule ihr Ziel und es sei erklärlich, wenn durch die Eingliederung des Fachunterrichts die Aus und Weiterbildung des Schülers in den rein pädagogischen Fächern leide. Um hierin eine Besse rung herbeizusühren, beantragen die Ausschüsse: „Die Kammer wolle beschließen, unter Dar legung der im Ausschußderichte zum Ausdruck ge kommenen Ausckxruungen die zuständigen Stellen zu erjuchen, dahin zu wirken, daß in den Fort bildungsschulen die Einrichtung von schul- oder Lehrwerkstätten unter bleibt. diese Schulen vielmehr zu veranlassen, ihre besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß die Schüler bessere Fähigkeiten in der Hand schrift, im Satzbaue, im schriftlichen und münd lichen Gedankenausdruckc, in der Rechtschreibung, in d.'r Buchführung usw. erlangen." An den Bericht knüpfte sich eine sehr lebhafte De batte, in der sich namentlich das Kammermitglied Klem m gegen den Antrag aussprach. Die Barbiere und Friseure betrachten cs als eine Errungenschaft, vom Schulunterricht zwei Stunden für den Fachunter richt gewonnen zu haben. Diesem Redner traten jedoch alle anderen ent gegen, so namentlich der Vorsitzende, Kammerrat G r si ne r, sowie die Kammermitglieder Tuch und Nep penhagen. Bon letzterem wurde darauf hinge wiesen, daß die Lehrer der Fortbildungsschulen viel fach dieselbe Klage erleben wie die Handwerker. Be tont müsse werden, daß die Fortbildungsschule mit der Ausbildung der Schüler im Beruf nichts zu tun habe. Die Schule sei keine Werkstatt. Die Hand werker selbst mögen aber darauf hinwirlen. daß die Lehrlinge in der Schule den Lehrern gegenüber kei nerlei Renitenz an den Tag legen. Schließlich wurde der A u s s ch u ß a n t r a g gegen eine Stimme angenommen (die des Kainmcrini tgliedes Klemin). Nachdem noch der Vorsitzende, Kammerrat Grü ner, über die am 3. Februar d. I. in Dresden statt gefundene Sitzung des Eijenbahnratcs berich tet lmttc. erreichte die öffentliche Sitzung ihr Ende. Es folgte eine nichtöffentliche Sitzung. Das -rutsche Lied in Wien*). Wien, 23. März. Der Zug fährt stampfend durch die Nacht dem Sonntagmorgen entgegen. Das bleiche Licht des jungen Tages blnnclt verstohlen durch die Fenster auf die Polster der Wagen erster und zweiter Klasse, auf denen dre Sänger erquickenden Schlaf genießen. Sieghaft durchbricht die Sonne die Nebelichwaden des Frühlingsmorgens. Sie schaut auf den Kreuzen stein und die' Trutzburg des Grafen Wilczeck, sie ruht auf dem weiten Marchielde und läßt ihre Strahlen zwischen den Bäumen des Wiener Waldes spielen, aus dem uns Strauß die süßen Geschichten erzählt hat. Der Kahlenberg taucht auf, die Kronenkuppeln der Krönungskirche, in deren Glockenklang sich einst die Besreiungstrompeten Sobieslis mischten, gleißen und funkeln und bald umbranden den Zug die ersten Wellen des steinernen Großstadtmeeres. Die rauchgeschwärzte Halle des Nordwest-Bahnhofes nimmt uns auf. Fahnen und Standarten ragen auf dem Bahnsteig, und kaum haben wir Leipziger Wiener Boden betreten, da umgibt uns ein Kreis von Freunden und Brüdern. Gcmeinderat P h i l p be grüßt uns im Namen der Stadt Wien, die Vor sitzenden des Schubertdundes, des Wiener Männer-Gesangvereins und des Gesang vereins österreichischer Eisenbahnbeamten richten herzliche Worte an uns und jeder Ansprache folgt das deutsche „Heil". Rechtsanwalt Brecht dankt mit kurzen Worten, dann geht» in die Wagen zum Hotel „Continental". Von der Ferdinandsbrücke schaut man arn die Donau herab, die hier im