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BezugS-Prei- für L«tp»ta »ad v»r»tt« d»rch »nl«r« TrSaee »ab Svedttear« 2m al tS glich in» ;>au» gebracht: Uv Ps. monatl.. r.7a Mt. vt«rt«ltäbrl. Lei anlern Filialen a. An» nahmestellea adaeholt: 7b Vl. «aaatl, LS «l. oterleltührl. Dnrch »t, P»»: innerhalb Deutlchland» and der deutlchen Kolonien aierieljährl. r.Sii Ml., monatl. 1^0 Mr. aa»schl. Poltbeftellgeld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaaftaaten, Italien, Lurrmdura, Niederlande, Nor wegen, Österreich-Ungarn, Rußland, Schweden, Schweig a. Spanien. In allen übrigen Staaten nar direkt durch di« <belchSst»lr«ll« de» Blatte» erhältlich. Da» Leipziger Tageblatt «rlchemr 7 mal täglich. Sonn- a. Fetettag» nur morgen». ltldonnem«nt,»Lnnatzm« I»h«a»t»g«ll» 8, bei ualeren Trägern. Filialen. Spediteuren and Annahmestellen, lowi« Postämtern und Bttesträgern. Et»,»lo«rka»i»pr«t» dP. Abend-Ausgabe. Wp.Mr TllgMaü s 14 892 lN-chtaaschla») Tel.-^nschl.^ 14 893 l 14 694 rn..An,chl.j»Z-Handelszeitung Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtcs der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS für Inlerat« au» Leip,,, and Umgebung di« Ilpalttg.Petttgetlr 25«).. dt« Reklame. ,etl« l Ml.: von au»wärt» SO Pf, Reklamen 1.20 Mk.. Inlerat« von Behörden im amt lichen Teil di« Petitgeile SO P». S«lchäst»anjeigen mit Dlatzoorlchrtsten a in der Abendausgabe im Preis« erhöht. Rabatt nach Taris. Beilagegedüdr Gelamt aallag« L Mk. p Taulend «rkl. Postgebühr. Teildeilage höher. Festetteilt« Aultraae können nr<bt jurück- gerogen werden. Für da» Erscheinen an besttmmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme. I»haaai»g»ll« 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Egpedtttonen de» In» and Au»lande*. Lrmk »ad Verl», de» veipziger Tage blatt«» S. Polg. Inhaber: Paal ttiirstea. N«d«ttio» and G«lchist»st,ll«: Iohannirgals« 8. -aapt - Filiale Dr«»d«a: Eeenratze 4, I (Telephon 4621). Nr. ISS. Die vorliegende Ausgabe umlaßt 6 Setten. Das Nrönungskelt in Lonüan. Für die englischen Krönungsfeierlichkeiten, die unter zahlreicher Beteiligung auswärtiger Fürstlich keiten am heutigen Dienstag beginnen und diese Woche lang dauern, ist folgendes Programm fest- gesetzt worden: 20. Juni: Staatsbankett im Buckinghampalast, darauf Ball in der Albert-Hall. 21. Juni: Diner im St.-James-Palast bei dem Herzog von Tonnaught. 22. Juni: Krönung in der Westminster-Abtei von 11 Uhr 15 Min. vormittag bis 2 Uhr 30 Min. nachmittag. Abends Familiendiner im Buckingham- palast. 23. Juni: Prozession des Königs und der Königin durch die City und Süd-London. Diner im Aus wärtigen Amt. 24. Juni: Flottenparade vor Spithead. 26. Juni: Galavorstellung im Opernhause. 27. Juni: Gartenfest im Park des Buckingham- palastes. Galavorstellung in His Majestys Theater. Souper und Ball bei Graf Derby. Unter den F ü r st l i ch k e i te n, die am Montag abend in London eintrafen, befinden sich das Her zogspaar von Aosta, Großfürst Boris, der Kronprinz von Griechenland, das Prinzenpaar Georg von Grie chenland, Prinz Rupprecht von Bayern und Prinz Philipp von Sachsen-Koburg-Gotha. Die Gäste wur den am Bahnhof im Namen des Königs vom Herzog von Tonnaught, Prinz Arthur von Tonnaught, dem Herzog von Teck und Prinz Christian von Schleswig- Holstein empfangen. Im Buckinghampalast fand abends eine Festlichkeit zu Ehren der fremden Fürst lichkeiten und der Vertreter der fremden Staaten statt. Auszeichnung. Die lange Liste der aus Anlaß der Krönung ver liehenen Auszeichnungen ist am Montagabend ver öffentlicht worden. Dem H e r z o g v o n T e ck ist der Titel Seine Hoheit verliehen worden, der Groß- herzog von Mecklenburg-Strelitz sowie die Herzöge von Argyll und Fife sind zu Rittern des Hosenbandordens. Lord Ki 1 chener zum Ritter des St.