Volltext Seite (XML)
Bezugs Preis sür Leipjia und Vorort« durch unser« Iraaer und Eoedtteur« 2 in al täglich in, ;>au» ««bracht: SV VI. monatl., 2.7a Ml. virrteiiobrl. Bei unsern grltalen u. An. nahmestellen abgeholt: 78 PI. monatl., 2.28 Ml. vierteltährl. Durch di« Poft: innerhalb Deutschland» und d«r deutschen Kolonien vierieljährl. S.SU Ml., monatl. IM Ml. aurlchl. Poftbest«llaeld. Ferner in Belgien, Dänemark, d«n Donaustaaten, Italien, Lurembura, Niederlande, Nor. wegen, Oesterreich. Ungarn, Nussiand, Schweden. Schweiz u. Spanten. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« Geschäftsstelle de» Blatte» erhältlich. Da» Leipziger Tageblatt erscheint 2mal täglich, Sonn- u. Feiertags nur morgen». Abonnements-Annahme: 2oha»ni»gass« 8, bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Abend-Ausgabe. MpMrrTaMM s i« KS2 lN«»t«''ichlu») " mr l«»cht.n,chl>» ijlE Vaudelszettimg. Ämtsvlatt des Aales und des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Lnzeigeu-Prels sK» Inserat« «»» L«t»,ta und Umgebung di« llpaltigi Prtttzetl« A Ps die Neklam«. »«U« l Mk. „n «»wärt» ZV Pf, Neklamen llv AN, Inserat« von Behörden im amt» lich«, T«il di, P»ttt,«il« SV Pi G«schäfr»anzetg«n mit Platzvorlchriften u. in der Ab«ndau»gab« im Preis« «rhöht. Rabatt nach Tarif, veilagrgebübr E«samt» auslag« S Mk. p Iaus«ird «rkl. Postgrbiihe. T«ilb,llag« -öh«r. F»st«rt«Ut« Aufträg« können nickt zurück» gezogen werden. Für da» Erscheinen an veftimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie adernommen. Anzeigen. Annahme: 2»tza,»i,,«ft« 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Ezpeditionea de» In- und Aurland«». Druck »ud Beel», des Leipziger Da»«» blatte» S. Pelz. Inhaber: P««l Nürft««. tzk«dakti»n und ckeschöstesteII«: 2ohanni»galle 8. Haupt - Aili«l« Dre»»«u: Seestratze < l (Telephon 1821). Nr. 206 vonnersisg, Sen 27. Juli iSll. t0S. Istzrgsng. Die vorliegende Aufgabe umjaßt 6 Seiten Zur Msrvkkükrile. Bis zu welcher Siedehitze die Erregung wegen der „Anmaßungen" Deutschlands in Paris und auch in London in den letzten Tagen gestiegen war und mit welchen Mitteln die aus ihre politische Kultur doch sonst so stolzen Engländer und Franzosen gegen Deutschland, seine Politik und seinen Staatssekretär des Aeußeren kämpfen, mögen unsere Leser aus den nachstehenden Ausführungen unseres Pariser ^-Mit arbeiters ersehen: Paris, 25. Juli. Eine interessante Begleiterscheinung oerMarokko- Berhandlungen zwischen Berlin und Paris ist, daß jedesmal, wenn die französischen Kolonial politiker zu frohlocken beginnen, die Börse eine kleine Panik durchmacht. Dies besagt schon, daß die von Herrn Etienne geführte und rn der Presse vom „Temps" und „Echo de Paris" ver tretene Partei keine Ziele verfolgt, die von der fran zösischen Finanz- und Geschäftswelt als klug und dem Frieden förderlich angesehen werden. Selbst die stärkst fundierten Kreditgesellschaften und Banken konnten den Kursrückgang ihrer Papiere nicht auf halten, als die Kolonialorgane freudig verkündeten, Deutschlands „Anmaßungen" wären mit Hilfe Eng lands endgültig zurückgewiesen worden. Wußten die Herrschaften die Rede des englischen Schatz meisters Lloyd George in Mansion House aus zubeuten! Der „Temps" erklärte im selben arroganten Ton, den er 1905 anschlug, daß Deutschland wieder isoliert sei, sprach von „Bluff- und Einschüchterungspolitik", von „brutalen Zwangsforderungen von „unersätt lichem