regulierten Bett die Stadt durcheilt. Dec Donau entlang führt der Weg zum Ring. Der Ring, des Wieners Stolz, di- marmorne Allee unter den Linden! Ein gut Stück Geschichte der Stadt Wien erzählt diese Straße, aus der die Mädchen mit schelmischem Lächeln promenieren und die Herren, den Zylinderhut auf dem Kopf und das Veilchen- bukett im Knopfloch, schlendernd flanieren. Wo jetzt das Siechenhaus steht, gellten einst die Schreckens schreie der Opfer des brennenden Ringtheaters. *) Bon der Konzertreise des Leipziger Männer chors. Ergänzung unserer Depeschen Dort an der Löwenbastei brandete vordem der An sturm des Türkensäbel» unter dem blutigen Schein des Halbmondes. In prunkvollem Marmor wuchtet hier das Gebäude der Wiener Börse und weiter oben spiegeln sich die großen Scheiden des Burgtheaters in den Strahlen der Sonne und derNameJoseph Kainz drängt sich auf die Lippen. Zwei schlanke Türme ragen hoch zum blauen Himmel. An jener Stelle, wo jetzt die Votivkirche die Frommen zur Andacht ruft, versucht« ein Fanatiker den ersten Anschlag auf den jugend- lichen Kaiser Franz Joseph. Und dann stehen wir vor der prächtigen Front de» neuen Rathause» mit der venctianischen Loggia und dem hohen, spitzen Turm, auf dem der „steinerne Mann" Wache halt. Die prunkvolle Empfangshalle wölbt sich über uns. Ein echter Teppich dämpft den Schritt. Zwischen hohen Blattpflanzen und blühendem Flieder stehen die Büsten der Bürgermeister der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Von den Wänden schauen die Bilder von Oesterreichs Fürsten, blickt das kluge Auge der Maria Theresia auf die Sänger herab, die das feierliche „Groß sind die Wogen^ an stimmen, als Exzellenz Dr. Weißkirchner, der derzeitige Bürgermeister der Stadt Wien und Ehrenmitglied des Leipziger Männerchors, die Halle betritt. Rechtsanwalt Brecht tritt an ihn heran. Er erinnert daran, daß dieselbe heitere Sonne am 18. Oktober 1913 über Leipzig gelächelt habe als die Schwarzenberg - Gedenktafel feierlich enthüllt wurde. Die warmen Worte edler nationaler Be geisterung, die Wien» Bürgermeister damals ge sprochen habe, hätten dem Leipziger Männerchor die Anregung gegeben, diesen Mann näher dem Verein zu verbinden zu suchen. Und großer Jubel habe geherrscht, als das Schreiben eingelaufen sei, daß Exzellenz Weißkirchner die Ehrenmitgliedschaft des Vereins angenommen habe. Mit den Worten aufrichtigen herzlichen Dankes überreichte Rechts anwalt Brecht dann Dr. Weißkirchner die kunstvoll ausgesührte Urkunde der Ehrenmitgliedschaft und das in Gold und Silber ausgesührte Ehrenmitglied zeichen. Dr. Weißckirchner heftete das Ehren zeichen sogleich in das Knopfloch seines Ueberrockes und sagte dann in einfachen herzlichen Worten seinen Dank für die Ehrung. Er sei noch in der Schuld des Männerchors von Leipzig her, einer Schuld, die er gar nicht zurück, zahlen wolle, die eine fest fundrerte ewige Schuld jein solle. Wenn er die Ehrung überhaupt verdient habe, so sei es deshalb, weil die Pflege des Liedes eine nationale und kulturelle Tat sei. Wien heiße ja die Stadt der Lieder. Und stets solle das deutsche Lied hier eine Pflege finden, aber stets wollten auch die Ocsterreicher eingedenk sein, daß sie mit den deutschen Brüdern eines großen Stammes seien. Wir sind ein Volk der Dichter und Denker, aber wir sind auch ein Volk der Arbeiter! Der Arbeiter zum Wohle der Menschheit! Und daß jeder ruhig und ungestört arbeiten könne, darüber wolle man an der Donau treue Wacht