-Patrick-Ordens ernannt worden. Der Minister Earl of Crewe ist zum Marquis, Lordkanzler Lore- burn, Lord Bressen. Lord Curzon, der ehemalige Vizekönig von Indien, sind zu Grafen erhoben wor den. Der ehemalige Premierminister Lord Rose bery hat den Titel Earl of Midlothian erhalten. Der Privatsekretär des Königs Lord Knollys ist zum Viscount, der andere Prioatsekretär des Königs Sir Arthur Bigges zum Baron ernannt worden. Die Generale Lord Methuen und Sir William Nicholson wurden anläßlich der Krönung zu Feldmarschällen ernannt. Auf der Reede von Spithead. London, 20. Juni. sEiq. Drahtmeldung.) Gestern fand in Spithead den ganzen Tag hindurch ein fast ununtebrochener Austausch von Salut» schlissen statt, da ein fremdes Kriegs schiff nach dem andern ankam und zu der aus Anlaß der Krönung stattfindenden Flottenschau seine Stellung einnahm. Die Reihe der fremden Vlenstsy, üen 20. Junl 19N. Schiffe ist jetzt beinahe vollständig. Jedes Schiff feuerte bei seiner Ankunft einen Salut von 21 Schüssen zu Ehren der englischen Nation und einen weiteren Salut von 17 Schüssen zu Ehren des briti schen Oberkommandierenden Admirals Moore ab. Die englische Flotte hat sich mit Ausnahme der Tor pedobootzerstörer und Unterseeboote hier versammelt. Das imposante Schauspiel hat heute Tausende von Besuchern angelockt, die trotz des unsicheren Wetters auf die See gingen. Oie Reiülsrstsmstllen in Oesterreich. Am Montag wurden die Wahlen in Galizien vollzogen. Die in Lemberg und namentlich in Droho- bycz zu wilden tumultuarijchen Szenen führten. Wäh rend es in der erstgenannten Stadt nur zu Schläge reien geringerer Art kam, entwickelte sich in D r o h o- bycz ein regelrechter blutiger Kampf, der erst durch die notwendig gewordene Heranziehung von Militär beendet werden konnte. Nach Meldungen galizischer Blätter hat es bei diesen Exzessen zahl reiche Tote und Verwundete gegeben. Als Grund für die Ausschreitungen wird die Entdeckung von W.ihl- schwindeleien angegeben. Es liegen darüber folgende Drahtmeldungen vor: Wien, 20. Juni. (Eigene Drahtmeldung.) Bei den gestrigen Reichsratswahlen in Lemberg kam es wiederholt zu Tumulten und zu Schlägereien. Die Polizei schritt mehrmals ein und nahm viele Verhaftungen vor, einige auch wegen Wahlschwindels. Infolge der ungeheuren Men schenansammlungen in den Strasten wurden viele Per sonen im Gedränge verletzt. Lemberg, 20. Juni. (Eigene Drahtmeldung.) Aus Drohobycz wird hiesigen Blättern gemeldet: Auf das Gerücht, daß für den Kandidaten Löwen stein eine große Anzahl gefälschter Stimm zettel abgegeben worden seien, erfolgte gestern nachmittag von zionistischer Seite ein Sturm auf dessen Agitationslokal. Polizei, Gendarmerie und Kavallerie waren ohnmächtig gegen die auf- geregte Menge, die Steine, Sessel, Biergläser und andere Gegenstände schleuderte. Ein im Laufschritt mit gefälltem Bajonett Herbeieilenoer Trupp Infan terie wurde ebenfalls mit einem Steinhagel empfangen. Als die Menge trotz der Aufforderung des befehligen den Oberleutnants, sich zu zerstreuen, weiterhin mit Steinwürfen antwortete, erscholl das Kommando: Schießen! Fünf Salven wurden auf eine Entfernung von 15 bis 20 Schritt abgegeben. Den Blättern zufolge wurden 13 Personen getötet und 37 schwer verletzt, darunter mehrere Frauen. Nach, der Flucht der Exzedenten wurde der Platz militärisch abgesperrt. Der Zustand vieler Schwerverletzten ist besorgniserregend. Einige Projektile müssen durch mehrere Körper durchgegangen sein, da sonst