Appetit" und erklärte, „daß Deutschland nicht nur Frankreich, sondern der Ungeheuern Mehrheit der Mächte von neuem verdächtig ist." Das „Echo de Paris" schreibt heute noch: „Wir stehen durchaus unzulässigen Forderungen Deutschlands gegenüber. Die Auslieferung einer französischen Kolonie, weil cs Deutschland gefiel, einen Kreuzer nach Agadir zu senden, ist eine phantastische Prätention, welche die öffentliche Meinung Frankreichs niemals zulasten wird. Der deutsche Staatssekretär handelte mit solcher Ungeschicklichkeit, daß das Problem wieder das der deutschen Hegemonie in Europa geworden ist. Es handelt sich tatsächlich darum, ob Europa sich das Gesetz der germanischen Willkür gefallen lassen will — heute eine Intervention in Agadir, morgen in einer andern Weltecke, um eine Ver größerung der deutschen Besitzungen auf Kosten der Rachbarn zu erlangen." Nachdem das Blatt noch mals auf die „vollständige Unterstützung Englands" und die Rede des Lloyd Georges hingewiesen hat, schließt cs: „Auch Frankreich ist entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wenn die Nachricht, daß 400 000 deutsche Reservisten einberufen werden sollen, eine Bestätigung finden sollte, braucht nicht daran gezweifelt zu werden, daß die französische Regierung eine ähnliche Maßregel ergreifen wird. Mug noch besonders gesagt werden, daß jeder ener gische Akt der französischen Regierung die einmütige Billigung des Landes finden wird?" Aus einer gewissen englischen Ecke wird noch stärker gegen Deutschland gehetzt, wie in der Pariser Kolonialpresse. Die Morgenzeitungen sind in der Lage, schon das in den heutigen „Times" enthaltene Telegramm des Berliner Korrespon denten dieses berüchtigt „deutsch-freundlichen" City organs wiederzugeben, in dem Herr v. Kiderlen- Wächter ohne weitere Umstände ein Wege lagerer genannt wird! Der englische Gentleman in Berlin telegraphiert wörtlich an sein Blatt: „Eine hochdislingierte und kompetente Autorität verglich Herrn v. Kiderlen-Wächter mit einem Wege lagerer großen Stils ivon den Pariser Blättern übersetzt mit., »mtit. öv x»raoä clicnim!der sich im Walddickicht versteckt, demReisenden den Weg zeigt und ihm dann die Pistole vorhält. Die Metapher ist, wenn sie auch in vollster Sachkenntnis gebraucht wurde, streng, aber die Argumente z. B. der „Franks. Ztg." sind, alles in allen genommen, nur eine feierliche und pompöse Umschreibung der Argumente des Wegelagerers, der erklärt, sein Leben so oder so verdienen zu müssen. Gewiß ist's zurzeit schon bester, sich an die Tat sachen zu halten, als Pläne über eine deutsch-eng lische Allianz zu machen." Vielleicht möchte dieser wohlerzogene „Times"-Mann das Los einiger seiner Vorgänger teilen und sich heldenmütig ausweisen lasten. (Die Hitze soll ja auch in Berlin unerträg lich geworden sein.) Möge die deutsche Regierung ihm den Gefallen nicht tun: eine so übertriebene Hetzersprache muß ja auch den franzosenfreundlichsten Engländern die Augen über die Absichten der „Times" öffnen! Pflicht der deutschen Presse ist es, ihr ruhig Blut zu bewahren, den Standpunkt einer energischen Diplomatie zu unterstützen und sich damit zu begnügen, die Manöver der skrupulösen Gegner festzunageln. An dieser Stelle kann nicht nachdrücklich genug auf die Intrige hingewiesen werden, die den fran zösischen Kolonialpolitikern in Belgien zu gelingen scheint: Die angebliche Forderung v. Kiderlen-Wäch- ters, Frankreich möchte zugunsten