erhalten. Noch einmal ver sicherte Dr. Weißftrchner den Leipziger Männerchor seines herzlichsten Dankes und bar ihn, am Mitt woch East der Stadt Wien im Rathaus« zu sein. Die ernsten Klänge der „Graduale" durchzitterten den Raum, dann löste sich die Spannung der feier lichen Stunde in einem dreifachen „Heil"- Rufe als das neue Ehrenmitglied des Leipziger Männe rchors den Saal verließ, nicht ohne vorher auch den Damen einige herzliche Worte und einen freundlichen Händedruck gewidmet zu haben. In der Nähe des Nordwestbahnhofes, mitten im lärmenden Getriebe der Großstadt, liegt der Au garten. Franz II. hat einst den Wienern diesen Garten geschenkt, den ersten, der „der öffentlichen Er.'nstigung" diente. Heute umgibt ihn eine hohe Mauer und in dem Augartenpalais wohnt die Erzherzogin Maria Josepha, Schwester König Friedrich Augusts, die einst als sächsische Prinzessin dem Sproß des österreichischen Kaiserhauses die Hand zum Lebensbunde reichte. Die Hecken und Sträucher des Parks sind im höfischen Geschmack des Barocks geschnitten, auf dem Sims des Portals tummeln sich Amoretten und Putten und vor dem Schloß halten zwei Soldaten eines K. K. Infanterie- Regiments die Wacht. Sie legen die Hände an die Naht, als sechzig Sänger (mehr zuzulassen verbot die Enge der Räume) im ehrfurchtgebietenden Zylinder an ihnen vorüber in die abseits gelegenen Empfangs und Gesellschaftsräume schreiten, um dort der Erz herzogin aus dem angestammten Hause Wettin mit einem Stündchen die Huldigung der Sachsen dar- zubringen. Viel Diener in der Hofuniform öffnen die Türen und nehmen uns die Garderobe ab. Majestätisch hält der Hofmeister die Wacht und mit ungemindeter Grandezza läßt er den Drei master vor jedem Neuankommenden emen Kreis zur Erde beschreiben. Der Obersthofmeister Altgraf 'August zu Salm-Reiferscheidt, weist inzwischen den Sängern ihre Plätze an in einem nicht allzu großen, aber hohen Raume, der einst als Speisesaal Ver wendung fand, den eine rote Seidentapete umspannt und hochragender Lorbeer den Eindruck geschlossener Vornehmheit gibt. Zum Vortrag beim Ständchen sind vom Musikdirektor Wohlgemut!) „Groß sind die Wogen" von Richter, „Der Entfernten'^ von Schubert und „Gott segne das Haus Wettin" von Wohlgemuth bestimmt worden. Das Programm ist mit dem Bildnis der Erzherzogin geschmückt, die um zwei Uhr mit Prinzessin Mathilde zu Sachsen und einigen Hoidamen den Raum betritt Nach jedem Liede applaudierten die Damen den Leipziger Sängern, und Rechtsanwalt Brecht und Musik- direktor Wohlgemuth wurden von der Erzherzogin, die sich mit Prinzessin Mathilde auch in das neu gestiftete Goldene Buch des Vereins eintrug, viel Schmeichelhaftes gesagt Auch an die übrigen ihr vorgestellten Herren des Vorstandes richtete die hohe Dame freundliche Worte und versprach, ehe sie die Herren verabschiedete, mit besonderer Freude, beim Konzert am Montag zu erscheinen. Damit war des ersten Tages offizielles Programm beendet und am Nachmittag lockte die warme Sonne in den Prater. Ein Sonntagnachmittng im Prater! Festlich geputzte Menschen halten den Weg besetzt. Ammen im flauschigen Rock mit breiten Bändern, mit roten Strümpfen und vem hochgcstöckelten Lackschuh schieben die Wagen durch das dichteste Gewühl. Soldaten ohne Säbel, die Virginia im Mundwinkel, schlendern an den Karussells, den Schau-, Schieß- und Würfelbuden vorüber, am Riesenrad vorbei in die Kaffeehäuser, wo Regie-Tabaksqualm die Köpfe und Gegenstände in dichten