die große Zahl der Opfer nicht zu erklären ist Da die meisten Verletzten an Brust und Oberarm verwundet sind, ist erwiesen, daß die Salven nicht auf Fliehende abge geben worden sind. Zwei Personen sind im H o s p i- t a l ihren Verletzungen erlegen. Wien, 20. Juni. (Eigene Drahtmeldung.) Dis Mitternacht waren aus Ostgalizien 86 Resul tate bekannt. Unter den Gewählten befinden sich Eisenbahnminister Glombinski, Landsmann minister Zaleski und der polnische Demokrat Löwenstein, welcher in Drohobycz, wo die gemel» deten Zusammenstöße erfolgten, mit großer Mehr heit gegen den Zionisten siegte. Am heutigen Dienstag werden nun in 168 W a h l- kreisen die engeren Wahlen für den Reichsrat vorgenommen. Daran sind beteiligt: 44 Christlich soziale, 69 Deutschfreiheitliche, 60 deutsche Sozialdemo kraten, 39 tschechische Sozialdemokraten, 36 tschechische Aararier, 23 Tschechisch-Klerikale, 13 Jungtscb.chen, 5 Tschechisch-Nationale, 8 Italiener und 4 Südslawen. Oer Äusltanü üer Seeleute hat eine Verschärfung insofern erfahren, als in Southampton die Stauer sich den Streikenden ange schlossen haben und in den Häfen des Firth of Forth das Laden und Löschen der Schiffe durch Teilnahme der Hafenarbeiter am Streik unmöglich geworden ist. Näheres darüber besagen folgende Depeschen: London, 20. Juni. (Eigene Drahtmelüung.) Der Ausstand in Southampton trat gestern nach mittag in ein neues Stadium, indem gegen tausend Stauer die Arbeit verweigerten. Ein« Abteilung Stauer ging an Bord des Dampfers „Royston Grange", der vom La Plata mit geschlach teten Schafen ankam, um im Hafen zu löschen. Nach Oeffnung der Luken erklärten die Leute, nur bei einer Lohnerhöhung arbeiten zu wollen. Unter diesxn Umständen entschlossen sich die Reeder, das Schiff zum Löschen nach London zu senden. Dies war das Signal zu einem fast allgemeinen Aus st and der Stauer, die den Dockarbeiterver'band beauf tragten, in ihrem Namen Verhandlungen zu führen. Ein neuer Tarif soll aufgestellt werden. London, 20. Juni. (Eigene Drahtmeldung.) In den Häfen von Firth of Forth hat sich die Lage dadurch zu gespitzt, daß über 600 Mann von ver schiedenen in den Häfen liegenden Dampfern gestern abend die Arbeit niedergelegt haben. In Leith liegen 26 Schiffe still. Weitere Schwierigkeiten werden dadurch hervorgerufen, daß auch die Ha fenarbeiter sich dem Ausstand angeschlossen haben. Das Laden und Löschen der Schiff« ist nicht mehr möglich. Zwei Schiffe sind gestern nach dem Kontinent abgegangen. politische Nachrichten. Tie türkischen Gäste in Berlin. Berlin, 20. Juni. (Tel.) Die türkischen Gäste wohnten gestern verschiedenen militärischen Vorfüh rungen auf dem Tegeler Schießplatz bei, nahmen das Frühstück im Militärkasino in Tegel, besichtigten am Nachmittag die Berliner Feuerwehr, die ver schiedene Uebungen vorführte, und wurden sodann abends durch em Festbankett des Komitees im Festsaale des Zoologischen Gartens gefeiert. Der tür- kijcheBotschafter OsmanNisam i brachte ein begeistert aufgenommene Hoch auf den Kaiser aus. Feld marschall Freiherr von der Goltz begrüßte die tür kischen Gälte, wies auf die bemerkenswerten Fort schritte der Türkei und auf die nationalen Tugenden des türkischen Volkes hin, dessen Vorbild der Sultan sei, und brachte einen Trintspruch auf den Sultan aus. Professor Ahmed Ihsan Bei schloß sich mit einem längeren, in türkischer Sprache gehaltenen Toaste auf den Freiherrn von der Goltz an, 105. Jahrgang. der von dem Dolmetscher des Generalkon sulats Hakki Bei in deutscher Sprache wieder holt uns beifällig ausgenommen wurde. Staats minister Hentig schloß den Abend mit einer Begrüßung der Ehrengäste und