Deutschlands auf sein Vorkaufsrecht verzichten, falls der belgische Konaostaat veräußert werden sollte, wird in einer wachsenden Pressekampagne in Belgien zur Vernich tung der deutschen Sympathien ausgenützt. Mit der selben Geschicklichkeit hatte mandenHolländern weißge macht, Deutschland habe den Agadirzwischensall los brechen lasten, um den Besuch des Präsidenten Falliöres im Haag zu verhindern. Es handelt sich um eine systematische Verärgerung gegen Deutschland, genau wie sie vor der Algeciraskonferenz stattfand. Die deutsche Presse muß darum den Pa riser und Londoner Brunnenvergiftern alle Aufmerk samkeit schenken. Die Eile, mit der die Pariser Di plomaten den Zwischenfall des Leutnants Thiriet beilegten, beweist, daß sie auch Spanien auf ihre Sette bringen wollen, und daß sie die Verhand lungen mit Berlin demnächst wieder zu „internationalisieren" gedenken. * Erfeulicherweise macht neuerdings die ruhigere Auffassung der Lage sowohl in Paris als auch in London weitere Fortschritte. So bringt die gestrige „Westminster Gazette" eine offiziöse Beruhigungs notiz, wie aus nachstehendem Telegramm ersicht lich ist: * London, 27. Juli. lE. D.) Die „Westminster Gazette" schreibt: Während es sich von selbst versteht, daß die Marokkofrage eine sehr vorsichtige Be handlung erfordern wird, lehnen wir entschieden den alarmierenden Ton ab, mit dem die Frage in gewissen Kreisen behandelt wird. In einer Zeit wie dieser kommen natürlich Uebertreibungen und Alarmnachrichten vor, aber wir werden gut, ruhi a zu bleiben und die Lage nach den berechen baren Wahrscheinlichkeiten des Falles zu beurteilen. Auch der „Tem ps" hofft wieder auf einen günstigen Ausgang, wie die folgenden Ausführungen ergeben: Paris, 27. Juli. Der „Temps" schreibt: „In Deutschland nimmt die Presse wieder die Offensive auf. Alle Blätter folgen mit vollkommener Disziplin dem Frontwechsel, zu dem die „Kölnische Zeitung" gestern abend das Beispiel gegeben hat, und einige glauben sogar, in barschem Tone anzeigen zu dürfen, daß Deutschland vor dem englischen Zorn nicht zum Rückzug blasen wird. Diese Einschüchterungsversuche ohne offiziellen Charakter sind bestimmt, ihre Wirkung zu verfehlen, denn in Deutschland wie in Frankreich be harrt man dabei, eine günstige Lösung des gegenwärtigen Konflliktes ins Äuge zu fassen. Was die zwischen Madrid und Paris ein geleiteten Verhandlungen betrifft, so werden sie fort gesetzt, und man scheint zu glauben, daß die voll ständigen und endgültigen Abmachungen zwischen den beiden Ländern Enpe der Woche amtlich ver öffentlicht werden können." Die Einigung zwischen Frankreich und Spanien soll, wie ein weiteres Telegramm aus Madrid mel det, inzwischen perfekt geworden sein. In einem weiteren Artikel „Imponderabilien" legt die „Köln. Ztg." nochmals die Zurückhaltung Deutschlands in der ganzen Angelegenheit gegenüber den französischen und englischen Uebertreibungen dar und fährt dann fort: „Es wäre, wie die Dinge liegen, eine müßige Arbeit, nachzuweisen, daß Deutschland von Anfang an in der marokkanischen Frage seinen eigenen Vor teil nicht in den Vordergrund gestellt hat. Sehr weite Kreise im deutschen Volke sind seit Jahren der Ansicht, die Politik unseres Auswärtigen Amtes habe sogar durchaus nicht in genügendem Maße sich für deutsche Rechte in Marokko eingesetzt. Wir stellen dies nur fest, ohne ein Urteil fällen zu wollen, da darüber keine Einstimmigkeit herrscht. Aber