Schwaden umgaukelt, denn das ist der Wurstlprater: Volksfest und Messe zu gleicher Zeit. Aber stets ein Fest. Ein Fest, das alljährlich. Tag für Tag, rauscht und klingt, dessen heitere Melodie aber nie zum quälenden Aechzen des Gassenhauers abstirbt. Wer dem heiteren Lachen des lebenbejahenden, lebengenießenden und lebensfrohen Wien lauschen will, der durchstreife den Wurstlprater und lasse sich tragen von den schmeichelnden Tönen de» Wiener Leichtsinn». Wer aber das elegante Wien schauen will, der geht zum Nobel prater. Auf breiten Alleen flutet das Leben der Modestadt Wien und um einen atmet die Luit Eleganz und Pracht. Und noch ein anderes Wien lernte ich an jenem Tage kennen, das Wien um l8llO Das alte Wien, das zu den Walzern des Strauß und des Lanner sich drehte. „Alt- Wiener Walzer-Jause" heißt da» Wohl- tätigkeitsfest, das die Fürstin Pauline Metternich zum Besten einer Kinder-Poliklinik veranstaltet Hal „Unsere Durchlaucht" nennen die Wiener die Fürstin, die einst am Hofe Napoleons als gefeierte Schön heit galt und heute nach einem Leben voll Glanz und Erfolgen an der Spitze des wohltätigen Wien steht. Ein Stab von Baronessen und Komtessen hat sich in den Dienst der guten Sache gestellt und zwischen durchlauchtige Patronessen und kaiserlichen uud einfachen Hoheiten schiebt sich die Masse der Besucher, die für zwei Kronen mit lachenden Augen das alte Wien genießen. Meister Viehrer spielt zum Tanze auf und drei Paare im Reifrock und Vater mörder tanzen den alten Wiener Walzer. Eraf Berchtold undBaronRothschild,dieMitglieder der Hofgesellschaft und des vornehmen Wien bewegen sich hier mit einer Zwanglosigkeit, als habe nie eine Gesellschaft- ltche Schranke die Menschen getrennt. Die Fürstin Metternich läßt sich photographieren und verneigt sich lächelnd, als Damen und Herren ihr ein be geistertes „Bravo" zuriefen. Ausgelassene Stimmung herrscht, aber mehr noch als die Freude am wohl tätigen Geben ist es die Freude am eigenen Leben, die Freude über das „goldige Wiener Herz", die hier die Menschen lachen und glücklich sein läßt. Der Reifrock ist vermodert, der Strohhut mit den breiten Bändern unter dem Kinn verschwand mit der alten Zeit, aber das Herz ist dasselbe geblieben und wie einst scharmusieren an der schönen blauen Donau die Demoisellen.... Am Montag morgen sprühte ein feiner Regen vom Himmel herab. Ein Kaiserwetter war es also nicht, das Kaiser Wilhelm bei seinem Besuche am österreichischen Kaiserhofe empfing. Um 9 Uhr nahmen die Sänger im Schloßhofe von Schönbrunn Aufstellung. Hohe Monumentalfiguren halten den Eingang besetzt und durch die Durchfahrt des Schlosses sieht das Auge die Anlagen des weitberühmten Schloßparkes. Nicht lange konnte der günstige Platz be hauptet werden und es hieß auf der Schloßbrllcke Aufstellung nehmen. Viele Hofchargen fahren zum Kleinen Bahnhof in Penzing. Erzherzöge und ihr Gefolge, die sich zum Empfange begeben. Zum ersten Male beteiligt sich auch Herzog Ernst August von Cumberland, der in Begleitung des Hofmar chall Grafen Grote zum Bahnhof fährt, an einem Empfange des Deutschen Kaisers in Wien. Er sieht ernst aus und die österreichische Uniform mit dem niedrigen Kragen gibt der ganzen Er scheinung etwas Gedrücktes. In einem Schim melgespann, in offenem Wagen, fährt bald darauf Kaiser Franz Joseph mit seinem General adjutanten zum Bahnhof. Der greise Monarch zeigt sich jetzt nur noch selten in der Öeffentlichkeit, um so größer ist der Jubel der