drückte die Hoffnung aus, daß dieser Besuch zukünftig weitere Nachfolge finden werde. Unter den Gästen befanden sich die Unterstaatsiekreläre Wahnschaffe und Zimmermann, zahlreiche Mitglieder der Berliner Finanzwelt, der Literatur, der Presse, der Wissenschaft, höhere Be amte, Polizeipräsident v. Jagow, Generalleutnant Böhn, die Reichstagsabgeordneten Naumann und Mommsen, der Stellvertreter des Stadtverordneten vorstehers Geheimrat Cassel und andere. Das Fest mahl nahm einen außerordentlichen und lebhaften Verlauf. Nochmals der Kaiser und Macdonald. Zu der Erklärung der „Nordd. Allg. Ztg." über die Unterredung Kaiser Wilhelms II. mit dem eng- lichen Sozialdemokraten Macdonald meint der „Vor wärts", daß die Darlegung der „Nordd. Allg. Ztg." nicht zutreffe: die Anregung zu dem Zusammentreffen sei nicht von englischer sondern von deutscher Seite, von der deutschen Botschaft, ausgegangen. Die offiziöse Aufklärung über den Fall Bertrand. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: „Die Meldungen über die angeblick;« Ausweisung eines deut schen Minenrngenieurs aus Debdu Haden sich nicht als zutreffend erwiesen. Dem be treffenden Herrn war. wie auch anderen Europäern, lediglich nahcgelegt worden, ein zurzeit infolge mili tärischer Operationen gefährliches Gebier einst weilen zu verlassen, und er ist, wie die an deren, dieser Aufforderung bereitwillig nachgekommen. Ein Zwischenfall hat sich erst später dadurch ergeben, daß derselbe Ingenieur in Oran wegen ver- botenen W a f f entragens zur Verant wortung gewgen wurde. Die französische Regle- rung hat jedoch die Weisung nach Oran erteilt, den deutschen Ingenieur außer Verfolgung zu setzen und ihm die beschlagnahmten Gegenstände zurückzugeben." Das Einigunqsprotokoll im Berliner Zeitungsstreik. Berlin, 20. Juni. (Telegramm.) Das Pro tokoll einer gestern mittag abgehalten.cn Kon ferenz, an der die Firmen Scherl, Masse, Ull- stein sowie der Deutsche Buchoruckeroer- ein, der Verband der Deutschen Buch drucker, der Verband der Buchdruckerei- bilfsarbeiter und das Tarifamt der Deut schen Buchdrucker teilnahm«n, md ein weiteres Pro tokoll über eine 6 Ubr abends geführte Verhandlung mit der Kommission des Personals oer Firma Scherl lassen erkennen, daß es gelungen ist, zu einer Einigung mit dem ausständigen Personal zu gelangen. Von den vor Einstellung der Arbeit tätigen 37 Rotationsmaschinenmeistern sollen 30 wieder eingestellt werden, und zwar ist einer freiwillig zurückgetreten, drei andere werden vom Personal und drei von der Firma bezeichnet werden. Die Forderung einer Sühne- gebühr von 10000 -K, die im Einigungsvorschlag enthalten war, zog die Firma Scherl zurück, nachdem die Gehilfenvertreter erklärt hatten, seitens der Organisation die Haftung für die Zahlung der Kon traklbruchstrafe zu übernehmen, die 39 Maschinen- meistern nach dem Urteil des Schiedsgerichtes auf erlegt wurde. Die Wahlen in Bulgarien. Sofia, 20. Juni. (Eigene Drahtmeld.) Der große Erfolg der Koalitionsregierung bei den Wahlen für die große Sobranje überrascht all gemein. Die Demokraten, die in der letzten Kammer Die lltzüne Erzellen;. 