das letzte Vorgehen Deutschlands, die Ent sendung der Kriegsschiffe nach Agadir, ist von der öffentlichen Meinung in Deutschland, soweit sie nicht von politischem Haß gegen unsere Staats und Gesellschaftsordnung völlig verblendet ist, mit rückhaltloser Zustimmung begrüßt worden. Abgeordnete aller Parteien wie Zeitungen haben diesen Schritt als durchaus gerechtfertigt, als Er lösung von einem Bann sogar, verteidigt, und um so empfindlicher wird das plötzliche Hervor treten Englands empfunden. Man erinnert an das berüchtigte bsnck« ock, das Gladstone 1878 gegen Oesterreich - Ungarn schleuderte, als »o Bosnien un- die Herzegowina besetzte, und meint, die Zeiten seien vorüber, wo ein briti scher Staatsmann einem andern Lande dergleichen sagen durfte. Jedenfalls ist das deutsche Volk nicht gewillt, sich von fremden Mächten vergewaltigen zu taffen, deren Geschichte uns ja gelehrt bat, daß ein Staat nur bestehen kann, wenn er auch gewillt ist, seine Rechte und Ansprüche nachdrücklichst zu ver teidigen. Fürst Bismarck hat mehr als einmal von „Imponderabilien in der Politik" gesprochen, „die oft viel mächtiger wirken als die Fragen des mate riellen und direkten Interesses, und die man nicht mißachten soll in ihrer Bedeutung". In London und Paris möge man sich hüten, an die Im ponderabilien zu rühren, die jetzt Deutschland bewegen." Oer lS. Deutsche Turnertsg. Der 15. Deutsche Turnertag hat am Mitt woch nachmittag in Dresden im Hotel „Europäischer Hof" mit einer Sitzung des Hauptausjchusses der deutschen Turnerschaft unter dem Vorsitz des uner müdlichen jugendfrischen, 85 Jahre alten Geheimen Sanitätsrat Dr. Ferdinand Götz seinen Anfang ge nommen. Insgesamt waren mit dem alten Götz 23 Herren anwesend, nämlich der Geschäftsführer Stadtschulrat Dr. Rühl-Stettin, der Schatzmeister Rechnungsrat Atzrott-Steglitz, der Schriftführer Sanitätsrar Dr. Tüplitz-Breslau, die Beisitzer Prof. Keßler-Stuttaart und Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Partzsch-Breslau: ferner die Kreisver- tretcr von Thorn, Stettin, Berlin, Magdeburg, Ham burg, Oldenburg. Hildesheim, Göttingen, Dortmund, Barmen, Darmstadt, Pforzheim, Stuttgart, Nürn berg, Langendorf, Dresden und Prag. Nach der Verhandlung zahlreicher Angelegen heiten, die für die Oeffentlichkeit ohne besonderes Interesse sind, gab der Schatzmeister Rechnungsrat Atzrott den Haushaltplan für das kommende Jahr bekannt. Danach stehen den Einnahmen im Betrage von 31500 an Ausgaben gegenüber für die Geschäftsführung 3LOO./4, für das Archiv und die Bücherei 1300 ./6, für Versammlungen des Haupt ausschusses, des Turnausschusses und für Reserven t>500 für das Jahnmuscum 500 für Druck sachen 2500 .//, für Beiträge an verschiedene Kor porationen 500 ./(, für die Vertretung bei auslän dischen Veranstaltungen 1000 .6, für die Ferdinand- Eötz-Stiftung 3000 für das Handbuch IllOO für das Jahrbuch 700 ./(. für das Deutsche Turn fest in Leipzig 3500 .X, für die olympischen Spiele in Stockholm 3000 ./ä und als Rücklage 5000 .6, zu sammen also ebenfalls 31500 Bezüglich der Stellung zur Stadions rage führte Prof. Reinhardt-Berlin au«, daß die Stadionsrage durchaus keine lokale Berliner An gelegenheit sei. Ursprünglich nur zur Pferderennbahn bestimmt, ist auf Anregung des Deut chen Kaisers eine Stätte für Spiel. Turnen, Schwimmen usw. entstanden. Das Stadion soll im Jahre )916 bei Gelegenheit der internationalen olympischen