Bevölkerung, als sie ihn erblickt. Er trug die Uniform seines preußischen Garderegiments mit der — wie man in Wien noch immer sagt — „blitzenden Pickelhaube". Um 11 Uhr schallen von Penzing her laute Hochrufe zu uns herüber. Die Monarchen fahren zum Schlöffe. Kaiser Wilhelm trägt die Uniform der österreichisch-ungarischen Feldmarschalle. Er blickt freudig erstaunt zu uns herüber, als die deutschen Sänger ihren Kaiser mit einem musikalischen Hoch auf Wiener Boden begrüßen. Er ist sichtlich angenehm berührt von der Huldigung und immer wieder führt er dankend die Hand zum Helm. Auch die gütigen Augen des greisen österreichischen Mon archen schauen mit Wohlgefallen auf die Leipziger Sänger. . . . Xrvolä ^üulce. Weiter wird «ns über die Veranstaltungen des Dienstags von unserem an der Fahrt teil nehmenden Redaktionsmitgliede tele graphisch gemeldet: Wien, 24. März Am heutigen Dienstag wurden in aller Frühe bei herrlichem Wetter die wunderbaren Grab denkmäler auf dem Zentralfriedhofe besich tigt. die die Stadt der Lieder ihren größten musi kalischen Söhnen errichtet hat. Auch der Eedächtnis- kirche, in der der Erbauer des modernen Wien, Bürgermeister Dr. Lueger, Mr letzten Ruhe be stattet ist. wurde ein Besuch abgestattet und das An denken des großen Mannes durch den Vortrog Les Gesanges des „Sanctus" von Schubert geehrt. Die Mitglieder des Vorstandes, Rechtsanwälte Brecht und Müller, Dr. Werbatus, Ober- Telegraphenaffistent a. D. Otto und Malermeister Damm, waren inzwischen der Einladung Les säch sischen Gesandten in Wien Grafen Rex zum Frühstück gefolgt. Graf Rex sprach nochmals seine Bewunderung für das bei dein Konzert bewie sene große Können des Leipziger Männerchors aus und teilte dann den Herren mit, daß sich Kaiser Franz Joseph über die ihm und Kaiser Wilhelm auf der Fahrt zum Schönbrunner Schlöffe dargebrachte musikalische Huldigung ganz außerordentlich gefreut Hobe. Der Monarch werde seinem Danke noch Ausdruck verleihen. Wie ferner verlautet, wird Erzherzogin Ma ria Josepha dem Verein ihr Bild mit ihrer eigenhändigen Unterschrift widmen. Am Nachmittag wurde der Schönbrunner Park durchwandelt, worauf am Abend der große Festkommers im Dreherpark begann. Die Einladung hierzu war von den befreundeten Wiener Vereinen ausgegangen, und wohl vier tausend Personen hielten den weiten Saal besetzt, dessen Galerie ein anmutiger Damenflor zierte. Zahlreiche Vertreter des offiziellen Wien waren an wesend. von denen nur folgende erwähnt seien: der sächsische Gesandte Graf Rex, Lcgationsrat Ritter v. Kartell vom Unterrichtsministerium, Vizebürgermeister Hoß namens der Stadt Wien in Begleitung von fünfzehn Gemeinderäten, die Vor sitzenden des Vereins „Kinderschutzstationen", der K. K. Gesellschaft der Musikfreunde, vom Gesamt ausschuß des Deutschen Sängerbundes Generalsekre tär Hofmann; ferner Vertreter des Verbandes Wiener Gesangverein«, die Vorsitzenden des Schu bert-Bundes, des Wiener Männer-Gesangvereins, des Gesangvereins Oesterreichischer Eiscnbahnbeom- ten und viele Abordnungen anderer Gesangvereine. Der erste Vorsitzende des Gesangverein» Oester reichischer Eisenbahnbeamten, Direktor Proch, hieß alle Anwesenden herzlich willkommen. Er verlas ein Degrüßungstelegrcrmm des deutschen Reichstags abgeordneten Marquart und erteilte dann dem zweiten Vorsitzenden des Gesangvereins Oester reichischer Eisenbahnbeamten Fischmeister das Wort. Als der Redner, der dem Leipziger Männer chor noch einmal den