4s Roman von T. Tschürnau. (Nachdruck verboten.) Beinahe zwei Jahre der Witwenschast lagen hinter „der schönen Exzellenz", als Graf Gülzow endlich von seiner Weltreise zurücklam. Daraus ging klar hervor, daß alle damaligen Gerüchte, soweit sie ihn betrafen, irrtümlich gewesen waren, und die Damenwelt von W. frohlockte über diese Tatsache. An einem der nächsten Abende gab der Staats minister von Rühling seine erste große Gesellschaft in dieser Saison. Die höchsten Herrschaften batten ihr Erscheinen zugesagt, und in Erwartung dieses großen Augenblicks unterhielt man sich nur in jenem Flüstertöne, der bereit ist, sofort zu ehrerbietigem Schweigen zu er sterben. Gülzow stand in einer der tiefen Fensternischen des großen Empfangssaales neben einer feurigen Brünette, die ihn in ein lebhaftes Wortgeplänkel verwickelt hatte und deren übermütige Augen hinter dem Fächer verheißungsvoll zu ihm emporlachten. Gülzow kam ihren Avancen auf halbem Wege ent gegen. Er gehörte zu jenen Männern, die ebenso wenig in der Nähe hübscher Damen sein können, ohne ' sich zu verlieben, als die Motten in der Nähe des Lichtes sein können, ohne hineinzufliegen. Manchmal während des heiteren Gesprächs über flogen die Augen der Dame triumphierend den Saal. Sie wußte sehr genau, wieviel da eben in allen Ecken und Winkeln über die kokett Erlau » räsonniert wurde, und wie lebhaft die meisten dieser eleganten, jungen Damen an ihrer Stelle zu sein wünschten. Gerade das machte ihr besonderen Spaß. Selbst wenn Graf Gülzow ihr weniger gefallen hätte, würde sie versucht haben, ihn an ihren Triumphwagen zu spannen, nur um di« anderen zu ärgern. Mehr als eine leichte Herzenständelei beab sichtigte sie nicht — konnte ja leider nicht mehr beab sichtigen: denn es gab irgendwo in einer welt verlorenen Ecke einen Herrn von Erlau, der nur beim Beginn und Schluß der Feste auftauchte, um seine Gattin Heimzubegleiten oder ihr zum Fortgang den Mantel um die Schullern zu legen. Anmutig hingegossen saß Frau von Erlau in dem Plüschsessel, von dessen warmem Rot sich ihr blau schwarzes, üppiges Haar sehr vorteilhaft abhob. Sie war von mittlerer Größe, ein wenig zum Starkwerden geneigt und bei grellem Tageslichte nicht mehr ganz jung. Hier im magischen Halbdunkel der Fensternische und in der genau auf den Effekt studierten Abend toilette war sie jedenfalls noch ganz außerordentlich hübsch. Gülzow fand das wenigstens und seine Augen sagten es ihr sehr deutlich, während er von allen möglichen alltäglichen Dingen plauderte, mit jenem eigentümlichen Tonfall der Stimme, der einer ver blümten Liebeserklärung ziemlich gleichkommt. „Es wird Ihnen nach allem, was Sie gesehen und erlebt haben, hier bei uns nicht mehr gefallen", sagte Frau von Erlau eben und rückte das Bracelet zurecht, das in mehrfachen Windungen ihren vollendet schönen Arm umgab. „Ganz im Gegenteil", protestierte Gülzow galant, „ich habe mich nirgends je wohler befunden als in dieser traulichen Fensternische." Sie überhörte die Schmeichelei scheinbar. „Wo waren Sie zuletzt?" fragte Frau von Erlau. „In Japan", erwiderte Gülzow. „Ah — im Lande des Mikado! Und vorher?" „In Polynesien." „So, so — dort!" Die geographischen Begriffe der hübschen Baronin Erlau zeichneten sich nicht durch besondere Klarheit aus: sie hatte nur eine ungefähre Idee von einem Lande, in dem die Känguruhs und Paradiesvögel zu Hause sind und in dem die Menschen die leidige Angewohnheit haben, ihren lieben Nächsten als ganz besonderen Leckerbissen zu betrachten. „Haben Sie Kannibalen gesehen?" fragte sie neu gierig. Er verneinte. „Die Menschenfresserei wird dort nur noch von der Landbevölkerung schwunghaft betrieben", sagte er mit dem ernsthaftesten Tone von der Welt: „in den Städten steht die Kultur bereits auf hoher Stufe. In der vorigen Saison habe ich z. B. einige Bälle am Hofe der Königin Panara mitgemacht, die wirk lich glänzend zu nennen waren — reizende Hof damen, bezaubernde Toiletten!" Frau von Erlau sah ihn mißtrauisch von der Seite an, aber kein Muskel seines Gesichts zuckte; er sah aus, als sei er ganz in schöne Erinnerungen ver sunken. „Der Palast war oft zu klein für die Zahl der Gäste", fügte