Spiele, an denen au b unsere deutsche Turnerschaft mitwirken wird, eröffnet werden. Es gilt nun unsererseits, uns an den Vorarbeiten zu beteiligen, damit wir dann auch Rechte an diese Schöpfung haben. Viel kleinere Verbände haben bereits ihre Beiträge ge zeichnet. Prof. Reinhardt beantragte sodann, in den diesjährigen Haushaltplan 1000 für das Stadion einzustellen und später einen Jahresbeitrag in gleicher Höhe. Nach einer kurzen Debatte wurde der Antrag Reinhardt von den Ausschußmitgliedern angenommen. Dieser öffentlichen Sitzung folgte eine vertrauliche. Aussprache. politische Nachrichten. Flottenverein und deutsche Lehrer. Kiel, 27. Juli. lE. D.) 312 L e h r e r aus allen Gauen des Reiches sind auf E i n l a d u n g de» Deutschen Flottenvereins gestern hier ein getroffen. Es fand eine Begrüßung statt. Die Gäste besichtigen morgen und übermorgen die Marine anlagen Kiels nnd begeben sich dann nach Helgo» land und Brcm e n. Beendeter Streik. Amsterdam» 27. Juli. sEig. DrahtmelL.) Die Vereinigung der Hafenarbeiter hat mit geringer Majorität die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen. Das Ende der Winzerunruhen. Paris, 27. Juli. sEig. Drahtmeld.s Da die Ordnung im Marne- und Aubegebiet fast vollständig w i e d e r h e r ge st e l l t ist, sind die in die dortigen Weingebiete entsandten Truppen in die Garnisonen zurückgekehrt. Unü es entgeht ihr keiner. 7 s Roman von Joachim von Diirow. (Nachdruck verboten.) „Kämme! kauft Kämme! Herrschaften, wir gehen lausigen Zeiten entgegen!" klang es und sang es. Rechts und links Les Weges dann als Brennpunkt — die Schießbuden! In ihnen standen in sauberen Miedern, mit breiten Schleifen auf dem gebrannten Haar, eine Reihe wirklich hübscher Mädchen — eine jede die Büchse in der Hand; ihr Berus war es, zum Schuß zu locken, und das Lockmittel waren die Augen! Sie gebrauchten es ohne Scheu, natürlich, dafür waren ja die Augen da! „Pfui!" sagte Frau von Rütenbach und drängte Agnete fort, „wir hätten nicht hergehen sollen, es ist zu gräßlich." Auch der Oberst war, Agnete am Arm, rasch vorübergegangen; Wanda aber stand und starrte die Mädchen an: „O, die armen, armen Dinger!" sagte sie halblaut, und Fred sah einen Moment nach ihr hin. Um dem Gedränge zu entgehen, schritt man über den Hof, in dem ein Reih« von Wohnwagen auf gestellt war. An einzelnen derselben war ein matter Fix als Wächter angebunden, sonst war der Platz nahezu leer. Wanda atmete auf. Als man sich nach ihr umsah, bat sie den Oberst weiterzugehen: „Sie finden mich am Ausgang, und wenn nicht, so komme ich schon allein nach Hause." Sie setzte sich auf ein umgekehrtes Waschfaß, mit vollem Bewußtsein die Leere des Platzes genießend; aus tiefer Brust atmend, horchte sie lächelnd auf einen Papagei, der aus einem der Wohnwagen „Hurra" rief und dazwischen wieder „Mord" schrie. — Auch der Wohnwagen hat seine Metamorphose er fahren, obschon der alte grüne immer noch besieht; besieht, mit dem äußerlich anheimelnden Fensterlein, den leidlich weißen Gardinen und dem Geranium da hinter. Auch sein Inneres besteht, und es riecht ebenso nach Schmutz und Armut, wie es immer in dem Wa gen der Fahrenden gerochen hat, mit seinen Lumpen, dem Petroleumkocher, den benutzten Kämmen, den halbgcleerten Taffen und den Töpfen aller Zwecke im angenehmen Gemisch. Wie aber der Palast neben der Hütte sieht, so ist neben dem alten „Grünen" auch der stilisierte Wohnwagen von