Dank und die Bewunderung für sein hohes Können aussprach und «in« feste und un verbrüchliche Freundschaft zwischen Leipzig und Wien erhoffte, zum Wohle der beiden Völker geendet hatte, ergriff der sächsische «esandte Graf Rex das Wort zu folgender Ansprache: „Meine Herren! Wenn ich mir gestalte, das Wort zu ergreifen, so geschieht dies, weil ich das Be dürfnis fühle, unftrcn drei Hausherren, denen wir das Hiersein meiner Leipziger Landsleute und da mit auch den heutigen Festabend verdanken, meinen aufrichtigsten Dank auszvsprechen. Auf die Ein ladung der drei Vereine, des Wiener Männer gesangvereins, des Schubert-Bundes und des Ge sangvereins der österreichischen Eisenbahnbeamten, ist der Leipziger Männerchor nach dem schönen und sangesfrohen Wien geeilt und hier aufs wärmste empfangen worderr. Diese Tatsache erfreut alle säch- fischen Herzen besonders, und ich bin überzeugt, daß sie im ganzen Deutschen Reiche gleichfalls nur Freude erwecken wird. Ich bitte die Herren Vor sitzenden der drei Verbände, für die freundliche Auf- nähme, die Sie dem Leipziger Männerchor haben zuteil werden lasten, meinen herzlichsten Dank und Händedruck entgegennehmen zu wollen und fordere meine deutschen und speziell meine sächsischen Landsleute auf. mit mir einzustimmen in deck Ruf: Die drei Gesangvereine: der Wiener Männer-Gesangverein, der Schubert-Bund und der Gesangverein der österreichischen Eisenbahnbeamten, sie leben hoch! hoch! hoch!" Weitere Reden hielten im Verlaufe des Abends der Vizebüraermeister von Wien, Hoß, Hoftat Dr. von Schlauenstein namens des Vereins „Kinderschutzstationen" und der Bundesvorfitzende Kaiserlicher Rat Iacksch namens des Wiener öster reichischen Sängerbundes. Für alle Reden dankte Rechtsanwalt Brecht mit herzlichen Worten. Im Verlaufe des Kommerses hatten sowohl der Leip ziger Männerchor als auch der Wiener Männer- Gesangverein einige auserwählte Stücke zum Vor trag gebracht. In angeregter brüderlicher Stimmung blieben alle Teilnehmer bis in die späten Nacht stunden zusammen. Am Mittwoch früh findet eine Huldigung am Schubert-Denkmal und der Empfang im Ratyause statt. NsÄiriÄften vom Tsgr. Fünfzehn Menschen In -er Spree ertrunken. (Eigener Drahtbericht. Köpenick, 24. März. Heute abend gegen 1/26 Uhr wurde auf der Spree ein Fährkahn, der Arbeiter der Spindlerschen Fabrik nach der Linden straße übersetzte, von einem Schleppdampfer überrannt und dadurch zum Sinken gebracht. Von sämt lichen Insassen, etwa 20 bis 22 Personen, unter ihnen viele Frauen, konnten nur sieben gerettet werden. Bisher ist nur di e L e i ch e einer jungen Fra« geborgen worden. * Doppelselbstmord. Am Montag nachmittag wurden in Berlin die 66 Jahre alte Witwe Storch und ihre Tochter, die 39 Jahrs alte Buchhalterin Elise Wulf, in ihrer Wohnung, an der Küchen- bzw. Schlafstubentür erhängt, von dem Haus verwalter aufgefunden. Das Motiv ist noch völlig unbekannt. * Haftentlassung in Sachen des Werftprozesses. Aus Kiel, 24. März, wird gemeldet: Der Kauf mann Neugebauer aus Hamburg, der frühere Magazinauiseher Chrunst aus Hamburg und der frühere Eefängnishilfsaufseher Griese aus Neu münster, die in der Angelegenheit des Kieler Werftprozesses kürzlich ins Untersuchungs gefängnis eingeliefert worden waren, sind heute aus der Haft entlassen worden. * Selbstmord eines Eymnasialprofessors. Am Montag nachmittag wurde der 57 Jahre alte Professor Dr. Hermann B. aus Haukwitz auf einem Abort oes Potsdamer Ring- und Vorortsbahnhofes'in