er wie träumerisch hinzu. Frau von Erlau ließ den Fächer sinken. „Also die Königin — wie hieß sie doch gleich — hatte wirklich einen Palast? Wie sah er denn aus? Beschreiben Sie mir ihn doch!" „Nichts einfacher als das, meine Gnädige. Stellen Sie sich vier Pfähle vor, die in angemessenen Ent fernungen in die Erde gerammt sind, so daß sie ein langseitiges Viereck umgrenzen, dazwischen Wände von Bastmatten und darüber ein Dach von dem näm lichen Stoffe. Wurde im Kotillon die Hitze zu arg, so zogen die Palastdiener sämtliche Matten auf die Pfähle blieben allein übrig." Frau von Erlau schlug ihn mit dem Fächer auf den Arm und versicherte ihm, daß er ein ganz ab scheulicher Spottoogel sei. Dann schwieg sie plötzlich, und ein Zug des Miß mutes ging über ihr hübsches Gesicht. Er bemerkte es nicht: sein Blick war über sie hin weg nach dem Eingänge des Saales gerichtet. Am Arme des Hausherrn war eine junge Dame von idealer Schönheit in den Saal getreten. Sie war lichtblond und blaß — sehr blaß sogar: die zar ten Linien ihres Gesichts waren wie in Marmor ge meißelt: selbst ihre Lippen, voll wie ein Rosenblatt und an den Winkeln leicht gesenkt, waren nur matt gefärbt. Sie lächelte zuvorkommend bei dem, was der Mi nister ihr sagte: aber dieses Lächeln war etwas rein Aeußerliches, als sei es eben nur für die Gesellschaft angelegt, gleich der Pariser Robe, die sie trug, und dem Fächer, den sie in der Hand hielt. Der Minister war ein kleiner Herr, bedeutend kleiner als seine schöne, lilienschlanke Nachbarin. Während sie mit ihm sprach, blieben ihre Augen ge senkt, und Gülzow wartete mit immer wachsender Ungeduld auf den Moment, in dem ihm das Ge heimnis dieser dunklen Wimpern entschleiert würde. Jetzt sah sie auf. Die großen. Hellen, kühlblickenden Augen blieben, wie es ihm schien, einen Moment auf ihm haften, wohl ohne ihn zu erkennen, denn sein respektvoller Gruß blieb unerwidert. Gülzow aber konnte sich trotzdem nicht satt an ihr sehen, wie sie da, hell überstrahlt vom Lichte des Kronleuchters, inmitten des Saales stand. Ein Kleid aus schwerem mattrosa Seidenstoff mit reicher Silberstickerei umfloß die schlanke und doch volle Gestalt, die nur wenig über das Mittelmaß der Frauengröße hinausging, aber wegen ihrer voll endeten Formenschünheit höher aussah, als sie in Wirklichkeit war. Auszer einigen Brillantnadeln, mit denen das schimmernde Haar aufgesteckt war, trug die junge Dame keinen Schmuck; ihre Schönheit be durfte solcher Zugaben auch nicht, um alles zu über strahlen. „Hat der Anblick der schönen Exzellenz Sie zur Salzsäule gemacht, lieber Graf?" sagte Frau von Erlau mit einem Lachen, das nicht ganz so natürlich klang, wie es wohl klingen sollte. „Ich bitte, kom men Sie zu sich: versuchen Sie, Ihren Verstand fest zuhalten. Sehen Sie, eher oomte, ich bin eine ver heiratete Frau und eine alte Freundin von Ihnen, deshalb müßen Sie mir schon gestatten, ganz offen zu reden, darf ich?" „Gnädigste Frau, Ihre Güte überwältigt mich!" „Redensarten — aber immerhin! Weder Ihr Spott, noch Ihr mephistophelisches Lächeln sollen mich abhalten. Ihnen die volle Wahrheit zu sagen!" Frau von Erlau hatte eine vor nichts zurück schreckende unverblümte Offenheit zu ihrem be sonderen Genre erhoben. Diese Offenheit stand ihr vorzüglich, sah sehr ernst aus und hatte, so gut ge meint sie schien, doch schon gar manches Unheil an gerichtet. Die hübsche Erlau wußte sich der von ihr gewählten Waffe mir vieler Geschicklichkeit zu be- dienen; sie war wegen ihrer scheinbar so harmlosen Aufrichtigkeit eine der gefürchtetsten Damen der Re sidenz. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)