heute aufgefahren. Der Kasperle, das Karussell gehören noch zum grünen Wagen, der Lichrpalast, die 'ebenden Photographien, die Dinge mit Motorbctrieb, besitzen den weiß-blau goldenen, mit seinem Kanapee, dem Pianino, dem blanken Gebauer für -en Papagei. Mit dem Wohn raum durch eine Brücke verbunden ist der Küchen wagen, blinkend in Messing, strahlend in Kupfer! Wanda genoß mit Bewußtsein die frische Luftwoge, die von den Loschwitzer Höhen herüberkam; sah dann ein altes Weiblein um einen der Wagen beschäftigt, sprang rasch auf, wie unter einem plötzlichen Ge danken und machte sich mit dem Wciblein zu schaffen. „Wo ist denn Fräulein Holm. Ich sehe sie nicht?" sagte Frau von Rütenbach, nachdem man wieder am Ausgang angekommen war, ungefähr in dem Ton, als habe sie ihre Brille verlegt. Fred konnte die Fa milie beruhigen; er sah auf den Invaliden, der auf einer leidlich ausreichenden Decke saß, und der ihm auch die gewünschte Auskunft erteilte; den Teppich hätte ihm eine „Alte" in Bcgleitschaft einer „Jungen" gebracht; die Junge sei dann sofort in die Elektrische gestiegen. Fred ging am nächsten Tage wieder zu den Rüten- bachs (Vorwände sind billig wie Brombeeren, wenn man sie nur pflücken will) und an dem Tage darauf ging er abermals zu Rütenbachs. Agnete fand es rei zend, sich ein wenig von ihm mit Weihrauch anräu- chern zu lassen, alle die kleinen Aufmerksamkeiten hinzunehmen, wie sie die Gelegenheit ergab; oder das Herz. — Ja, das Herz? Wer fragt wohl, wenn er mitten drin steckt, danach, ob es die Augen sind oder das Herz? Wie es gekommen, hätte Ostheim nicht zu sagen gewußt, er wußte nur, daß es da war; möglicherweise wäre es weniger ernst genommen worden, wäre viel leicht gegangen, wie es gekommen war, unvermerkt, wenn nicht das Gespräch mit seiner Mutter den Acker in Freds Seele io sorglich bereitet hätte, daß das Samenkorn nur eben einzufallen brauchte. Die Mutter hatte recht, hatte sich Fred immer gesagt, nur dünkte ihn bis dahin der Entschluß nach dieser Richtung hin wie eine steile Höhe, die man anseufzt. Jetzt ging er den Berg empor, gleichsam beschwingt. Fünftes Kapitel. Am Abend eines für sie arbcitsvollen Tages, den die Familie Rütenbach außerhalb verlebt, lag Wanda im Bett, -en Arm auf die Kissen gestützt. Sie horchte auf die sich verlierenden Geräusche im Haus«, hörte einen huschenden Schritt vor ihrer Türe haltmachcn und dann «in leises Klopfen. Auf das „Herein" schwang es sich in zwei jähen Sprüngen von der Tür direkt auf das Sofa: Agnete. Die blonden Haare fielen gelöst auf das Nacht gewand, die Füßchen waren bloß; sie zog sie auf das sofa und nestelte sich zurecht: „Donnerwetter, ist das hart!" sagte sie. Sie hatte dies schon etliche Male gesagt, wenn sie Wanda besucht, aber ohne daß der Gedanke an ein« Abhilfe in ihr aufgestiegen war; er kam ihr auch heute nicht, wo der Zweck ihres Besuches allem an deren so gänzlich fern lag. „Verlobt!" sagt« sie einfach. Wanda fuhr empor: „Aber so kommen Ci« doch heran, daß ich Ihnen Glück wünschen kann!" „Geht auch so, Wanda lieb«, — gute, so grausam vom Schicksal deplacierte Komtesse! Ich glaube, ich bin sehr glücklich. — Meinen Sie nicht auch?" „Wenn Sie ihn lieben, wie er Sie!" „Ach, ich bitte Sie, nur kein Sezieren! Es genügt mir vollständig, daß ich sehr glücklich bin! Heute abend, nachdem Sie fortgegangen, ist die Sache zwischen uns zum Klappen gekommen; — ein reizen des Klappen! Ich kann