Berlin mit einer S ch u ß v e r l e tz u n g in der rechten Schläfe bewußtlos nufgefunden. Ein herbeigerufener Arzt ließ ihn nach der Charite bringen, wo aber nur noch der inzwischen eingetretene Tod festgestellt werden konnte. Nach hinterlassenen Briefen ist Selb st mord unzweifelhaft, doch konnte über das Motiv noch nichts ermittelt werden. Wie Gladstone Bismarck für den Teufel erklärte. (Aus den Erinnermrgen der Lady Charlotte Blenner- hassett.) Interessante Erinnerungen, die auf Las politische und gesellschaftliche Leben Englands in Ler viktorianischen Aera bedeuftame Streiflichter werfen, stammen aus der Feder der Gräfin Charlotte von Linden, die in den siebziger Jahren als Gemahlin Les Sir Nowland Blennerhaffett nach England über siedelte. Diese Erinnerungen der hochbegabten Fran enthalten manchen wertvollen Beitrag zur Pjychi- logie der wichtigsten Persönlichkeiten des damaligen politischen und offiüellen Englands. Lady Blenner- hassett stand vor allen dem großen englischen Staats mann« Gladstone sehr nahe, und was sie über diesen zu berichten weiß, trägt zur Kenntnis dieses Mannes nicht unwesentlich bei. Würdigt sie ihn im allgemei nen auch unter ausschließlichem politischen Gesichts punkt, so finden sich doch auch vereinzelt Erinnerungen in Form von Anekdoten, die nicht minder inter essante Schlaglichter auf England und seine leitenden Persönlichkeiten werfen, sie uns menschlich näher bringen und vieles bisher Unverständliche erklären. Vielleicht die anziehendste Episode dieser Art ist di« Schilderung eines Besuäies Gladstones im Münchner Atelier Meister Franz Lenbachs. Aus dieser Erzäh lung erfahren wir mehr über Gladstones Verhältnis zu Bismarck, als dickleibige Beschreibungen zu geben vermöchten. Es war im Jahre 1879, als der große Staatsmann einige Tage mit Frau und Kind in der Bayrischen Hauptstadt sich aufhielt, Lady Blenner- haffctt, damals noch in München wohnhaft, nahm die Gelegenheit wahr, ihn mit den bekanntesten Persön lichkeiten des künstlerischen Münchens bekannt zu machen und führte ihn auch bei Franz von Lenbach ein. Bei einem Besuche in dessen Maleratelier er blickte Gladstone auf einer Staffel eines der berühm ten Bismarckbildniffe. Sinnend blieb der Engländer vor dem Porträt stehen, betrachtete eingehend die stahlharten Züge seines deutschen Kollegen, des großen Kanzlers. Dann neigte er sich zu Lady Blenner- hossett, iüdem er ihr sie bezeichnenden Worte ins Ohr flüsterte: „Ich weiß, ich sollte das lieber nicht sagen, aber ich glaube bestimmt, es ist der Teufel selbst!" Diese Aeußerung tat Gladston« ganz im Ernst, wie ja auch Bismarck gany die gleiche Ab neigung gegen Gladstone empfand. Solange Glad stone lebte, unterdrückte Lady Blennerhaffett die charakteristische Aeußerung des Engländers aus Gründen des politischen Taktes, weil sie zweifelsohne großen Staub aufgewirbelt hätte. Sicher ist aber so viel, daß wenn Meister Lenbach jene in englischer Sprache erfolgte Aeußerung vernommen hätte, er sich entschieden geweigert Haven würde, Gladston« zu empfangen, geschweige denn ihn zu malen. Seine Verehrung für den eisernen Kanzler war zu tief und aufrichtig, als daß er daran in iroendeiner Weise hätte rühren lassen. Immerhin «wer darf man sagen, daß. wenn ein Bismarck aus dem Munde eines Gladstones für einen Teufel erklärt wird, dies kein geringes Kompliment bedeutet. eins dswZftrfts pepsttsekssttv bei Ltörungsn kiel'Veirlsuung, s bsiLehWZekekKpMWosigkeil. ?