nur sagen, so reizend, wie cs bei der Eigenart hier im Hause eigentlich gar nicht auszudenken ist. Also wir saßen in Mamas Boudoir und besahen die Photographien in den Schalen, und ich ziehe eine heraus und lege sie vor ihn hin: „Dieser Greis macht in Hefe", sage ich, „und er ist mein Großvater!" „Wissen Sie, wa» rch mir wünsche?" sagt er, und sieht erst den Greis an und dann mich. — „Nun?" — „Daß er auch mein Groß vater sein möchte", und damit nimmt er meine Hand, legt den Arm um mich — und — und — ach, Wanda, ich muß mein Haar übers Gesicht ziehen — er küßt mich — wirklich, er küßt mich, der fremde Mann!" „Der fremde Mann?" „Freilich — wie lang« kennen wir uns denn? Gerade ein« Woche! Aber «ine hübsche Woche, ein« reizende Woche, finden Sie nicht auch? Ach so, Sie hatten nichts davon, armes, kleines Dina! Wir haben alles rekapituliert, von dem ersten Moment unseres Ersehens bis zu der jetzigen hübschen Stunde, und dann haben wir uns bei der Hand gefaßt und sind hinübergegangen zu Pa und Ma! Pa mußte die Zeitung fortlegen, in der er sn tat, als wenn er las, und Ma ihr Journal ebenfalls. Es war so feierlich wie in der Kirche, als Fred sprach und di« Eltern uns segneten, und die Rührung, und do» „mein lieber Sohn" und das Tränchen auf des guten Pa dicker Wange. — Der Mißklang bei uns im Haus« ist doch im Grund« nur der, daß Vater Mutier nie geliebt hat, nicht ein bißchen. Daran, sehen Sie, hat sie sich versteift und vereist, bis sie geworden, was sie eben ist! An ihrem Beispiel habe ich mir das Lebens prinzip ausgestellt nur den zu heiraten, d«m mein Geld Nebensache ist. Ich weiß sehr wohl, daß es bei den Männern, die bisher um mich geworben, allem anderen vorangegangen ist, nur Fred hat nichts da nach gefragt. Es hätte ihn an dem Tage, da wir uns auf dem Bahnhof zuerst gegenüberstanden, ebenso gepackt, wenn ich arm gewesen wär«! Ordentlich ge fühlt habe ich seinen Blick; habe es instinktiv ge- wußt, daß bei diesem Manne, wenn er um mich wer ben würde, die „reiche Rütenbach" nicht in Betracht kam, sondern allein das „nette Ding". Darum bin ich so glücklich — sehen Sie! — Ach, Wanda, liebste Wanda, wenn ich Sie doch auch mal herausholen könnte aus dem Elend Ihres Sklaventums — ich glaube wirklich, es sind zu viel Madeln in der W«lt! Gute Nacht!" Sechstes Kapitel. In dem Zimmer seines Hotels, ein paar Straßen weiter, saß Fred und schrieb bewegten Herzens an seine Mutter, — schrieb ihr, wie glücklich er sei, und wie dankbar, daß der heiße Wunsch, den sie ihm kundgetan, sich erfüllen sollt«, früher als sie und jedenfalls auch er es gedacht. Was es für ein lieb liches Geschöpf sei, das er ihr ins Haus bringen würde; wie sie angetan sei, die etwas düsteren Räume in Moosbach mit Licht und Leben zu füllen, dem Geist der Freude den Einzug frei zu machen. Wenn Fred etwas gegen den Vater gehabt — hm — hm — so sei dieses bei näherer Bekanntschaft total verflogen; er sei «in Mensch, dessen natürlich« Beanlagung in einer freudlosen Ehe niemals zur Geltung gekommen! Die Mutter — nun vielleicht ginge ein leichter Schatten von der Mutier aus — aber schließlich heirat« er ja dies« nicht mit. — Bei diesem Satz stockte die Fe'der ein wenig; viel leicht doch? Unsinn! Innerhalb weniger Tag« würde nun di« ganze Familie nach Moosbach kommen behuf» der Vor stellung. Was nur die Schulzchen zu seinem Sonnen kinde jagen würde. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)